Arnstadt, Thüringen, Ende der 70er Jahre. In einem Heim für behinderte Jugendliche beschließen drei Freunde, die sich kaum bewegen können: Wir brechen aus. Von Rente und Pflegegeld wollen sie sich Pfleger finanzieren, ein Haus bekommen sie von der Kirche - das alte Pfarrhaus in Hartroda, im Altenburger Land. So beginnt die Geschichte einer Kommune, die völlig aus der Zeit und aus dem Land gefallen ist. Die einen bekommen Hilfe, die anderen Asyl - vor der Schinderei im Staatsbetrieb, vor einem Leben im stupiden Kreislauf von Arbeiten, Saufen, Schlafen. Eine Gemeinschaft der Gleichen, in der alles geteilt wird - Geld und Bücher, Platten und Bier, aber auch alle Gebrechen. Eine Gemeinschaft der Aussortierten, die sich mit Witz und Chuzpe das Undenkbare erkämpft: ein selbstbestimmtes Leben, vielleicht sogar Freiheit. Unter dem Schirm der Kirche wird sie, so scheint es zumindest, vom DDR-Apparat in Ruhe gelassen.Intellektueller Kopf der Gemeinschaft ist Gruns. Er wird vom schweigsamenMozek gepflegt, der vom Dachboden aus internationale Fernschachturniere bestreitet und sich über seine Vergangenheit bedeckt hält. Denn Mozek, ehemaliger Grenzer, ist auf der Flucht vor der eigenen Schuld.»Ich hab meine Sache auf nix eingestellt / auf gar nix, überhaupt nix«, heißt es in einem Lied der Band Mischpoke, die zum Freundeskreis der Kommune gehört. Als die DDR zusammenbricht, wird deutlich, dass es auch die Mauer war, die die Gemeinschaft von Hartroda zusammengehalten hat.
»Wer zwei Kästen Bier hat, mache einen zu Geld und schaffe sich dieses Buch an.« Bov Bjerg »Karsten Krampitz gehört zu den besten Kennern der DDR-Spätphase.« Christian Schröder, Tagesspiegel, über »1976. Die DDR in der Krise«
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Cornelius Wüllenkemper staunt über Karsten Krampitz' eigenwilliges Buch. Der "Kenner der Widerstands- und Kirchenszene der späten DDR" widmet sich darin halb historisierend, halb fiktionalisierend einer Subkultur der DDR, nämlich der Schwerbehindertenkommune Hartroda, die 1978 in Nordthüringen von Matthias Veraldi (im Roman: Marko Grunstetter, kurz "Gruns") gegründet wurde, mit dem Traum, ein freies, selbstbestimmtes und unüberwachtes Leben zu führen - was auch etwa Punks oder Kriegsdienstverweigerer anzog. Wie Krampitz das Leben dort schildert, als ein "ursprünglich christlich grundiertes, dann aber zunehmend weltlich-lustbetontes", findet der Kritiker überwiegend anregend, nur manchmal etwas "kokett direkt", wenn Gruns sich etwa arg freimütig über das Thema Selbstbefriedigung auslässt. Auch die Fiktionalisierungen - zum Beispiel die Umgestaltung der realen Hochzeit zwischen einem Punk und einer Schwerbehinderten - können durchaus etwas "akrobatisch" ausfallen, meint Wüllenkemper. Trotzdem lobt er die literarische Verdichtung, das "leichtfüßige Parlando" und die Sachkenntnis des Autors, die ihn vor der Romantisierung bewahre.
© Perlentaucher Medien GmbH
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