Mit seinem auto-biographischen Erstlingswerk "A Heartbreaking Work of Staggering Genius" avancierte Dave Eggers zum Bestseller- und Kultautor in den USA. Hier liegt - begleitend zur Verfilmung des Kinderbuchs "Where the Wild Things are" - Eggers Adaption des Stoffs als Roman für Erwachsene. "The wild things" wird als sein bisher größtes Werk gesehen.
Spike Jonze hat das Bilderbuch von Maurice Sendak verfilmt, Dave Eggers einen Roman danach geschrieben - ist das Ehrerbietung, Kunst oder Größenwahn?
Es ist eine einfache Geschichte. Sie erzählt, wie Max, etwa acht Jahre alt, sein Wolfskostüm anzieht und einen großen Radau veranstaltet. Seine Mutter nennt ihn einen wilden Kerl, und Max sagt, "ich fresse dich auf". Problemlos könnten wir hier nun den Rest des Kinderbuchs von Maurice Sendak einfach zitieren, es folgen nur noch etwa zweihundertneunzig Wörter - wie Max ohne Essen zu Bett gehen muss, wie in seinem Zimmer ein Wald wächst, wie er mit einem Boot hinausfährt und nach langer Fahrt im Land der wilden Kerle ankommt, die ihn erst fressen wollen, dann zu ihrem König machen. Wie sie gemeinsam einen großen Radau veranstalten, bis Max das Heimweh überkommt und er wieder nach Hause segelt, wo, als er nach vielen Jahren und einem Tag endlich ankommt, das Essen auf ihn wartet, "und es war noch warm".
Wie kann aus dieser wunderbar knappen, mit Groß und Klein, mit Zorn und Liebe, Lärm und Sehnsucht spielenden Geschichte ein Film werden? Wie entstehen aus den unvergesslichen, so einfach wirkenden Zeichnungen der gehörnten, spitzzähnigen Monster mit Augen wie Golfbällen bewegte Bilder?
Ganz einfach, könnte man sagen. Jeder, der seit seinem Erscheinen im Jahr 1963 dieses Bilderbuch angeschaut, gelesen und geliebt hat, hat sich die Geschichte doch ausgemalt. Hat mit Max die Befreiung gespürt, die im sinnlosen Herumwüten sich Bahn bricht, die Demütigung, aufs Zimmer geschickt zu werden, hat sich ein wenig vor den Monstern gefürchtet und den Stolz von Max geteilt, als sie sich vor ihm verneigten, und auch die Erleichterung und das Glück, schließlich wieder zu Hause zu sein.
Unmöglich, könnte man mit derselben Begründung sagen. Es ist doch alles auf diesen wenigen Seiten und in unserer Phantasie schon da. Die Geschichte. Die Bilder. Die Gefühle. Eine ganze Kindheit im Wolfspelz, ihre Phantasiewelt, ihre Verzagtheit, ihre Wut, Allmacht, ihr Drang hinaus und ihr Wünschen zurück. Mehr Bilder, mehr Wörter als in diesem Buch wären weniger.
Irgendwo zwischen diesen beiden Haltungen müssen sich der Regisseur Spike Jonze und sein Ko-Drehbuchautor Dave Eggers befunden haben, als sie anfingen, über eine Verfilmung nachzudenken. Ganz einfach war es nicht, auch weil über die Jahre der Planung und Entstehung ein Studio nach dem nächsten sich von dem Vorhaben zurückzog. Unmöglich war es aber auch nicht. Jetzt gibt es den Film, dazu von Dave Eggers den Roman "Bei den wilden Kerlen" (deutsch von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann, dieser Tage erschienen bei Kiepenheuer & Witsch), von dem es heißt: "nach dem Kinderbuch von Maurice Sendak und dem Drehbuch von Dave Eggers und Spike Jonze" und der Maurice Sendak auch noch gewidmet ist. Der verstand die beiden offenbar richtig, fühlte sich geehrt, sah kein Sakrileg in ihrem Vorhaben und war mit dem filmischen wie dem literarischen Ergebnis ihrer Hommage, so wird berichtet, sehr einverstanden. Die meisten Kritiker sahen das etwas verhaltener. Doch selbst wenn man mit einem gewissen Unbehagen betrachtet, wie aus einem schmalen, wortkargen Buch ein aufwendiger Hundertminutenfilm und ein 267 Seiten dicker Roman geworden sind, wie aus etwas traumhaft Kleinem ein Doppelschlag mit allem möglichen Marketing-Tamtam drum herum wurde - wenn man von alldem absieht und nur den Film nimmt und den Roman, dann versteht man Sendaks Zufriedenheit.
Die Monster sind wundervoll. Von Anfang an wollte Jonze sie nicht als digitale Phantome anlegen, sondern wollte Schauspieler in Monsteranzüge stecken, was in seiner analogen Schönheit teilweise daran scheiterte, dass die Gesichtszüge sich nicht bewegen ließen. Das tun sie jetzt computergeneriert, während die Bewegungen der Biester, die Max um fast das Doppelte seiner Größe überragen, live action bleiben. Versehen mit den Stimmen von James Gondolfini, Chris Cooper und Forest Whitaker etwa, werden aus den Monstern Persönlichkeiten mit Ticks und Spleens. Sie haben Namen bekommen, heißen Douglas, Judith, Ira, Alex, Katherine und Carol, nur der Bulle ist immer noch "der Bulle". Sie sind melancholische Zeitgenossen, immer kurz davor, sich gegenseitig aufzufressen. Einer knabbert dem anderen ständig am Arm herum, der irgendwann dann ausgerissen und durch einen dünnen Ast ersetzt wird. Max, dem Max Records etwas mehr Reife gibt, als ihm im Bilderbuch zukommt, ist in seinem immer dreckiger werdenden Wolfskostüm ein Kind, als sei er alle Kinder, und wir sind von Anfang an nah an ihm dran, wenn er sein Elternhaus ins Chaos stürzt und ein Iglu gegenüber baut, das nur vorübergehend Schutz bietet vor den jugendlichen Freunden der Schwester. Und die Nähe bleibt bis zum Ende erhalten, wenn Catherine Keener in der Rolle seiner Mutter langsam einschläft, während er seinen Schokoladenkuchen isst.
Roman und Film sind einander sehr ähnlich, in den Ereignissen aber nicht völlig deckungsgleich. Der wesentliche Unterschied zum Bilderbuch liegt in ein paar pädagogischen oder sagen wir erkenntnisstiftenden Ausmalungen. Carol etwa, das Chefmonster, das Max besonders ins Herz geschlossen hat, zeigt ihm in einer Grotte hoch auf einem Berg eine Miniaturstadt, die es gebastelt hat, ein erstaunliches Gebilde aus Zweigen und Zartheit. Die Felsen, über die sie dorthin kraxeln, werfen sie aus Übermut auf dem Rückweg über die Klippen ins Meer. Der nächste Aufstieg zur Grotte wird schwierig. Das sind so die Lerneffekte, gegen die an sich ja nichts zu sagen ist.
Max hat jetzt eine Familie, in der der Vater fehlt und ein Freund auftaucht, den er sich wegwünscht. Die Monster sind gesellschaftliche Wesen mit all den Problemen, die das mit sich bringt und die sie nicht alle durchs gegenseitige Auffressen lösen können. Von den Geschichten, die möglich werden, wenn man das Bilderbuch filmisch und sprachlich in Bewegung setzt, malt der Film eine aus - und der Roman liefert eine kleine Variation dazu. Nichts, was das Bilderbuch in den Hintergrund drängen würde. Aber zwei Lesarten voll eigener Wunder und Wunderlichkeiten.
VERENA LUEKEN
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