Die Ich-Erzählerin reist mit ihrem Vater in ein südeuropäisches Land. Ziel der Reise ist eine Pension in einer verlorenen Gegend, wo ihre Halbschwester lebt. Sie hat die uneheliche Tochter des Vaters noch nie gesehen. Um seine Ehe nicht zu gefährden, hatte der Vater keinen Kontakt zu Maries Mutter. In der abgeschiedenen Pension, die Maries Mutter betreibt, und in der noch Maries Halbbruder Fabian, eine Frau und ein Mann wohnen, geraten die Neuankömmlinge in ein Machtspiel, das durch ihre Ankunft aus dem Gleichgewicht zu geraten droht. Eine Vereinigung der Familienhälften scheint unmöglich, die Atmosphäre feindlich. Die Isoliertheit, in die sich Vater und Tochter auf diesem Grundstück begeben haben, wird zur Falle. Die Erzählerin fürchtet, ihren über die Grenzen des Familiären hinaus geliebten Vater an Marie zu verlieren. Die emotionale Bedrohlichkeit der Situation spiegelt sich in der bis zur Unheimlichkeit gesteigerten Wahrnehmung der Ich-Erzählerin. Am Schluß verläßt sie die Gegend, allein. Ob ihr die Ablösung vom Vater geglückt ist, bleibt offen.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
In diesem "abgründigen" Roman Nora Bossongs erfüllt ein dem Buch vorangestelltes Bibelzitat zu Lot in den Augen von Anne Kraume gleich zwei Funktionen. Zum einen hilft es dem Leser, das Geschehen, das kommentarlos und ohne kausale Zusammenhänge präsentiert wird, einzuordnen und zu verstehen, zum anderen setzt es den lakonischen Ton des Buches, in dem teils seltsame Dinge geschehen, ohne dass je erklärt würde. Eine Tochter erzählt, wie sie mit ihrem Vater und ihrer zunächst unbekannten Halbschwester zur Pension der Mutter fahren, um dort gemeinsam Zeit zu verbringen. Ein Familienroman ist das nicht, meint Kraume, und wenn, dann ein sehr sparsamer. Sie spricht eher von einer "Versuchsanordnung", in der die Familienmitglieder miteinander reagieren, und fühlt sich durch den kompakten Stil an Bossongs Herkunft aus der Lyrik erinnert, alles ist "sehr knapp, sehr klar, sehr verdichtet". Was im Zusammenspiel mit der rätselhaften Handlung aber zur "fremden Magie" des Romans beiträgt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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