Eine Nebensache von Adania Shibli
ist in seiner fragmentarischen Reduziertheit intensiv, vielschichtig, lyrisch. Die Sprache und Symbolik ist tief, schwer, die Botschaft beklemmend. Eine Nebensache, das sind kollektive Traumata, tiefe Wunden, die intergenerationale Weitergabe, eine Zeitungsnotiz
und der Fakt, dass Todes- und Geburtstag zusammen fallen.
Wir beobachten mit einem fernen, fast…mehrEine Nebensache von Adania Shibli
ist in seiner fragmentarischen Reduziertheit intensiv, vielschichtig, lyrisch. Die Sprache und Symbolik ist tief, schwer, die Botschaft beklemmend. Eine Nebensache, das sind kollektive Traumata, tiefe Wunden, die intergenerationale Weitergabe, eine Zeitungsnotiz und der Fakt, dass Todes- und Geburtstag zusammen fallen.
Wir beobachten mit einem fernen, fast surrealen Blick eine staubige, flirrende Szenerie.
1949, ein Jahr nach der Staatsgründung Israels, Waffenstillstand, Aufbruch und Al Nakba. In der Negev-Wüste, nahe der ägyptischen Grenze, betrachten wir eine Gruppe israelischer Soldaten, ein Camp, unwirklich, Schützengräben, staubige Leere, Hunde bellen.
Eine Beduinin wird gefangen genommen, einfach so, weil nicht Frieden ist. Wir bleiben fern, streifen nur die Sicht eines der Soldaten. Der Virus des Bösen ergreift ihn, zeitweise, die anderen Soldaten eine gierende Masse, zeitweise. Wir beobachten, wie die Frau versucht zu überleben, mit Distanz, ihr Blick wird für immer verschlossen bleiben. Sie wird ausgezogen, mit Benzin übergossen, abgespritzt, die Haare geschnitten und dann passiert, was in der Luft liegt. Sie wird vergewaltigt, misshandelt und umgebracht.
Schnitt, heute.
Eine palästinensische Frau, selbstbewusst, klug, trifft auf die Geschichte der Beduinin. Ihr Todestag, ihr Geburtstag, 25 Jahre danach. Sie verbindet sich mit der Beduinin, kann gar nicht anders. Sie sucht, sie sucht, sucht, sucht... Es treibt sie zur Reise hinüber ins nahe ferne Israel, in das Auge der Gefahr. Sie bringt Landkarten, alte, neue, palästinensische, israelische, legt sie übereinander, nebeneinander. Fieberhaft die Wahrnehmung, die Spurensuche, immer stärker der Wechsel von Versteinerung und intensiver Beunruhigung. Immer näher kommt sie Israelis und es wühlt sie auf, bis in innerste Schichten. Es saugt sie immer tiefer, sie atmet den Staub der Wüste, riecht nach Benzin, hört fernes Hundebellen, sieht Soldaten. Immer wieder überflutet sie pure Panik, doch sie rennt hinein.
Eine Nebensache ließ sich nur mit Konzentration und Anstrengung ertasten.
In der Regel ist es egal, wie viel Lärm um mich herum ist, ich lese und falle in den Text, wenn er gut ist. Hier brauchte ich Stille, musste viele Absätze mehrmals lesen.
Eine Anstrengung, die sich nicht minder lohnte, denn der Text ist klug, aufwühlend, pur. Und wenn es so etwas gibt, er ist wahr, wahrhaftig. Eine Nebensache sät seine Botschaften gegen Krieg, Ungerechtigkeit, Gewalt, ohne explizit zu werden und ohne die Traumata der anderen Seite zu verschweigen. Die Botschaften erwachsen beim Lesen, verranken sich im Nachhall und im Gespräch über den Text. Ein besonderes Stück Literatur, ganz nahe rückt es ans Herz.