What can fashionable ideas, blind faith, or pure fantasy possibly have to do with the scientific quest to understand the universe? Surely, theoretical physicists are immune to mere trends, dogmatic beliefs, or flights of fancy? In fact, acclaimed physicist and bestselling author Roger Penrose argues that researchers working at the extreme frontiers
Ein Twist für die Physik? Roger Penrose findet seine Kollegen zu bequem und trifft einen wunden Punkt
Die Entwicklung der modernen Physik ist durch eine zunehmende Abstraktion geprägt. Sie hat zu überaus erfolgreichen Theorien geführt: der für die Beschreibung der Gravitation zuständigen Relativitätstheorie Einsteins und der als formaler Rahmen für alle anderen Wechselwirkungen zuständigen Quantentheorie. Erfolgreich sind sie nicht nur als empirisch minutiös bestätigte Theorien, sondern auch als Ausgangspunkt für unzählige Anwendungen, welche unsere Alltagswelt durchdringen.
Dennoch verspüren selbst Fachleute zuweilen ein gewisses Unbehagen, vor allem angesichts der Quantentheorie. Einem der Pioniere dieser Theorie, dem dänischen Physiker Niels Bohr, wird sogar die Aussage zugeschrieben, dass die Quantentheorie nicht verstanden habe, wer über sie nicht entsetzt sei. Auch Albert Einstein, dem der Nobelpreis für die korrekte Beschreibung eines Quanteneffekts und nicht für die Relativitätstheorie zugesprochen wurde, fühlte sich zeitlebens durch den nichtlokalen und fundamentalen Wahrscheinlichkeitscharakter dieser Theorie abgestoßen. Erwin Schrödinger brachte sein Unbehagen durch das berühmt-berüchtigte Katzenbeispiel zum Ausdruck, wonach sich gemäß der Quantentheorie eine Katze in einem Zustand gleichzeitigen Tot- und Lebendigseins befinden könne. Schuld daran ist das Superpositions- oder Überlagerungsprinzip, das es erlaubt, quantenmechnische Zustände aufzuaddieren und damit einen neuen möglichen Zustand zu erzeugen.
Zu den Wissenschaftlern, die ihr Unbehagen an der Quantentheorie seit Jahrzehnten formulieren, gehört der britische Mathematiker Roger Penrose, Professor an der Universität Oxford. Seinen Standpunkt entwickelt er auch in seinem neuesten Buch, das aus Vorlesungen an der Universität Princeton hervorgegangen ist. In "Fashion, Faith, Fantasy" ist der Abschnitt unter dem Titel "Glaube" diesem Thema gewidmet: Penrose unterstellt den meisten Physikern, dass sie dem Formalismus der Quantentheorie blind folgen, statt nach alternativen Wegen zu suchen, die Konstrukte wie Schrödingers Katze vermeiden. Eine solche Alternative sieht Penrose in der Berücksichtigung der Gravitation.
Deren komplizierter "nichtlinearer" Charakter soll dafür sorgen, dass die Katze tot oder lebendig ist statt tot und lebendig. Allerdings begeht Penrose hier einen Kategorienfehler. Nichtlinear in diesem Sinn ist auch das Standardmodell der Elementarteilchenphysik, das sich durch die Entdeckung des Higgs-Teilchens aufs Neue bewährt hat. Dennoch wird das Standardmodell erfolgreich durch eine Quanten(feld)theorie beschrieben - mit all ihren Superpositionen. Hier scheint eher der Glaube des Autors durch, dass die Physik auf fundamentaler Ebene so anschaulich sein müsse wie in den Zeiten vor der Quantentheorie. Doch warum sollte sich die Welt nach Penrose' Anschauung richten?
Penrose' Angriffslust trifft nicht nur die Quantenphysiker. Der erste Abschnitt unter dem Titel "Mode" hat sich als Ziel die Stringtheoretiker auserkoren. Diese Spezies, die gerade im englischsprachigen Bereich viele universitäre Stellen besetzt, folge, so Penrose, einer Mode, die bei genauerem Hinsehen nicht nur keinen einzigen experimentellen Nachweis der Stringtheorie erbracht habe, sondern unbekümmert über Probleme der mathematischen Konsistenz hinwegsehe. Dabei wurde mathematische Eleganz immer als Haupttriebfeder bei der Entwicklung dieser Theorie verkündet; nicht umsonst heißt ein Bestseller der String-Populärliteratur "Das elegante Universum".
Penrose erläutert mit viel mathematischem Aufwand, wo es mit der Stringtheorie hapert. Diese benötigt für ihre Formulierung mehr als drei Raumdimensionen; so soll der Raum neun- oder zehndimensional sein (wozu noch die eine Zeitdimension kommt). Die Unsichtbarkeit der überzähligen Dimensionen wird durch deren Kleinheit erklärt oder durch ausgeklügelte geometrische Konstruktionen. Diese unsichtbaren Dimensionen, so Penrose, seien aber auf katastrophale Weise instabil. Um dies zu zeigen, wendet er ein berühmtes mathematisches Theorem an, das er zusammen mit Stephen Hawking 1970 bewiesen hat und das klarstellt, dass unter gewissen allgemeinen Annahmen "Singularitäten" in der Raumzeit unvermeidbar sind. Solche Singularitäten verkünden den Zusammenbruch einer Theorie. Die vielen Dimensionen der Stringtheorie sollten dann auch Singularitäten erzeugen und damit die Theorie ad absurdum führen. Die Reaktion der Stringtheoretiker auf dieses Argument? Meist unbeeindrucktes Schweigen: Man gehe davon aus, dass die weitere Entwicklung der Theorie dieses Problem schon lösen werde - warum sich jetzt darum kümmern? Penrose hat hier tatsächlich einen wunden Punkt getroffen. Bleibt bloß hinzuzufügen, dass die Stringtheorie nicht wirklich mehr in Mode ist.
Die unter dem Titel "Phantasie" gesammelte Kritik ist der modernen Kosmologie gewidmet, vor allem Vorstellungen im Verbund mit dem "inflationären Universum". Darunter versteht man eine hypothetische Phase, in der sich das Universum winzige Sekundenbruchteile nach seiner Entstehung extrem schnell ausgedehnt haben soll. Penrose kritisiert die oft behauptete Natürlichkeit dieses Modells und einige seiner Konsequenzen, die auf Konstruktionen wie das Multiversum führen. Diese Kritik ist nachvollziehbar, doch nachvollziehbar ist auch, warum die meisten Kosmologen dieses Modell akzeptieren: Es beschreibt alle bisher gemachten Beobachtungen korrekt und lässt sich mathematisch einfach formulieren. Ist es nicht das, was wir von einem guten Modell erwarten? Wenn dieses Modell zusätzlich zu scheinbar merkwürdigen Vorhersagen wie dem Multiversum führt, ist dies kein Grund, es aufzugeben; hier sollte die weitere Entwicklung der Physik entscheiden.
Penrose bleibt aber nicht bei der Kritik stehen, sondern wartet mit eigenen Vorschlägen auf. Dazu gehört die Idee der Twistoren, die er seit den siebziger Jahren in großer Einsamkeit verfolgt. Penrose beschreibt auch seine eigene kühne Kosmologie - unter dem Namen konforme zyklische Kosmologie geführt -, die ohne Quantentheorie und Inflation auskommt. Sie soll es unter anderem ermöglichen, den Ursprung der Zeitrichtung im Universum - den Unterschied von Vergangenheit und Zukunft - zu verstehen. Anzeichen für die Gültigkeit einer solchen Kosmologie konnten freilich bisher nicht aufgespürt werden.
Penrose hegt eine große Zuneigung zu Geometrie und komplexen Zahlen. Ohne Kenntnisse in Differentialgeometrie, Funktionentheorie, Funktionalanalysis und natürlich der Allgemeinen Relativitätstheorie ist seinen Wegen kaum zu folgen. Als Lohn winken dann Einblicke in die Gedanken eines originellen Forschers, der wie kaum ein anderer den Zustand und die Probleme der modernen Physik überblickt.
CLAUS KIEFER
Roger Penrose: "Fashion, Faith, and Fantasy
in the New Physics
of the Universe".
Princeton University Press, Princeton 2016.
520 S., geb., 24,99 [Euro].
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"Physics has been at an awkward impasse for the past century. Two theories--quantum mechanics and general relativity--are widely believed to be true. . . . But they contradict each other in basic ways--they cannot both be entirely true. InFashion, Faith, and Fantasy in the New Physics of the Universe. . . Roger Penrose, an elder statesman of physics, considers the problem. As intellectually offbeat as he is eminent. . . he ventures here some novel ways in which the two theories might be reconciled."--Wall Street Journal