Er heißt Dick Olsson und ist ein erfolgreicher Werbefachmann. Wie Gustafsson selbst stammt er aus Västmanland und wohnt in Austin, Texas. Sie nennt sich Eleonora und kommt zweimal die Woche zum Putzen in seine Villa. Sie ist eine illegale Einwanderin aus Kolumbien und gehört zu einer anderen Welt: der Welt der Armen und Ausgestoßenen. Obwohl sie nicht eigentlich schön ist, fühlt Dick sich doch auf eigenartige Weise zu ihr hingezogen. Gerade als er eine Liebschaft mit ihr beginnt, erhält er die Nachricht, dass seine Mutter in Stockholm gestorben ist. Also begibt er sich auf Europareise. Doch Eleonora geht ihm nicht aus dem Sinn. Wird sie bei seiner Rückkehr auf ihn warten? - Das durchaus komische Abbild männlicher Liebes- und Glückssuche.
Lars Gustafsson hat ein Geheimnis · Von Wilhelm Kühlmann
Dick Olsson heißt der Held dieses Romans. Er stammt aus Schweden, wohnt jedoch in Austin (Texas), kennt sich aus in E-Mail und Internet und wird sogar von fragwürdigen exotischen Regierungen als Werbefachmann angeheuert. Selbstverständlich plagt ihn, während er im Flugzeug von Termin zu Termin hetzt, manchmal die Frage, wo denn sein eigentliches Zuhause sei. Einige kümmerliche Requisiten im texanischen Bungalow stören zwar gelegentlich Reste von Erinnerungen auf, doch gleichen sie jenen Spinnrädern, die in Luxusküchen herumstehen und längst Verschollenes repräsentieren.
Immerhin haben wir es nicht nur mit einem smarten Geschäftsmann zu tun, sondern auch mit einem Menschen, der bei der Zeitungslektüre über den Wolken auf "inkorrekte" Gedanken verfällt: über die wirtschaftlich kranken Städte, die ihre Agonie im Kulturbetrieb verdecken, über die Differenzen amerikanischer und europäischer Lebensgewohnheiten oder über Erkenntnisse, die dem Wagnerliebhaber bei spätromantischer Musik durch den Kopf gehen. Manchmal scheint das Wissen des Herrn Olsson seltsamerweise sogar mit dem Bildungsgut des Autors zu verschmelzen. Wie anders wäre zu erklären, daß Rilke und Thomas Mann zitiert werden? In ihrem Schatten läßt sich sogar immer wieder die Frage nach dem, was eigentlich hienieden zu wissen not tut, benennen und scheu umkreisen: für einen Werbefachmann eine geradezu geschäftsschädigende Herausforderung.
So verwundert es nicht, daß Olssons gut geölte Lebensmaschine gelegentlich ins Stottern gerät, und zwar dort, wo eigentlich nur Alltagsroutine zu erwarten ist. Es gibt einen Augenblick, in dem Olsson seine kolumbianische Putzfrau, wahrlich keine Schönheit, einmal nicht nur mit dem Auge des Brötchengebers betrachtet. Das hat Folgen, legt die Spuren einer uneingestandenen Bindung, ja Liebe. Olsson nimmt unversehens Anteil an dieser Frau, die von den Einwanderungsbehörden eigentlich nicht geduldet werden darf. Ein abstraktes soziales Problem offenbart seine menschlichen Seiten, seinen sonst so beharrlich verschwiegenen Grad an Unbarmherzigkeit. Olssons Entdeckung von Liebe über den Sex hinaus ist auch nicht mehr recht zu vergleichen mit dem Inhalt jener E-Mail-Briefe, an denen sich manchmal eine langbeinige Schönheit in Houston erfreuen darf.
Schlimmer noch: Während sich dieses Gefühlsproblem an der Grenze von Rassen und Klassen aufbaut, stirbt im fernen Schweden Olssons alte Mutter, gerade noch behelfsmäßig von einer Sozialstation betreut. Gustafsson legt Wert darauf, ein Tabuthema als solches erscheinen zu lassen. Denn er zeigt die Verwirrung, in der sich verjährte Rituale von Pflichtbewußtsein in einer düsteren Leere der Beziehungslosigkeit erhalten haben. Immerhin läßt sich Olssons notwendiger Flug nach Europa noch mit Geschäftsverbindungen kombinieren.
Schwieriger erscheinen dann der Gang durch die karge Wohnung der Verstorbenen und die heikle Begegnung mit uralten Verwandten aus Anlaß der Beisetzung, auch der Umgang mit idyllischen Erinnerungen an knabenhafte Abenteuer, die zu Bildern wie auf alten Fotos gerinnen. Olsson weiß, was sich gehört, und wickelt alle fatalen Geschäfte, die ein Todesfall mit sich bringt, sehr korrekt ab. Nur die Ironie des Erzählers, manchmal in Töne von Sarkasmus getaucht, und die suggestive Gewißheit, elementar Menschliches nur noch in uneigentlicher Form vorführen zu können, deuten auf die Trauer, ja die Gesten eines epochalen Abschieds hin, von denen dieser so leicht zu lesende Roman durchzogen ist.
Darüber kann auch eine flüchtige Liebesromanze kaum hinwegtäuschen, die Olsson auf der anschließenden Reise in Deutschland, nach Berlin und nach Provinzplätzen wie Jüterbog erlebt. Die Affäre mit Irena bestärkt eher noch das Gefühl, "Teil eines Puzzles" zu sein, "das nirgendwo hinpaßt" - wäre da nicht Eleonora, die Kolumbianerin. Ihr gelten zum Schluß des Romans Versuche, die eigene Einsamkeit zu überwinden, indem sich "zwei Einsamkeiten" ganz verschiedener Art trösten. Darin verbirgt sich der "Hoffnungsschimmer" für den Werbefachmann, dem sein eigenes Image ins Wanken geriet, und für ein happy ending der Geschichte jenseits des Erzählten.
Gustafsson vermeidet laute Töne, weil er die Lebenswelt ernst nimmt, die einen Menschen gefangenhält. Olsson verkörpert den verbreiteten Menschentypus, dem es gutgeht und dem erst die Zunge gelöst werden muß, damit zur Sprache kommt, was ihm versagt bleibt. Indem dieser Text Spielarten der Liebe und das unerhörte Ereignis des Todes als Ausschnitte eines erfolgreich-öden Lebensvollzugs herausstellt, rückt er Verdrängtes in den Mittelpunkt einer nur scheinbar banalen Erzählung. Wie sich in dieser Banalität Ansätze der Reflexion und Momente der Erkenntnis breitmachen, die den texanischen Geschäftsmann seinem Spiegelbild entfremden, darin ist nicht nur die Begabung eines großen Erzählers, sondern auch die Haltung eines bisweilen erfreulich altmodischen Moralisten zu entdecken.
Lars Gustafsson: "Geheimnisse zwischen Liebenden". Roman. Aus dem Schwedischen übersetzt von Verena Reichel. Carl Hanser Verlag, München, Wien 1997. 220 S., geb., 36,-DM.
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