Friedrich Nietzsche bewunderte ihn, Heinrich Mann widmete ihm seinen ersten Roman, Henry James warb für sein Werk: Paul Bourget. Mit diesem Roman, der nun erstmals in deutscher Übersetzung erscheint, ist ein moderner Seelenzeichner zu entdecken, dessen intime Einblicke in menschliches Begehren noch heute überraschen.
Die junge, attraktive Witwe Juliette de Tillières gehört den vornehmsten Pariser Kreisen an. Wie viele ihrer Bekannten unterhält sie eine heimliche Affäre, während sie zugleich großes öffentliches Ansehen genießt. Als ihr bei einer Abendgesellschaft Raymond Casal vorgestellt wird, verläuft die Begegnung für beide schicksalhaft: Juliette fühlt sich zu dem Lebemann hingezogen, dem der Ruf eines Frauenhelden vorauseilt. Casal ist gleichfalls tief beeindruckt, macht ihr bereits am folgenden Tag seine Aufwartung und stellt in Aussicht, sein Leben ihr zuliebe grundlegend zu ändern. Noch bevor er den Beweis antreten kann, kehrt Juliettes Liebhaber von einer Reise zurück, was sie in tiefe Gewissenskonflikte stürzt. Statt sich zu einem der beiden Männer zu bekennen, zögert sie und beschwört damit eine Katastrophe herauf.
Paul Bourget (1852 1935), Avantgardist des psychologischen Romans in Frankreich, wertet und verurteilt nicht, sondern schildert vorurteilslos die Auswirkungen moralischer und gesellschaftlicher Widersprüche auf die menschliche Psyche. Bereits Friedrich Nietzsche, einer seiner ersten deutschen Leser, bewunderte in Bourgets Werk das Zusammentreffen einer "Religion des Mitleidens" mit "messerscharfer und grausamer Psychologie". Die minutiöse Analyse der seelischen Konflikte und nervösen Überreizungen seiner Figuren zeugt von der eindrucksvollen Modernität dieses Autors.
Die junge, attraktive Witwe Juliette de Tillières gehört den vornehmsten Pariser Kreisen an. Wie viele ihrer Bekannten unterhält sie eine heimliche Affäre, während sie zugleich großes öffentliches Ansehen genießt. Als ihr bei einer Abendgesellschaft Raymond Casal vorgestellt wird, verläuft die Begegnung für beide schicksalhaft: Juliette fühlt sich zu dem Lebemann hingezogen, dem der Ruf eines Frauenhelden vorauseilt. Casal ist gleichfalls tief beeindruckt, macht ihr bereits am folgenden Tag seine Aufwartung und stellt in Aussicht, sein Leben ihr zuliebe grundlegend zu ändern. Noch bevor er den Beweis antreten kann, kehrt Juliettes Liebhaber von einer Reise zurück, was sie in tiefe Gewissenskonflikte stürzt. Statt sich zu einem der beiden Männer zu bekennen, zögert sie und beschwört damit eine Katastrophe herauf.
Paul Bourget (1852 1935), Avantgardist des psychologischen Romans in Frankreich, wertet und verurteilt nicht, sondern schildert vorurteilslos die Auswirkungen moralischer und gesellschaftlicher Widersprüche auf die menschliche Psyche. Bereits Friedrich Nietzsche, einer seiner ersten deutschen Leser, bewunderte in Bourgets Werk das Zusammentreffen einer "Religion des Mitleidens" mit "messerscharfer und grausamer Psychologie". Die minutiöse Analyse der seelischen Konflikte und nervösen Überreizungen seiner Figuren zeugt von der eindrucksvollen Modernität dieses Autors.
Paul Bourgets raffiniertes Spiel mit der Tradition
Paul Bourgets "Ein Frauenherz" zählt zu jenen Romanen, die uns anziehen, weil sie uns in eine Welt verwickeln, die ganz und gar nicht die unsere ist. Wir leisten zunächst einigen Widerstand, aber dann sind wir plötzlich mittendrin und freuen uns am ästhetischen Glanz einer historischen Szenerie mit anderen Konventionen, Attitüden und Liaisons. Wir befinden uns am rechten Pariser Ufer der Seine, im Zentrum einer untadeligen Gesellschaftssphäre; die Gräfin läutet nach der Kammerzofe, wenn sie abends die Strümpfe abstreifen will, im Rücksitz ihrer Kutsche steckt das silberne Etui für die Visitenkarten, die man nachmittags abgibt, ohne zu verweilen, und spätestens auf Seite 14 erfahren wir Genaueres über ihr jährliches Einkommen (125 000 Goldfrancs). Da sind selbst Fontanes Damen, an den besten Berliner Adressen, preußische Landpomeranzen.
Paul Bourget, der 1935 starb, schrieb mehr als sechzig Romane, aber "Ein Frauenherz" (1890) war ein besonderes Buch, weil er darin fortfuhr, sich entschieden gegen seine eigene Vergangenheit als Kritiker und Autor zu stellen, gegen Determinismus und Positivismus, denn das gebildete Publikum wollte sich nicht länger mit Romanen von vererbter Trunksucht, plebejischer Liebesleidenschaft und Bourgeois-Mief langweilen. Sein Schritt nach vorne war eine Rückkehr zu den älteren Formen des Gesellschaftsromans, zuOperntoilette und entblößten Schultern.
Bourgets Erzähler, der als Liebling der lesenden Frauen darauf bedacht bleibt, seine psychologischen Analysen durch die guten Manieren des Gentleman zu begrenzen, hat keine leichte Aufgabe, denn Gräfin Juliette ist eine starke und verwirrte Frau zugleich. Früh verwitwet, bindet sie ein zärtlichen Verhältnis, das man fast eine geheime Ehe nennen könnte, an den konservativen Politiker und Parlamentarier de Ponay. Aber Tag für Tag wird ihr klarer, daß sie sich zu de Casal, einem Spieler und Weltmann, hingezogen fühlt, und als sie mit einem Mal zwei Liebhaber ihr eigen nennt, muß sie einen Ausweg suchen. Sie wählt nicht den einfachsten. Die Männer haben es leicht; der konservative Politiker reist in offenbarer Nachahmung Tocquevilles nach Amerika, um dort (was sonst?) die Idee des Sozialismus zu studieren (vielleicht meint er die Demokratie), und der Weltmann geht, mit einem englischen Lord, in ferne Länder auf Löwen-und Tigerjagd. Aber die Frau?
Tröstlich, daß dieser Erzähler eine unwandelbare Sympathie für Juliette offenbart. Er ist ihr wahrhaftig nah und zugetan, und in anderer Art als den Männern, über die er eher distanziert berichtet. Während sein sachlicher Blick auf den liebenden Parlamentarier und den ernsthaften Lebemann aus der kritischen Entfernung Stendhals herkommt (diese Partien zählen zu den besten des Romans), versucht er, Juliettes Torheiten und Lügen mitleidend zu verstehen und sie uns, der Leserschaft, mit wechselnder Überzeugungskraft mitzuteilen, oder sich gar, als ihr Verteidiger, "stellen Sie sich vor", an die geneigten Leserinnen zu wenden. Allerdings vermag der Erzähler Bourgets wissenschaftlich-positivistische Vergangenheit nicht ganz zu verschweigen. Er frönt auffallenden Gattungsbegriffen und statistischen Argumenten, und sei es nur, um Juliette von der überwältigenden Mehrheit anderer Frauen zu unterscheiden. Daß sich eine Frau einem Mann ohne Liebe hingibt, mag ein "altmodisches Drama in hundert Ehebetten" sein, in welchen es um einen fernen Geliebten oder nur eine Modistinnenrechung geht, aber Juliette denkt eben nicht, "wie hundert andere Frauen an ihrer Stelle denken würden".
Ob man Bourget wahrhaftig einen "Avantgardisten des psychologischen Romans" nennen darf, wie es der Klappentext der Edition unternimmt? Das instruktive Nachwort Hermann Lindners, das Bourget zwischen Naturalismus und Symbolismus sieht, trifft die historische Situation genauer, und ich glaube, daß Bourget ein kühler Eklektiker war, der genau und raffiniert zu kombinieren verstand, was ihm die Tradition der französischen Kritik und des Romans darbot, Stendhal, Balzac und Taine. Und er blieb ganz auf die wechselnden Erwartungen des Publikums eingestellt, zumindest bis zum Ende des Jahrhunderts. Henry James, der mit ihm freundlichen Umgang pflegte, riet einem Freund in Harvard, ihn nicht zu lesen, und Mark Twain polemisierte gegen seine soziologischen Verallgemeinerungen. Bourget war jedenfalls einer, der darauf beharrte, die "dunklen Falten des Bewußtseins" zu respektieren, gerade in jener Epoche, in der Jean Charcot, der Lehrer Freuds, seine Vorlesungen an der Salpetrière hielt. Caroline Vollmann hat "Ein Frauenherz", ein geistvolles Kabinettstück des französischen Gesellschaftsromans, für die Manesse Bibliothek der Weltliteratur übersetzt, ohne überflüssige Zugeständnisse an das Fin de siecle, und in die moderne Sprache unserer Zeit, und das ist allen aufmerksamen Dankes wert.
Paul Bourget: "Ein Frauenherz". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Caroline Vollmann. Mit einem Nachwort von Hermann Lindner. Manesse Bibliothek der Weltliteratur, München und Zürich 2006. 506 S., geb., 22,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Mit leichtem Schmunzeln über Nervenschocks und andere Details aus dem Innenleben der Dame um 1900 hat Rezensent Burkhard Müller diese Neuauflage von Paul Bourgets Roman zur Kenntnis genommen. Er hat ihn, das spürt man in jeder Zeile seiner Besprechung, recht gern gelesen und lobt "Anmut und Takt", mit der dieser Autor den Frauen "unter die Röcke" guckt. Trotzdem möchte er die Geschichte der Gräfin Juliette und ihrer gefühligen Verwirrungen nicht unter dem Label "Weltliteratur" segeln lassen, das ihm der edierende Manesse-Verlag verpasst hat, da dies eher den Blick auf die Schwächen des Buches lenken würde. Aus Müllers Sicht gehört der Roman eindeutig in die Kategorie "Damenliteratur", wodurch man sich dann entspannt auf die Stärken des Buchs und seines Autors konzentrieren könne, dessen Qualitäten als Frauenversteher immerhin schon der Frauenanalphabet Nietzsche zu schätzen gewusst habe.
© Perlentaucher Medien GmbH
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