Im Zeitalter der Aufklärung beginnen die Philosophen von einem Sex in der Ehe zu träumen, der dem bürgerlichen Ideal der Freiheit entspricht. Nicht die triste Pflichterfüllung, wie sie im Eherecht gefordert war, sondern ein »zärtliches« Verführungsspiel sollte von jetzt an zum Liebesakt führen. Schmerzhaft genau zeichnet Johannes Kleinbecks Geschichte der Zärtlichkeit nach, von welchen Sehnsüchten und Ängsten Rousseau, Kant, Hegel und später auch Freud angesichts einer freien Aushandlung des Beischlafs heimgesucht worden sind. In ihren rastlosen Ausführungen zu der Frage, wie Frauen Zärtlichkeit äußern dürfen und wie nicht, entdeckt er ein Kernstück bürgerlicher Philosophie, das sich nicht von einer spezifisch modernen Form patriarchaler Machtausübung trennen lässt. Die zunehmende Entrechtung des ehelichen Beischlafs geht mit dem Beginn einer Entwicklung einher, die uns bis heute umtreibt: Die männlichen Privilegien finden sich immer weniger ausschließlich über rohe Gewalt oder die Zwänge des Rechts, dafür aber immer mehr über ein dem Anschein nach freies Spiel von Blicken, Gesten und Worten abgesichert.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Dass Sex nicht nur Privatsache, sondern auch gesellschaftlich-philosophisches Diskussionsthema ist, zeigen Rezensentin Marie Schmidt zwei Neuerscheinungen von Manon Garcia und Johannes Kleinbeck. Der Literaturwissenschaftler Kleinbeck wählt einen historischen, und wie er selbst einräumt, rein männlichen Zugriff vor allem mit den Philosophen der Aufklärung: Rousseau, Kant, Hegel, Freud zeigen ihm, wie die "Geschichte der Zärtlichkeit" in all ihrer "epistemischen Ungerechtigkeit" funktioniert hat. Dafür wirft er laut Schmidt auch immer wieder anregende Blicke auf das Privatleben der Denker, etwa in Freuds Brautbriefen, um herauszuarbeiten, dass Zärtlichkeit im 18. und 19. Jahrhundert vor allem all jene auszuhandelnden zwischenmenschlichen Austauschprozesse bezeichnete, die der Aushandlung des Beischlafs dienten und die Rollenverteilungen definierten. Für die Kritikerin liest es sich so, dass es immer auch um das "Nein" geht, das für lange Zeit - und vielleicht auch nach wie vor - irgendwie dazuzugehören schien. Ein Buch, das Schmidt auch die lange, tiefe Verankerung von patriarchalen Rollenvorstellungen klarmacht und betont, wie wichtig es ist, kontinuierlich im Gespräch zu bleiben, um guten Sex möglich zu machen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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