Geschichte und Geschlechter
Herausgegeben von Claudia Opitz-Belakhal, Angelika Schaser und Beate Wagner-Hasel
Nicht nur männliche "Gastarbeiter", auch viele Frauen kamen seit 1955 als Lohnarbeiterinnen in die Bundesrepublik. Monika Mattes untersucht erstmals umfassend die auf Frauen zielende Anwerbepolitik, die bestimmt war durch die Nachfrage frauentypischer Branchen nach jungen, körperlich-psychisch stabilen Arbeiterinnen. Zugleich zeigt sie, dass die Migrantinnen mit Protesten und Streiks durchaus ihre Interessen wahrnahmen und dass andererseits die staatlichen Regelungen völlig außer Acht ließen, dass Arbeitsmigration von Anfang an Familienmigration war. Migrantinnen, auch das wird deutlich, wurden auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt weniger deshalb benachteiligt, weil sie nicht deutsch waren, als vielmehr deshalb, weil sie Frauen waren.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Herausgegeben von Claudia Opitz-Belakhal, Angelika Schaser und Beate Wagner-Hasel
Nicht nur männliche "Gastarbeiter", auch viele Frauen kamen seit 1955 als Lohnarbeiterinnen in die Bundesrepublik. Monika Mattes untersucht erstmals umfassend die auf Frauen zielende Anwerbepolitik, die bestimmt war durch die Nachfrage frauentypischer Branchen nach jungen, körperlich-psychisch stabilen Arbeiterinnen. Zugleich zeigt sie, dass die Migrantinnen mit Protesten und Streiks durchaus ihre Interessen wahrnahmen und dass andererseits die staatlichen Regelungen völlig außer Acht ließen, dass Arbeitsmigration von Anfang an Familienmigration war. Migrantinnen, auch das wird deutlich, wurden auf dem westdeutschen Arbeitsmarkt weniger deshalb benachteiligt, weil sie nicht deutsch waren, als vielmehr deshalb, weil sie Frauen waren.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Gastarbeiterinnen in der frühen Bundesrepublik
Am 10. September 1964 wurde Armando Sa Rodrigues aus Portugal am Kölner Hauptbahnhof als einmillionster Gastarbeiter mit einem Moped als Willkommensgeschenk begrüßt. Nicht nur dieses in beinahe jeder Illustration zur Geschichte der Bundesrepublik enthaltene Bild vom Gastarbeiter ist männlich geprägt, sondern auch die allgemeine Vorstellung vom Arbeitsmigranten. Er holte später, vor allem nach dem Anwerbestopp Ende 1973 - so die verbreitete Auffassung - seine Familie in die Bundesrepublik nach.
Daß schon 1970, bevor die eigentliche Familiennachzugsphase einsetzte, ein Drittel der nichtdeutschen Beschäftigten Frauen waren, die nicht nur in Begleitung ihrer Ehemänner in die Bundesrepublik gekommen waren, daß vielmehr in der Hochzeit der Anwerbungsphase auf nachdrücklichen Wunsch der Unternehmen hin systematisch auch Frauen angeworben wurden, thematisiert das Buch von Monika Mattes. Sie geht von dem bekannten Befund aus, daß der Arbeitskräftemangel in der Bundesrepublik Ende der fünfziger Jahre vor allem im Niedriglohnbereich herrschte. Doch sieht sie diesen Umstand in einer dezidiert geschlechterspezifischen Perspektive. In der Tat waren es in überdurchschnittlichem Maße Frauen, die - schlechter entlohnt als Männer - in diesem Segment des Arbeitsmarktes arbeiteten, der nun in seinem Weiterbestand gefährdet war.
Programmatisch verbindet Frau Mattes daher in dreifacher Hinsicht zwei Aspekte: Sie verknüpft erstens die Anwerbung von Gastarbeiterinnen mit der Mobilisierung von deutschen Frauen als Teilzeitarbeitskräfte, zweitens die ethnische und die geschlechterspezifische Strukturierung des Arbeitsmarktes und schließlich drittens die ökonomische Dimension der Gastarbeiteranwerbung mit einer geschlechterpolitischen. Auf der letzten Ebene ist auch ihre zentrale These einer finalen Beziehung von Zielen und Handeln angesiedelt: "Um trotz des akuten Mangels an Arbeitskräften das Niedriglohnregime des weiblichen Arbeitsmarktes und zugleich das favorisierte Familienmodell stabil zu halten, wurden einerseits für verheiratete Frauen und Mütter deutscher Staatsangehörigkeit Teilzeitarbeit als neuartiges weibliches Erwerbsmodell eingerichtet und parallel dazu andererseits die staatliche Anwerbung voll erwerbstätiger Arbeitsmigrantinnen betrieben."
Was Frau Mattes eindrücklich aufzuzeigen vermag, ist, daß Geschlecht eine zentrale Kategorie der Arbeitsmigration darstellte, vor allem zunächst im Sinne unhinterfragter Implikationen der politischen Kultur. In diesem Sinne überrascht der ausgeprägte Paternalismus kaum, mit dem deutsche Stellen jungen Frauen aus fremden Ländern begegneten - ein solcher Paternalismus prägte das Geschlechterverhältnis in der Bundesrepublik in den sechziger und auch siebziger Jahren allenthalben. Daß der Arbeitsmarkt geschlechtsspezifisch strukturiert ist, liegt ebenfalls auf der Hand. Gerade dort hat sich der Geschlechterunterschied auch während der Bemühungen um Gleichberechtigung seit den siebziger Jahren am längsten gehalten. Vor diesem Hintergrund wurden Gastarbeiterinnen bevorzugt für Beschäftigungen angeworben, die als spezifisch weiblich galten: etwa in der Keksfabrik Bahlsen oder bei Siemens in Fertigungsprozessen der Elektroindustrie, die filigrane Handarbeit erforderten. Vor allem herrschten die geschlechterspezifischen Unterschiede in lohnpolitischer Hinsicht, wurden Frauen doch notorisch schlechter bezahlt als Männer beziehungsweise aufgrund des Gleichstellungsgebotes für Arbeitsplätze verwendet, deren Beschreibung eine niedrigere Entlohnung rechtfertigte. Insofern war die Kategorie des Geschlechts auch Movens für die Anwerbung und Rekrutierung speziell von Frauen. Über die ökonomische und fertigungstechnische Ebene hinaus läßt sich eine gesamtgesellschaftliche Dimension dieser Frauenarbeit im Sinne einer Stabilisierung der tradierten Geschlechterordnung zwar als Folgewirkung benennen. Als dezidierte Intention hingegen läßt sie sich aus den Quellen nicht wirklich nachweisen.
Wenn Frau Mattes über das Verhalten von Migrantinnen feststellt, die "Angeworbenen waren keineswegs ohnmächtig einer anonymen Anwerbermaschinerie ausgeliefert, sondern loteten auf der Basis vorgefundener Bedingungen ihre Handlungsspielräume aus", dann lugen zuweilen Vorurteile hervor, und sie situieren die "geschlechterpolitische Option" zuweilen nicht weniger eher auf seiten der Autorin als der historischen Protagonisten.
Es ist nicht alles ganz so neu und ungesagt, wie sie ihre Ergebnisse präsentiert, auch nicht die geschlechterspezifische und ethnische Strukturierung des Arbeitsmarktes und der Sozialstruktur. Doch hat sie wichtige Phänomene deutlicher herausgestellt. Nicht zuletzt verweisen ihre Ergebnisse von der Selbstorganisation der Migrantinnen gegenüber den Arbeitgebern darauf, daß die deutschen Gewerkschaften - in deren archivalischen Beständen sich auch nichts Nennenswertes finden ließ - eine Vertretung der deutschen Arbeitsplatzbesitzer war. Auch in dieser Hinsicht stößt sie manches weitere Nachdenken an. Und was schließlich ebenfalls nicht neu ist, aber deutlich hervortritt, ist die langfristige Planlosigkeit und Widersprüchlichkeit, mit der die Zuwanderung der Gastarbeiter deutscherseits betrieben wurde.
Die normativen Vorstellungen und Erwartungen gegenüber Gastarbeiterinnen orientierten sich, wie Frau Mattes herausstellt, am uneingeschränkt mobilen, verfügbaren und einsatzbereiten Mann; familiäre Bindungen im Heimat- wie im Gastland, eine "aktive Ausübung der Ehefrauen- und Mutterrolle war nicht vorgesehen". Als zeitlich befristet gedachte "Gastarbeit" in millionenfache dauerhafte Einwanderung überging und ein fundamentaler demographischer Strukturwandel in Gang kam, herrschte auf offizieller deutscher Seite über Jahrzehnte hinweg kaum anderes als Verlegenheit - nicht gerade ein Kapitel aus der "Erfolgsgeschichte" der Bundesrepublik.
ANDREAS RÖDDER
Monika Mattes: Gastarbeiterinnen in der Bundesrepublik. Anwerbepolitik, Migration und Geschlecht in den fünfziger bis siebziger Jahren. Campus Verlag, Frankfurt 2005. 343 S., 37,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
22.05.2006, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Das Niedriglohnregime: "Was Frau Mattes eindrücklich aufzuzeigen vermag, ist, daß Geschlecht eine zentrale Kategorie der Arbeitsmigration darstellte."
19.06.2006, Süddeutsche Zeitung, Fingerfertig und billig: "Mattes zeigt zielsicher die blinden Flecken in der Erforschung der Anwerbepraxis auf. Für die Migrationsforschung bedeutet dies, Aspekte der Geschichte der Einwanderung neu diskutieren zu müssen."
19.06.2006, Süddeutsche Zeitung, Fingerfertig und billig: "Mattes zeigt zielsicher die blinden Flecken in der Erforschung der Anwerbepraxis auf. Für die Migrationsforschung bedeutet dies, Aspekte der Geschichte der Einwanderung neu diskutieren zu müssen."
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Durchaus instruktiv erscheint Andreas Rödder diese Arbeit über Gastarbeiterinnen in der frühen Bundesrepublik von Monika Mattes. Er bescheinigt der Autorin, die zentrale Bedeutung der Kategorie des Geschlechts in der Arbeitsmigration hinsichtlich der Anwerbungspolitik, der geschlechterspezifischen Beschäftigung auf dem Arbeitsmarkt oder der Entlohnung zu erhellen. So verdeutliche Mattes etwa die geschlechterspezifischen Unterschiede in der Lohnpolitik. Dass die Ergebnisse dieser Untersuchung etwa im Blick auf die geschlechterspezifische und ethnische Strukturierung des Arbeitsmarktes und der Sozialstruktur nicht unbedingt brandneu sind, will Rödder nicht verschweigen. Dennoch lobt er die Autorin, weil sie bedeutende Phänomene klarer herausstellt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Das Niedriglohnregime
"Was Frau Mattes eindrücklich aufzuzeigen vermag, ist, daß Geschlecht eine zentrale Kategorie der Arbeitsmigration darstellte." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.05.2006)
Fingerfertig und billig
"Mattes zeigt zielsicher die blinden Flecken in der Erforschung der Anwerbepraxis auf. Für die Migrationsforschung bedeutet dies, Aspekte der Geschichte der Einwanderung neu diskutieren zu müssen." (Süddeutsche Zeitung, 19.06.2006)
"Was Frau Mattes eindrücklich aufzuzeigen vermag, ist, daß Geschlecht eine zentrale Kategorie der Arbeitsmigration darstellte." (Frankfurter Allgemeine Zeitung, 22.05.2006)
Fingerfertig und billig
"Mattes zeigt zielsicher die blinden Flecken in der Erforschung der Anwerbepraxis auf. Für die Migrationsforschung bedeutet dies, Aspekte der Geschichte der Einwanderung neu diskutieren zu müssen." (Süddeutsche Zeitung, 19.06.2006)







