Vom Auftritt der Ethnologie geht eine Erschütterung, wenn nicht gar eine Bedrohung aus, der sich die europäische Philosophie nicht entziehen kann. Daher muß diese neue Wissenschaft vom kulturell Fremden auf Willhelm Dilthey, Edmund Husserl, Martin Heidegger, Emmanuel Levinas und Jacques Derrida eine verstörende Wirkung ausüben. Doch der Schock des Fremdkulturellen wird aufgefangen in transzendentalen oder aber ethisch aufgeladenen Theorien des Anderen und der Gabe. Die umfangreiche Auseinandersetzung der hermeneutisch-phänomenologischen Philosophien mit der Ethnologie eines Bastian, Frazer, Tyler, Boas, Malinowski, Lévy-Bruhl, Mauss und Lévi-Strauss wird dabei jedoch nie zum Anlaß notwendiger Selbstkritik und einer Konfrontation mit dem 'Primitiven' im kulturtheoretischen und philosophischen Diskurs genommen. Bis hin zu Derrida bleibt die Philosophie in der Konfrontation mit fremdkulturellen Wahrheitsansprüchen in ihren universalen Geltungsanmaßungen und damit in den Grenzen des griechischen Logos befangen. Das Gegenstück zur Europäisierung, nämlich eine Indianisierung der europäischen Philosophien, sucht man daher vergeblich. Iris Därmann gelingt es, Möglichkeiten einer inversiven Ethnologie aufzuzeigen, die aus der Perspektive fremder Kulturen die eigene Kultur in Frage stellen und den Eurozentrismus abendländischer Philosophie demontieren. Damit hat sie einen Beitrag vorgelegt, der die grundlegenden philosophischen Positionen zum Fremden herausfordern wird. Aus dem Inhalt: I. Inversive Ethnographien statt Konstruktion des Fremden II. Marcel Mauss' Gabenweltreise III. Freuds Psychoanalyse der Idenfizierung und Gabe IV. Diltheys Hermeneutik im Fadenkreuz des Fremden und der Ethnologie V. Fremdes, Allzufremdes: Husserls Phänomenologie der Fremderfahrung und Fremdwelt VI. 'Primitives Dasein' und Gabe bei Heidegger VII. Fremderfahrung im Denken von Levinas VIII. Dekonstruktion ohne inversive Ethnographien: Derrida Iris Därmann ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachbereich Kulturwissenschaften der Universität Lüneburg.
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nicht gänzlich einverstanden ist Dietmar Dath mit Iris Därmanns Studie über Ethnologie und Philosophie. Die Autorin setzt den Ausführungen des Rezensenten zufolge bei der Herausforderung an, die die neue Wissenschaft der Ethnologie im 20. Jahrhundert für die Philosophie darstellte. Als zentral in Därmanns Darstellung betrachtet Dath die Kritik an der Philosophie, habe diese Auseinandersetzung letztlich doch stets als "Abwehr der Wahrheitsansprüche" außereuropäischer Denkweisen und Praktiken geendet. Därmann zeige etwa bei Heidegger, Levinas und Marcel Mauss, dass und wie europäisches Denken dazu neige, am Ende immer nur gut abgehangene Lehren für "Seßhafte und Besitzende" zu produzieren. Auch wenn Dath hier gar nicht widersprechen will, die Alternative, die Därmann in der Verabschiedung einiger kategorialer Vorentscheidungen sieht, hält er für fragwürdig. Zweifelhaft erscheint ihm zudem die Grundthese einer "Provokation" oder "Erschütterung" der abendländischen Philosophie durch die Ethnologie, diese "Erschütterung" sieht er im frühen zwanzigsten Jahrhundert vielmehr in den Rückwirkungen imperialistischer Wirtschafts- und Militärpolitik und in der sozialen Frage.
© Perlentaucher Medien GmbH
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