Wenn Adler vom Militär zur Drohnenjagd abgerichtet und in Laboren synthetische Steaks und würfelförmige Melonen gezüchtet werden, wenn Pilze radioaktiv strahlen, künstlicher Schnee in Gebirgslandschaften kanoniert wird und mikroplastikgesättigte Meerestiere durch die Ozeane treiben, dann ist es unmöglich geworden, zwischen Natürlichem und Künstlichem noch länger zu unterscheiden. Wir leben in einer hybriden Welt, in der Organisches und Synthetisches zusammengewachsen und der globale Einfluss des Menschen auf die Biosphäre allgegenwärtig und geologisch nachweisbar ist. Weil im Zeitalter des Anthropozäns die herkömmlichen Naturführer versagen, hat Nicolas Novas zusammen mit dem Kollektiv DISNOVATION dieses Bestiarium entworfen, das unsere postnatürliche Gegenwart in 60 Einzelporträts von Antennenbäumen bis Wolkenimpfung vor Augen führt. Dieses neuartige Bestiarium teilt mit den mittelalterlichen Bestiarien die enzyklopädische Lust, die reiche Bebilderung - und nicht zuletzt das moralische Anliegen: Denn die hybriden Kreaturen, die die Verschmelzung von Bio- und Technosphäre hervorbringt, sind keine Einhörner, sondern reale Monster, erschaffen nicht vom menschlichen Geist, sondern durch menschliche Taten.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
"Wildnis" ist ein Anachronismus - so der Grundgedanke hinter dem Begriff des Anthropozäns, und so auch die Message, die Rezensent Volkart Wildermuth aus der Lektüre des vorliegenden Buches mitnimmt. Abgesehen von dem großen Unbehagen, das die Bilder und deren Beschreibungen bzw. Einordnungen beim Leser auslösen. Und damit haben der Sozialanthropologe Nicolas Nova das Künstlerkollektiv Disonnovation.ord eigentlich schon erreicht, was sie mit ihrem "Bestiarium des Anthropozäns" erreichen wollten: Unruhe stiften, oder wie sie es ausdrücken: "Dinge bemerkenswert machen" - und mit "Dingen" meinen sie kulturell (um-) geformte Natur: Fordit, Chicken Wings, Einsiedlerkrebse, die in Glühbirnenfassungen leben. Leider belassen die Herausgeber und Herausgeberinnen es nicht bei dem wirksamen Prinzip des Bestiariums, sondern hängen ihrer Sammlung konkreter Beispiele noch einie ausschweifende, abstrakt theoretische Betrachtungen im höchsten Akademikerinnendeutsch an. Den ersten Teil des Buches will Wildermuth trotzdem unbedingt empfehlen, und selbst aus dem unglücklichen Anhang lässt sich doch noch mindestens ein wichtiger und sehr verständlicher Appell ziehen, den man so zusammenfassen könnte: Die Geister, die wir riefen, werden nicht wieder verschwinden. Was wir Menschen verzapft haben, darüber müssen wir nun und dauerhaft Verantwortung übernehmen. Ein Zustand "natürlicher" Natur lässt sich nicht wieder herstellen.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH







