Brandenburg ist einmalig - und das gilt ganz besonders für seine Bedeutung als Filmdrehort. Seit mehr als hundert Jahren, und unter fünf verschiedenen politischen Systemen, bilden Filmschaffende ihre Geschichten ab vor der pittoresken Szenerie brandenburgischer Landschaften, vor der Vielgestalt brandenburgischer Schlösser, Dörfer und Städte. Begünstigt durch die Nähe zur Film- und Kinometropole Berlin und den Studios in Babelsberg hat sich die Region Brandenburg zu einer formidablen Kulissenlandschaft entwickelt, wie es sie in dieser Form kein zweites Mal in Europa gibt. Hier wurden erste Kinowelterfolge gedreht, wofür echte indische Tiger durch märkischen Sand stapfen und riesige Gummikrokodile durch brandenburgische Gewässer schwimmen mussten. Für die Filmklassiker der Ufa, nationalsozialistische Propagandastreifen oder die erfolgreichen Jugendfilme der DEFA zogen Filmemacher mit ihren Kameras nach Brandenburg. Und das gilt für die Gegenwart mehr denn je, wo namhafte internationale Regisseure wie Roman Polanski oder Quentin Tarantino Brandenburg als Drehort für ihre Filme entdeckt haben. Brandenburg ist, neben unzähligen Fernsehproduktionen, wieder zu einer der ersten Adressen als Drehort nationaler und internationaler Kinofilme geworden.Das Buch lädt den Leser auf eine essayistische Reise durch die Film-Landschaften Brandenburgs ein, führt ihn dabei an ausgewählte Drehorte, stellt Filme und Filmschaffende vor und erzählt Episoden aus einer in Brandenburg heimischen Geschichte: aus der Traumwelt des Kinos.
Ein Filmführer durch die Drehorte Brandenburgs
Sogar einen Tigerhof und ein Krokodilbecken ließ Joe May 1919 auf dem von ihm angelegten Filmgelände in Woltersdorf bei Berlin anlegen, um mit Großproduktionen wie "Herrin der Welt" in acht Teilen oder "Das indische Grabmal", bei dem auch echte Elefanten nicht fehlten, den Ruhm des "deutschen Los Angeles" in die Welt hinauszutragen.
Es kam dann anders. Aber das Land Brandenburg blieb das nächstgelegene und das preisgünstigste Drehgelände für Filmproduktionen von der Kaiserzeit bis zur Gegenwart. Dreihundert Ortschaften, die in Filmen der UFA, der DEFA sowie nachfolgender Unternehmen die Originalschauplätze stellten, hat der Filmhistoriker Marcel Piethe in Augenschein genommen und daraus sechs Touren zusammengestellt. In Titeln wie "Entlang der Havel und im Fläming" oder "Filmischer Streifzug durch die Priegnitz" weht noch ein ferner Hauch von Theodor Fontanes "Wanderungen durch die Mark Brandenburg" nach, auch wenn das Auto an die Stelle von Fontanes Kutsche getreten ist.
Wer mit diesem flüssig geschriebenen, fachkundigen Cicerone in der Hand auf die Reise geht, der kann zwar keine Filmkulissen mehr entdecken, selbst nicht in Woltersdorf, aber doch an Ort und Stelle ahnen, was die Filmemacher gerade hierhin zog. Im Fall von Urban Gads traurigem Liebesdrama "Der fremde Vogel" aus dem Jahr 1911 dürfte das leichtfallen, denn die Wasserarme des Spreewalds könnten auch heute noch, wie es Asta Nielsen als unglücklicher Miss Wolton geschah, den Besucher in die freilich meist geringe Tiefe ziehen. Im wenig bekannten Priegnitz-Dorf Netzow dagegen sind die Hühner und die alten Landmaschinen, die Michael Haneke für die Dreharbeiten zu seinem beklemmenden Vorkriegsdrama "Das weiße Band" (2009) heranschaffen ließ, wieder von der Dorfstraße verschwunden. Bei der Nähe zur UFA-Stadt Babelsberg und deren Nachfolgern bot es sich an, passende Schauplätze in der nahen und weiteren Umgebung zu suchen. Welchen Einfluss die Formen der meist kargen Landschaft auf die Ästhetik der Filme ausübten, welche Folgen die Präsenz dieser armen Region für Stil und Atmosphäre eines Großteils des deutschen Films mit sich brachte, wäre eine eigene Darstellung wert.
Marcel Piethes Nachforschungen, zu denen Alexander Vogel beigetragen hat, der auch die Einleitung zu diesem Buch schrieb, geben nicht nur Ausflugsziele vor. Das Buch lässt das Bild eines im stetigen Wandel befindlichen Filmlandes erstehen, in dem Lichtspielhäuser gegründet, geschlossen und von rührigen Betreibern wieder restauriert werden, Festivals aus dem Nichts entstehen wie in Cottbus oder Eberswalde und auch fern lebende Regisseure wie Roman Polanski gerne ein paar Szenen drehen.
Längst vergessene Namen tauchen auf. Wer kennt zum Beispiel den einstigen Star Lya de Putti, die in Murnaus "Der brennende Acker" und "Phantom" auftrat und 1913 in einem ebenso vergessenen Werk namens "Die Schlucht des Todes" in Friesack zum ersten Mal vor eine Kamera trat? Die Stummfilmschönheit starb in New York "an den Folgen eines verschluckten Hühnerknochens", der Regisseur Luciano Albertini "soff sich zu Tode", als der Tonfilm aufkam, wie der Autor lakonisch bemerkt. Auch solche Entdeckungen und Exkurse am Rande bereichern das Buch. Eine Spur Melancholie über den Verlust von Gestern liefert es ohnehin.
HANS-JÖRG ROTHER
Marcel Piethe: "Filmland Brandenburg". Drehorte und Geschichten.
Hendrik Bäßler Verlag, Berlin 2012, 256 S., m. zahlr. Abb., 24,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Mit Marcel Piethes auf Spurensuche von historischen und zeitgenössischen Drehorten in Brandenburg, die der Autor in sechs Touren zusammengestellt hat, schwelgt Hans-Jörg Rother ein bisschen melancholisch in Nostalgie. Er attestiert dem Buch sowohl gute Lesbarkeit als auch Kenntnisreichtum und hat darin so manches Detail zur Kinolandschaft oder zu heute längst vergessenen Filmstars gefunden. Und so sind es Informationen wie die, dass der Stummfilmstar Lya de Putti, die im brandenburgischen Friesack erstmals vor die Kamera trat, durch einen verschluckten Hühnerknochen starb, die Rother als Bereicherung lobt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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