Ende des 17. Jahrhunderts entwickelte sich in Japan eine aus China übernommene Druckkunst zur eigenständigen Kunstform: der Farbholzschnitt. Zunächst auf wenige Farben beschränkt, erweiterte sich im 18. Jahrhundert die Palette und erreichte durch raffinierte Einfärbetechniken eine unerreichte
Detailfülle und räumliche Tiefe. Zu den berühmtesten Vertretern dieser Kunst gehören Utagawa Hiroshige,…mehrEnde des 17. Jahrhunderts entwickelte sich in Japan eine aus China übernommene Druckkunst zur eigenständigen Kunstform: der Farbholzschnitt. Zunächst auf wenige Farben beschränkt, erweiterte sich im 18. Jahrhundert die Palette und erreichte durch raffinierte Einfärbetechniken eine unerreichte Detailfülle und räumliche Tiefe. Zu den berühmtesten Vertretern dieser Kunst gehören Utagawa Hiroshige, Utagawa Kunisada und natürlich der extrem produktive Katsushika Hokusai, dessen berühmte „Große Welle von Kanagawa“ ikonisch geworden ist.
Die Japan-Sammlung der Bayerischen Staatsbibliothek gehört zu den umfangreichsten und vor allem systematischsten in Europa. Der fast 100 000 Druckwerke umfassende Bestand wird immer noch strategisch erweitert. Das meiste davon sind Holzschnitt-Bücher, aber es gibt auch 1000 historische Einblattdrucke, darunter bedeutende Stücke, wie eben die Welle von Kanagawa. Die Jahresausstellung 2025 widmet sich jetzt erstmals ausführlich diesem Teil der Sammlung und zeigt rund 200 Einblattdrucke des 17. bis 20. Jahrhunderts von allen bedeutenden Holschnittkünstlern ihrer Zeit. Mit der Shin-Hanga-Bewegung des frühen 20. Jahrhunderts, in dem europäische Traditionen auf den japanischen Holzschnitt übertragen werden, endet der betrachtete Zeitraum, auch wenn die künstlerische Entwicklung bis heute anhält.
Der Katalog zeigt nicht nur großformatige Abbildungen aller Exponate, sondern liefert auch qualifizierte Hintergrundinformationen zu den Entwicklungen, sowohl der Motive als auch der Techniken. Besonders hervorgehoben wird die Bedeutung der Farbholzschnitte im interkulturellen Transfer. Die Grundidee stammt aus China, die technische Weiterentwicklung und die Entstehung neuartiger Bildideen geschieht in Japan, moderne Synthesefarben werden aus Europa importiert, die neuartigen Bildfindungen inspirieren wiederum Jugendstil und Impressionismus im Westen (Stichwort „Japonismus“) und als geografisch gegenläufiger Einfluss prägt der Westen die Shin-Hanga-Bewegung um Kawase Hasui. Kaum ein Medium vereint derartig viele Kulturtransfers in alle Richtungen.
Die Sammlung ist aufgrund ihrer klaren systematischen Ausrichtung und qualifizierten Sammlungsstrategie eine „Lehrsammlung“ par excellence. Kaum irgendwo lassen sich die stilistischen und technologischen Entwicklungen so transparent und eindrucksvoll visualisieren. Die Qualität der Exponate misst sich dabei nicht nur im ökonomischen Wert der heute hoch gehandelten Stücke, sondern auch in ihrem enzyklopädischen Umfang. Buchstäblich alles, was Rang und Namen hat, ist hier vertreten. Ausführliche bibliografische Angaben zu Auflagen, Künstler- und Verlegersiegeln, Ikonografie und geschichtlichem Hintergrund stellen die Blätter in ihren jeweiligen Zusammenhang und sensibilisieren den Leser für zeittypische Farbgebungen oder Motivwahl. Die Vielfalt, insbesondere im 19. Jahrhundert, ist atemberaubend. Und immer reflektiert dieses „Massenmedium“ sehr zeitnah gesellschaftliche Entwicklungen in Japan.
Die Abbildungen sind originalgroß oder bei den Oban-Formaten etwa auf die Hälfte verkleinert und geben einen sehr detaillierten Eindruck vom Original. Der Katalog ist sowohl vom Umfang als auch der thematischen Eindringtiefe sehr zu empfehlen. Die Ausstellung selbstverständlich auch, aber das wird leider nur ein vorübergehendes Vergnügen sein.