Als die Ethnologin Heike Behrend nach der Wende das Haus ihres Großvaters besucht, stößt sie am Arendsee in der Altmark auf den christlichen Propheten Gustaf Nagel, der 1874 im Kaiserreich geboren wurde und 1952 in einer Irrenanstalt in der DDR starb. Als Teil der Lebensreformbewegung war der deutschnationale Prophet sein Leben lang vielfältiger Verfolgung ausgesetzt. Anhand seiner Selbstbilder auf Postkarten und seiner Texte, die lokale Heimatforscher bereits zu DDR-Zeiten gesammelt und archiviert haben, sowie in Gesprächen mit ihnen und dem Toten entwirft Heike Behrend Gustaf Nagels Biografie. Sie erzählt darin auch von Konflikten, von Zusammenarbeit und Freundschaft in einer Gegenwart, in der die Enttäuschung und Unzufriedenheit über die Wiedervereinigung auch bei den Bewohnern der Altmark in neuen Formen der Selbstbehauptung ihren Ausdruck findet. Im Dialog mit ihnen lernt sie nicht nur, in ihren Fragen die eigene Fraglichkeit zu erkennen, sondern auch, was es heißt, gemeinsam und solidarisch ethnografisches und historisches Wissen zu erzeugen.
Auf den Spuren eines verfemten Propheten zeichnen diese Gespräche mit einem Toten das Bild der Lebensreformbewegung, ihrer schillernden Protagonisten, aber auch Schattenseiten, machen die Fotografie als widerständige Praxis begreifbar, ergründen die Heimatgefühle vor und nach der Wende und zeigen, was es heißt, nahe Fremde nicht zu Anderen zu machen.
Auf den Spuren eines verfemten Propheten zeichnen diese Gespräche mit einem Toten das Bild der Lebensreformbewegung, ihrer schillernden Protagonisten, aber auch Schattenseiten, machen die Fotografie als widerständige Praxis begreifbar, ergründen die Heimatgefühle vor und nach der Wende und zeigen, was es heißt, nahe Fremde nicht zu Anderen zu machen.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Ein reichhaltiges, vielseitiges Buch hat Heike Behrendt über Gustaf Nagel geschrieben, versichert Rezensent Nico Bleutge. Nagel war ein christlicher Prophet, der sich selbst als Nachfolger Christi inszenierteBehrendt zeichne den Lebensweg Nagels nach, den Bruch mit der Familie und einem bürgerlichen Lebensweg sowie die Einflüsse der Lebensreformbewegung auf das naturmystische Denken des Propheten. Geschickt verknüpft die Autorin Ethnologie mit erzählerischen Techniken, auch die abstrakteren Überlegungen verlieren sich nie in bloßer Begriffsartithmetik - und vor allem nimmt sie Nagel durchweg ernst, auch in seinen fragwürdigen Ansichten, die unter anderem Frauen und Deutschtümelei betreffen. Sie zeichnet das Porträt eines Menschen, der in kein politischen System, vom Wilhelminismus bis in die DDR, wirklich hineinpasste. Nicht zuletzt gelinge es ihr die Aktualität Nagels aufzuzeigen und außerdem deutlich zu machen, wie Geschichtsschreibung immer Lehrstellen schafft. Besonders toll findet der Rezensent das Schlusskapitel, das sich der Nagel-Forscherin Christine Meyer und allgemeiner den "Heimatforschern" widmet, einer Gruppe von Wissenschaftlern, die vom Rest der akademischen Gemeinschaft nicht ernst genommen werden. Insgesamt also ein großer Wurf!
© Perlentaucher Medien GmbH
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