Produktdetails
  • Verlag: Eichborn
  • Seitenzahl: 330
  • Abmessung: 32mm x 130mm x 218mm
  • Gewicht: 478g
  • ISBN-13: 9783821808918
  • ISBN-10: 3821808918
  • Artikelnr.: 09833491
  • Herstellerkennzeichnung
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2002

Streicheln nach Dienstschluß
Auf dem Rücken der Pferde: Petra Morsbachs dritter Roman

Heute hüh, morgen hott, lautet ein alter Spruch der Resignation: Nele Hassel, einige Jahre vor der Pensionierung und alleinstehend, hat ihn verinnerlicht. Sie erwartet nicht mehr viel vom Leben: Hauptsache, sie schafft es bis zur Rente. Sie ist pflichtbewußt, bescheiden und fleißig, muß aber dennoch hinnehmen, daß eine Konkurrentin sie aus ihrer langjährigen Stellung in einem Altersheim verdrängt. So wird sie Köchin auf dem Erlhof. Die Leitung der dortigen Großküche entpuppt sich als idealer Beobachtungsposten eines turbulenten Reiterkosmos.

Der Reiterhof gehört Hemjö Crove. Seine junge Frau Gesine und er führen den Erlhof mit straffer Hand und ohne Skrupel. Nele beobachtet mit ungebrochener Faszination über Jahre, wie Gesine und Crove Pensionsgäste und Angestellte verächtlich behandeln und um jeden Pfennig betrügen - und immer wieder damit durchkommen. An ihrem sicheren Platz in der Küche wird sie Zeugin der Trennungen und der zweckdienlichen Versöhnungen des Paars, durchschaut die zwielichtige Rolle, die ihre Kollegin Inge darin spielt. Nele kennt alle menschlichen Dramen auf dem Hof - und tut gewissenhaft ihre Arbeit. Nicht, daß sie von den Intrigen und Ungerechtigkeiten unberührt bliebe. Nach der Schufterei schreibt sie die Ereignisse des Tages auf, in ihrem lakonischen Ton und einfachen, deutlichen Worten. Diese Art des Verarbeitens erinnert sie an eine frühere Zeit, in der sie ebenfalls Tagebuch führte: während ihrer schwierigen Ehe mit dem Gutsbesitzersohn Cornelius. Ihre Rückblicke wechseln sich ab mit ihren Schilderungen der soap-opera Erlhof und geben dem banalen Auf und Ab so immerhin eine tiefere Dimension.

"Einerseits freue ich mich auf die Rente, andererseits bedaure ich, daß ich nicht miterleben werde, wie es mit Croves endet", schreibt Nele einmal. Ähnlich fühlt auch der Leser, der gemeinsam mit Nele das so offenkundig miese Spiel der Croves einerseits rasch durchschaut und davon zunächst verblüfft, dann amüsiert und schließlich angewidert ist - und der zugleich fürchten muß, daß es im Ruhestand Neles gänzlich langweilig werden würde.

Petra Morsbach versteht es, ein ganz bestimmtes Milieu lebendig zu schildern - das hat sie mit ihrem zweiten Buch, dem "Opernroman" eindrucksvoll bewiesen. Diesmal hat sie sich als Szenerie das norddeutsche Reitermilieu vorgenommen: ein gewagter, ein ungewöhnlicher Sprung von der Boheme. Doch auch die Figuren ihrer "Geschichte mit Pferden" sind authentisch: die durchtriebene, geldgierige Gesine Crove, die ihren Mann immer wieder und gegen dessen besseres Wissen um den Finger wickelt; der egozentrische, cholerische Hemjö Crove, der Konflikte entweder niederbrüllt oder meidet; Neles Kollegin Inge, die über die Parvenü-Herrschaft lästert, aber keine Gelegenheit ausläßt, sich bei ihr einzuschleimen; die bauernschlaue Putzhilfe Frau Ahrns. Keine der Personen verkommt bei Morsbach zum Klischee, obwohl Klischees von diesem Roman durchaus bedient werden.

Wer hinter dem Titel "Geschichte mit Pferden" nicht nur Menschen, sondern auch Tiere vermutet, sieht sich enttäuscht. Morsbach nimmt der Welt der Reiter und Pferde vielmehr ihre vordergründige Robustheit und entlarvt sie als normalen Jahrmarkt der Eitelkeiten, auf dem die Tiere nur als Staffage dienen. Von Tierliebe oder gar Naturverbundenheit jedenfalls fehlt auf dem Erlhof jede Spur: Pferde sorgen vor allem für Gesprächsstoff - dem "andalusischen Starhengst" zum Beispiel wird wiederholt die Mähne abgesäbelt, das millionenteure Pferd der Olympiareiterin bekommt gleich am ersten Tag eine schwere Kolik, der alte Benno, das gescheckte Pony, das immer den Planwagen zog, kommt zum Schlachter statt zum Tierarzt. Nur ein einziges Mal in ihrer Erlhof-Zeit begegnet Nele einem echten Pferd: eine Offenbarung. "Mich verblüffte die Weichheit seiner Nüstern und Lippen, bei dem Riesenvieh; ich überlegte, ob ich es streicheln soll. Schließlich streichelte ich. Es war ja nach Dienstschluß. Das Pferd stellte die behaarten Ohren auf, was sehr gewinnend aussah." Mit dem mißhandelten Hund der Croves, Nelson, hat sie Mitleid - aber nur "abstrakt". In Wirklichkeit hat sie Angst vor ihm.

Woran liegt es, daß man Morsbachs Roman zwar gern liest, ihn aber dennoch mit einem Gefühl der Enttäuschung aus der Hand legt? Vielleicht weil man bis zum Schluß auf eine Entwicklung, eine Katharsis wartet, die nicht stattfindet. Das Leben geht seinen Gang, mal hüh, mal hott. Mit Nele quält man sich durch die Monate und Jahre auf dem Erlhof, mangels anderer Entwicklungen angetrieben einzig von einer negativen Neugier auf Menschen, die einen im Grunde nicht interessieren. Nele hat am Ende etwas erreicht: Sie hat ihre unglückliche Ehe aufgearbeitet und sich den Ruhestand redlich verdient. Sie ist zufrieden. Der Leser, der mehr von einem Roman erwartet als Nele vom Leben, ist es nicht.

FELICITAS VON LOVENBERG

Petra Morsbach: "Geschichte mit Pferden". Roman. Eichborn Verlag, Frankfurt am Main 2001. 330 S., geb., 20,90 .

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Enttäuscht hat Felicitas von Lovenberg diesen Roman aus der Hand gelegt. Zwar verstehe es die Autorin, das Milieu lebendig zu schildern, und auch ihre Figuren findet die Rezensentin durchaus authentisch. Vor allem Protagonistin Nele, ihres Zeichens Köchin auf dem Erlenhof, aus deren Sicht die Geschichte des Reiterhofes erzählt wird. Aber es fehlt doch an einer echten Entwicklung, so Lovenberg.

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