Johannes Lohmer hat es geschafft. Jahrzehntelang hat er als Schriftsteller um Anerkennung gekämpft, jetzt ist er endlich im Literaturbetrieb angekommen: Die Leserschaft liebt ihn, das Feuilleton singt sein Lob. Zu allem Überfluss findet er in Wien auch noch die Frau seines Lebens. Doch das Glück ist der Tod jedes ernsthaften Schriftstellers, das weiß Lohmer nur zu gut. Er würde liebend gern aufs Schreiben verzichten, wenn es nicht einen ruf zu wahren gälte - vor Kollegen und Journalisten, vor dem Hausverlag und nicht zuletzt vor der Ehefrau. So beschließt Lohmer, den Schein des Schriftstellers zu wahren und macht sich daran, aufs Geratewohl einen Text in den Computer zu hacken. Was entsteht, ist ein grandios komischer Monolog wider Willen - über alles und nichts, über das Leben, die Liebe und die Literatur - sowie über seine verflixte Aufgabe, nebenbei einen würdigen Nachfolge-Preisträger für den renommierten Wolfgang-Koeppen-Preis zu bestimmen, was sich als schwieriger herausstellt als zunächst gedacht.
Joachim Lottmanns Literaturbetriebssatire "Happy End" ist ein ziemlich lieblos servierter Schmarrn
Ein Mann von nahezu sechzig Jahren hat seine Brille verschlampt. Er marschiert zu "Fielmann", lässt das ölige Geschwätz an sich abperlen und verlangt das billigste Modell. Es ist "die original Diedrich-Diederichsen-Brille von 1998". Kostenpunkt: 17,50 Euro. Dann tapert der Alte durch einen "Saturn". Er sucht für seine Wiener Geheimwohnung einen preiswerten Videorekorder ("Das ist meine Obsession: immer alles billig, aber neu"), doch die werden nicht mehr hergestellt. Eine Geheimwohnung besitzt er, weil er in der offiziellen nicht schreiben kann. Johannes Lohmer nämlich ist vom Glücksblitz getroffen worden, dem österreichischen, und der hört natürlich auf den Namen Sissi.
Recht lustig ist die Ausgangslage des neuen und mal wieder klaustrobiographischen Romans des tatsächlich ja aus Berlin nach Österreich geflüchteten Joachim Lottmann schon: Da sitzt er in seiner hübschen Wiener Wohnung, der Schriftsteller, kann sein Glück kaum fassen, eine Tipptopp-Frau abbekommen zu haben, und merkt plötzlich, dass ihm das jede kreative Energie raubt. Nur um seine Sissi nicht zu enttäuschen, haut er eben irgendetwas in die Tasten: ein Freibrief für einen plump zusammengeklumpten Roman aus teils ulkigen, teils zähen und natürlich immer lottmannrealistischen, also wild zusammenspintisierten, aber an den unglaublichsten Stellen dann doch wieder wahren Anekdoten.
"Happy End" wirkt selbst für Lottmanns Verhältnisse lieblos gemacht und lieblos serviert, so ungefähr, wie man in Wiens Kaffeehäusern manchmal seinen Schmarrn hingeschmissen bekommt. Lottmann hat einfach einige seiner Blogeinträge, Zeitungsartikel und Erlebnisse der letzten Jahre aneinandergepappt und etwas Puderzucker darübergestreut. Bis zum Abwinken wird ein einziger Gag breitgesessen: die einem Unfall gleichkommende Auswahl Anna Katharina Hahns für den Wolfgang-Koeppen-Preis. Lottmann hatte die Auszeichnung 2010 erhalten, durfte allein einen Nachfolger bestimmen und machte schon damals ein ziemlich nerviges Gewese darum. Hahn heißt hier Sara-Rebecka Werkmüller, und der Erzähler ergeht sich seitenweise über den unlesbaren Stil ihres Depri-Knüllers "Lebensschwärze".
Das ist Literaturbetriebssatire vom Tatterigsten. Dann gibt es noch dröge Alltagsbeobachtungen aus Wien ("Ich sehe vor lauter Alten die Gesellschaft nicht mehr"), Rückblicke auf eigene Werke ("indem ich den angeblich ersten Roman in der Geschichte der deutschen Popliteratur schrieb"), Eindrücke von einer Italien-Reise ("Diese jungen Frauen waren so schön, dass es mir einen Stich gab") und schließlich einige Griffe ins ganz ergraute Material: "Nichte Hase"-Geschichten aus dem Nullerjahre-Berlin.
Was ist denn nur passiert? Eben noch sah es doch so aus, als tue Wien dem allseits gehassliebten Lottmann, diesem feinnervigen Pöbelliteraten und schwerfälligen Popintellektuellen, tatsächlich gut. Frischer Wind wehte plötzlich wieder durch seine Bücher. Heldenhaft spießte er in "Hundert Tage Alkohol" den "Medienfaschismus" der "Hartz-IV-Metropole Berlin" auf, ohne auf so etwas wie einen Plot zu verzichten. Dann kam die krachende Kunstbetriebsgroteske "Endlich Kokain", ein Höhepunkt im Lottmannschen Zurechtlügen der verlogenen Gegenwart. Immer alles billig, aber neu. Und nun das, ein Graubrot von Roman ganz ohne Kniff und Adel. Sogar sein Titel: als Toilettenpapiermarke astrein, auf einem Buchcover ein Griff in die Schüssel. Unsouverän und irgendwie panisch stolpert der Erzähler hindurch, sucht angestrengt einen Fokus, aber verheddert sich exilantenmäßig im Damals-Berlin: Benjamin von Stuckrad-Barre, Elke Naters, Matthias Matussek. Die Brille von 1998. Selbst der Klarnamen-Zirkus wirkt deshalb diesmal ziemlich müde.
Vielleicht ist der Autor ja wirklich bloß glücklich dort unten und dämmert nun altersmilde dahin, selbst wenn das mit dem Verdämmern ursprünglich als Finte gedacht gewesen sein mag. Das beste Bild dafür hat er schließlich selbst geliefert: ein alter Mann, der merkt, dass es den VHS-Standard nicht mehr gibt. Aber ein verlotterter Lottmann, das wäre eine Schande! Denn ein Lottmann in Fahrt, das war doch immer das Lustigste und Bissigste, was der deutsche Literaturmarkt hergab. Vielleicht wäre eine Rettungsmission angebracht, ein Krötentunnel unter den Alpen hindurch.
OLIVER JUNGEN
Joachim Lottmann: "Happy End". Roman.
Haffmans & Tolkemitt Verlag, Berlin 2015. 352 S., geb., 19,95 [Euro].
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