Der amerikanische Re-Education-Diskurs der 1930er und 1940er Jahre war geprägt von der Frage, wie mit dem nationalsozialistischen Deutschland nach dem Krieg umzugehen sei. Eine wichtige Rolle spielten dabei die Arbeiten Kurt Lewins, seine Theorie geplanten sozialen Wandels und die Demokratie-Experimente vom Ende der 1930er Jahre. Oliver König zeigt, welche Bedeutung angewandter Sozialpsychologie, Gruppendynamik und Psychoanalyse für eine in Deutschland schrittweise entstehende demokratische Kultur zukommt.Die Gruppe wird dabei mit hohen Ansprüchen verknüpft: Sie soll gleichermaßen Produktivität steigern, Zusammenhalt stiften und individuelle Freiräume schützen. Anhand der beruflichen Lebenswege u.a. von Tobias Brocher, Alf Däumling, Magda Kelber und Horst-Eberhard Richter führt König anschaulich vor Augen, wie Vergangenheitsbewältigung untrennbar mit der Profilierung von Sozial- und Humanwissenschaften verbunden ist - trotz der mitunter komplexen Konfliktlinien und Paradoxien, die diesen Wandel begleiten.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Stefan Kühl bespricht Oliver Königs umfassende Studie zur Geschichte der Gruppendynamik in BRD und DDR - ein Werk, das die "Re-Education" der Deutschen nach 1945 und ihre unerwarteten Nebenwirkungen nachzeichnet. Ausgangspunkt sind die Diagnosen des US-Psychiaters Richard M. Brickner, der den Nationalsozialismus als "kollektive Paranoia" deutete und eine "Genesung Deutschlands mittels wissenschaftlicher Rationalität" empfahl, lesen wir. König zeigt, schreibt der Kritiker, wie die amerikanischen Besatzungsmächte auf gruppendynamische Trainings setzten - gedacht als Demokratisierung von unten, im "therapeutischen Jahrzehnt" der 1970er-Jahre sogar als "Therapie für Normale". Der Bildband - reich an historischen Aufnahmen - kontrastiert frühe Hoffnungen mit späterem Scheitern: Gruppendynamik blieb wichtig für Selbsthilfegruppen und Aktivisten, verlor jedoch als wissenschaftliches Konzept an Bedeutung. Kühls Fazit: Das paranoide Denken, das Brickner einst beschrieb, ist erschreckend gegenwärtig.
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