Produktdetails
  • Verlag: Schäffer-Poeschel
  • Seitenzahl: 264
  • Abmessung: 270mm
  • Gewicht: 880g
  • ISBN-13: 9783791015569
  • ISBN-10: 3791015567
  • Artikelnr.: 24849770
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.09.1999

Konkursreif und nicht börsenfähig
Den deutschen Staat an den Kriterien der ökonomischen Effizienz gemessen

Peer Ederer/Phillip Schuller: Geschäftsbericht Deutschland AG. Schäffer-Poeschel Verlag Stuttgart 1999, 256 Seiten, 49,80 DM.

Für Unternehmen ist es eine Selbstverständlichkeit: Jede Aktiengesellschaft ist gesetzlich verpflichtet, ihren Aktionären ausführlich Bericht über ihre Geschäftstätigkeit und ihre finanzielle Lage zu erstatten. Schließlich möchten die Aktionäre erfahren, was das Unternehmen mit ihrem Geld angestellt hat, das sie ihm gegen das Versprechen einer Dividendenzahlung überlassen haben. Da Missmanagement den Umfang der Dividendenzahlung - und damit den Ertrag der Anlage in das Unternehmen - reduziert, werden die Aktionäre einen Vorstand, der nicht sorgfältig mit ihrem Geld umgeht, die Entlastung verweigern. In diesem Buch wird eine Parallele zwischen Aktiengesellschaften und dem Staat gezogen: Die Bürger leisten Steuern und Beiträge an das Gemeinwesen, die man als Investition in den Staat betrachten könne, und sie hätten deshalb ein Recht darauf, zu erfahren, wie mit ihren Geldern gewirtschaftet wird. Im "Geschäftsbericht Deutschland AG" unterziehen die Autoren Peer Ederer und Philipp Schuller die staatliche Tätigkeit einer Wirtschaftlichkeitsprüfung - in der Weise, als handelte es sich bei der Bundesrepublik um eine Aktiengesellschaft.

Sicherlich kann man Einwände gegen die von den Autoren gewählte Betrachtungsweise erheben: Der Staat ist wegen der besonderen Eigenschaften staatlicher Leistungen auf einigen Gebieten konkurrenzlos, und ein Teil der "Aktionäre" ist bei der Deutschland AG angestellt, was zu Interessenkonflikten bei der Bezahlung ihrer Leistungen führen kann. Auch verkauft der Staat einen Großteil seiner Leistungen an die eigenen Aktionäre, was bei Aktiengesellschaften in einem solchen Umfang nicht der Fall sein dürfte. Zudem ist eine "Anlage" in der Deutschland AG in der Regel nicht freiwillig und bestimmt sich in ihrer Höhe nach Kriterien, die sich zum großen Teil den Gestaltungsmöglichkeiten des Anlegers entziehen. Und schließlich ist der Staat wegen seines Gewaltmonopols in der Lage, sich jederzeit weitere Einnahmen zu verschaffen.

Aber vor allem die letzten beiden Argumente erfordern eine Betrachtung der staatlichen Tätigkeit unter Effizienzgesichtspunkten: Wer sich fremde Mittel über Gesetze verschaffen kann, dem obliegt eine besondere Sorgfaltspflicht bei der Verwendung und dem Einsatz dieser Mittel. Die Tatsache, dass die Aktionäre der Deutschland AG ihrem Unmut über unzureichende Leistungen ihrer Volksvertreter nur alle vier Jahre Luft machen können, bekräftigt diese Notwendigkeit. Insofern macht ein solcher Vergleich nicht nur Sinn, sondern scheint dringend geboten.

Das Fazit des Geschäftsberichtes sollte den Vorstandsmitgliedern der Deutschland AG Unbehagen stiften: Im Hinblick auf die Finanzen wird der Bundesrepublik attestiert, dass sie - wäre sie ein privates Unternehmen - Konkurs anmelden müsste; unter den heutigen Bedingungen sei der "Geschäftswert" des Unternehmens Deutschland AG negativ. Auch den Sozialsystemen wird kein gutes Zeugnis ausgestellt: Um alle zukünftigen Ansprüche an diese Systeme zu decken, hätte die Bundesrepublik bisher Rückstellungen von 7600 Milliarden DM erwirtschaften müssen, schreiben die Autoren. Auch in anderen wichtigen Bereichen staatlichen Handelns entdecken sie erhebliche Missstände: Nach Effizienzgesichtspunkten fördere man im Bildungswesen die falschen Fächer; die Kameralistik als Buchhaltungssystem der öffentlichen Hand erlaube keine effektive Zuweisung von Verantwortung und gebe keine Auskünfte über Effizienz der Aktionen; in der Entwicklungshilfe sei keine klare Zielsetzung zu erkennen, und im Verwaltungsbereich steckten erhebliche Kosteneinsparungspotentiale. Das Fazit des Buches lautet: Die Deutschland AG ist zur Zeit nicht börsenfähig.

Systematisch zeichnen Ederer und Schuller Stärken und Schwächen der wichtigsten staatlichen Aufgaben nach und zeigen Handlungsbedarf und Handlungsoptionen für die Zukunft. Viele informative Grafiken und Schaubilder illustrieren die Argumente der Autoren anschaulich und laden zu weiteren Diskussionen ein. Insgesamt gibt das Buch einige interessante Anstöße zu einer notwendigen Reformdiskussion. Dass sich das Buch zuweilen etwas mühsam liest, liegt daran, dass Ederer und Schuller in ihrer Wortwahl durchgängig an dem Bild des Staates als Unternehmen festhalten. Den Ersten Weltkrieg als "unerbittlich geführten Wettbewerb" und die nationalsozialistische Machtübernahme als "Management-Buy-out" zu bezeichnen sind unschöne Auswüchse des sprachlichen Beharrens auf dem gewählten Bild, was nicht unbedingt notwendig gewesen wäre. Dennoch gilt: Was das Buch lesenswert macht, ist die Betrachtung der aktuellen Wirtschaftspolitik durch die unbestechliche Brille der Effizienz fernab ideologisch gefärbter Vorurteile - wie es sich für einen Geschäftsbericht gehört.

HANNO BECK

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr