Produktdetails
- Verlag: Hoffmann und Campe
- 2. Aufl.
- Seitenzahl: 527
- Deutsch
- Abmessung: 215mm x 148mm x 47mm
- Gewicht: 800g
- ISBN-13: 9783455111545
- ISBN-10: 3455111548
- Artikelnr.: 07557688
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Günter Wands Karriere in, gegen, trotz und nach Köln
Wer sich nicht vermarktet, den bestraft der Musikbetrieb. Ein Dirigent etwa, der kapellmeisterlich werktreu fast drei Jahrzehnte an einem Ort den Komponisten dient, statt sich selbst publicitywirksam zu den Sternen am Interpretenhimmel hochzuschleudern, bleibt brav am Boden. Wer nicht bei mindestens zwei Spitzenorchestern Pultchef ist und außerdem kreuz und quer auf dem Globus, gestern hier, morgen dort, gastiert, wird als zeitgeistfremd belächelt; wer so gewissenhaft probt, daß auch Altgedientes von Beethoven, Schubert oder Bruckner bis in die Klangwinkel hinein wie neu geboren erscheint, gilt als unbequem und muß - falls auf Lebenszeit beamtet - mit möglichst wenig Aufsehen zugunsten beweglicherer Pultsprinter mit sogenanntem großen Namen aus dem Amt gehebelt werden.
Dies widerfuhr dem Kölner Gürzenich-Kapellmeister Günter Wand, der sich auf seine diskrete Art über Wuppertal, das ostpreußische Allenstein, Detmold und ein Salzburger Nachkriegs-Intermezzo zum Erneuerer des Kölner Opern-, bald auch Konzertlebens emporgedient hatte. Gedankt wurde es dem "Schwierigen", der mit hohem Anspruch an sich und seine Umwelt kompromißlos an Unabhängigkeit und unerbittlichem künstlerisch-menschlichem Ethos festhält, von den ehrgeizigen Kölner Kulturmachthabern mit der Nötigung zur Frühpensionierung 1974. Ein Absprung ins Hohe, Freie: Nach acht Aufbaujahren beim Sinfonieorchester in Bern begann der Siebzigjährige als Chefdirigent beim Hamburger NDR-Orchester erst eigentlich seine internationale Karriere. Erst jetzt wurde er auch von den Medien gebührend wahrgenommen, ja im Gegenzug zu jahrzehntelanger Geringschätzung zur Taktstock-Ikone, zum Bruckner-Heiligen verklärt.
Daß erst jetzt eine umfassende Biographie auf den Markt kommt, bestätigt die allzu späte, längst verdiente Aufmerksamkeit für diesen Unangepaßten. Wolfgang Seifert, ehemaliger Hauptabteilungsleiter Musik beim Westdeutschen Rundfunk, hatte Wand in Köln so lange und so nahe vor Augen und Ohren, daß er fast jeden Schritt, jeden Augenblick in Leben, Wirken und Umweltkonflikten des Künstlers dokumentarisch belegen kann. Bewundernswert ist die akribische Recherche, die auch noch nebensächliche Details zutage fördert.
Als getreuer, bewundernder Gefolgsmann gibt Seifert auch entlegenem Archivmaterial Gewicht und wendet es kommentierend nach allen Seiten, vor allem, wenn es um die endlosen Kölner Kulturquerelen geht. Zwar ist diese quälende Anti-Wand-Kampagne ein absurdes, leider nicht untypisches Lehrbeispiel für unbedarfte Kulturpolitik. Aber in solcher Ausführlichkeit bekommt sie etwas Provinzielles, unnötig belastend für das Wand-Porträt. Seiferts übereifrige Gründlichkeit erweckt nicht nur in den Intrigen-Kapiteln den Anschein, als hätte der Autor Wands Akribie der Werkauffassung auf die Lebensbeschreibung übertragen wollen.
Die Objektivität, auch in der Ehrlichkeit gegenüber den Schattenseiten von Wands Persönlichkeit, wird fast wieder aufgehoben in Seiferts wortreicher Bewunderung für den Dirigenten und in dem nur mühsam gebändigten Materialwust. Wand selbst kommt ausgiebig zu Wort, nicht nur in den sieben gliedernden "Zwischenspielen". Überall äußert sich Wand knapp, fast wortkarg, aber treffend zu seiner Weltanschauung und Kunstauffassung oder über Komponisten (vor allem seine Lieblinge Mozart und Bruckner), über kompositorische oder aufführungspraktische Einzelheiten. Hätte sich sein Biograph doch tatsächlich ein Beispiel an ihm genommen!
Immerhin gelingt Seifert ein plastisches Abbild des jüngeren Wand, den die Nachwelt fast vergessen oder verdrängt hat: des energievollen Operndirigenten mit Riesenrepertoire bis in die Randbezirke des Raren und Neuen; den Ur- und Erstaufführungsdirigenten der Nachwuchskomponisten der vierziger bis sechziger Jahre, darunter des Freundes Bernd Alois Zimmermann, den Wand freilich seit der Oper "Die Soldaten" nicht mehr verstehen konnte; den so wort- wie taktstockgewandten Verfechter des musikalisch "Unerhörten", der auch mit seinen Einführungsworten und Doppelaufführungen unbequemer Werke sein Kölner Publikum hinter sich her und in die Musik hineinzog; den europaweit geschätzten Gastdirigenten und Schallplattenkünstler, wenn auch auf einem entlegenen französischen Label, weil deutsche Renommierfirmen allzu lange keinerlei Interesse signalisieren. Seifert weist also nach, daß Wands Alterskarriere keinem späten künstlerischen Urknall zu verdanken ist, sondern einem jahrzehntelangen Reifeprozeß, den der zeitgeistkritische Künstler sich leistete.
Mit dem Alter hat sich Wand freilich auch eine Verengung des Repertoires zugestanden - im wesentlichen auf Beethoven, Schubert, Brahms und Bruckner (vor allem dessen fünfte Symphonie). Dabei werden bis heute herausragende Konzerte mit dem WDR-Orchester, dessen Ehrendirigent Wand nach wie vor ist, oder mit den Berliner Philharmonikern für "Live Recordings" mitgeschnitten, inzwischen natürlich bei Plattenfirmen, die sich im Fachjargon "die Majors" nennen. Zu seiner eigenen Verblüffung hat der internationale Ruhm den widerspenstigen Dirigenten doch noch eingeholt; aber in seiner knorrigen Art wehrt er sich entschieden gegen seine Vereinnahmung zum Musikpriester, obwohl er im siebten Zwischenspiel gesteht, "eine innere Verbindung zwischen Kunst und Religion" zu spüren und es als eine seiner Hauptaufgaben anzusehen, "die Dimension des Jenseitigen im irdischen Musizieren darzustellen".
Aber Wand bleibt gerade auch im Zusammenhang mit "letzten Dingen" wortkarg, pragmatisch: Denn worum geht es sonst als um "die Beschäftigung mit dem, was hinter den Noten steht"? Über sich selbst äußert sich Wand kaum je - er kennt seine Qualität, basta. Die Lobeshymnen, untermauert von ganzen Zeitungsarchiven voll Rezensionen, nimmt ihm sein eifriger Eckermann ab. Seifert beteuert unablässig Wands Größe, als müsse er ganz allein Abbitte leisten für jahrzehntelange Versäumnisse seiner Kollegen. Auch sonst ist das Buch reich an (mitunter wörtlichen) Wiederholungen. Da hier kein Lektorat eingegriffen hat, bleibt es dem Leser überlassen, aus der ungeheuren Materialsammlung, die natürlich einen Wert für sich darstellt, die übergeordneten Linien herauszuarbeiten, auch die geschichtlichen Verwerfungen und Wertewandlungen, die Wand als Zeitzeuge erlebt und erlitten hat. Gerade diese Verdichtung der Materie wäre von Wand zu lernen, der dirigierend in der Fülle des einzelnen nie den großen Bogen aus dem Sinn verliert. ELLEN KOHLHAAS
Wolfgang Seifert: "Günter Wand - So und nicht anders". Gedanken und Erinnerungen. Verlag Hoffmann und Campe, Hamburg 1998. 528 S., Abb., geb., 69,- DM.
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