Sind wir alle gleichzeitig jetzt? Geschichtsschreibung unter den Bedingungen der Vielzeitigkeit.Die Geschichte - sie ist überall präsent. Seit mehr als zwei Jahrhunderten sind nicht nur westliche Gesellschaften gewohnt, in diesem Kollektivsingular zu denken und mit ihm zu leben. Dieser übermächtigen Gesamtheit alles Geschehen(d)en wird nicht nur eine umfassende Wirkmacht, sondern eine ebenso grundlegende Erklärungsfunktion zugeschrieben. Das paradoxe Ergebnis: Alles hat eine Geschichte, außer die Geschichte selbst. Spätestens jedoch seit sich die europäisch-westlich geprägte Geschichtswissenschaft mit ihrem sehr speziellen Begriff von Geschichte im Rahmen postkolonialer Diskussionen auch mit anderen Verständnissen von Zeitlichkeit und Veränderung konfrontiert sieht, wird deutlich, wie problematisch dieses Geschichtsverständnis ist. Allein, es mangelte an Alternativen. Mit dem zentralen Begriff der Chronoferenz wird in diesem Buch ein theoretischer wie auch in Einzelstudien erprobter Vorschlag für eine andere Art der Historiographie gemacht - ein Vorschlag, der die Fähigkeit des Menschen ernst nimmt, gleichzeitig in und mit unterschiedlichen Zeiten zu leben. Denn keine Gegenwart ist gleichzeitig mit sich selbst.»Jede Gegenwart hat die Eigenschaft, ungleichzeitig mit sich selbst zu sein, weil in ihr immer schon so viele andere Zeiten vorkommen.« Achim Landwehr
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Thomas Thiel erkennt das Ketzerische an Achim Landwehrs "Wolkenhistoriografie". Wie der Autor versucht, herkömmliche Zeiterfahrungen seiner Zunft durch die Beschäftigung mit Literatur und Philosophie, Erfahrungen und Bezügen zwischen Heute und Gestern aufzubrechen, findet er spannend. Die so angepeilte Geschichte der Möglichkeiten bleibt für Thiel aber leider schemenhaft. Geschichtsschreibung muss dennoch Ordnungen vergangener Zeiten beschreiben, stellt der Rezensent schließlich fest. Landwehrs sich mal in "kunstvoll geschliffenen" Miniaturen, mal bloß in Wimmelbildern sich manifestierender "historischer Essayismus" hat wohl seine Tücken. Inspirierend und "glanzvoll" geschrieben findet Thiel den Band trotzdem.
© Perlentaucher Medien GmbH
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