"Mein Leben war verfolgt von Wahnsinn und Horror. Die Bücher, die ich geschrieben hatte, sprachen von nichts anderem. Nach "Der Widersacher" konnte ich nicht mehr. Ich wollte diesem Zwang entkommen. Und ich dachte, ihm durch die Liebe zu einer Frau und durch Nachforschungen über meine Familie entkommen zu können. Die Nachforschungen drehten sich um meinen Großvater mütterlicherseits, der nach einem tragischen Leben 1944 verschwand und sehr wahrscheinlich als Kollaborateur erschossen wurde. Seine Geschichte ist das Geheimnis meiner Mutter, das Gespenst, das in unserer Familie spukt. Um dieses Gespenst zu bannen, ging ich riskante Wege. Sie führten mich in ein verlorenes russisches Provinzstädtchen, und ich blieb lange dort, auf der Lauer, dass irgendetwas geschehe. Und es geschah etwas: ein grausames Verbrechen. Wahnsinn und Horror holten mich wieder ein. Sie holten mich auch in meinem Privatleben ein. Ich hatte für die Frau, die ich liebte, eine erotische Geschichte geschrieben, die in die Wirklichkeit eingreifen sollte, doch die Wirklichkeit entzog sich meinen Plänen. Sie stürzte uns vielmehr in einen Albtraum, der den grausamsten in meinen Büchern glich und der unser Leben und unsere Liebe zerstörte. Denn darum dreht sich dieses Buch: um die Drehbücher, die wir ausarbeiten, um die Wirklichkeit zu zähmen, und um die fürchterliche Weise, mit der sich die Wirklichkeit dieser bemächtigt, um darauf zu antworten."
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Dieses Buch, so die sehr beeindruckte Rezensentin Hanna Engelmeier, ist eine "große Gabe" an seine Leserinnen und Leser. Groß, aber kaum weniger "monströs" als die realen Geschenke, von denen es handelt: einem pornografischen Brief an seine Geliebte, den Emmanuel Carrère für alle Welt sichtbar in "Le monde" veröffentlicht hat; einem Film, der seinen Gegenstand, die junge Russin Anja, nur noch postum adressieren kann; und dem Buch, das Carrère seiner Mutter, einer in Frankreich hochberühmten Historikerin, widmet - obwohl sie sich nichts weniger wünscht als ein solches Geschenk. Vielschichtig ist das Buch, kein Roman, keine Autobiografie, sondern ein ganz eigenes Carrèresches Ding. Erzählprosa als offene Bekennerschrift, die sich, so Engelmeier, an der Grenze "zu Meditation, Essay und Reportage" bewegt. Sie bewegt sich an dieser Grenze, daran lässt die Rezensentin keinen Zweifel, hoch virtuos. Aber starke Nerven braucht die Leserin doch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»[...] [E]in ungewöhnliches, provokantes und schmerzhaftes Buch über Erinnerung, Liebe und Begehren - und über die Kraft von Sprache, die in der Lage ist, Verlust und Scheitern zu überwinden.« - Jutta Sommerbauer, Die Presse Jutta Sommerbauer Die Presse 20170716







