Anna Benz, an American in her late thirties, lives with her Swiss husband, Bruno - a banker - and their three young children in a picture-perfect suburb of Zürich. Though she leads a comfortable life, Anna feels lost inside. Adrift and increasingly unable to connect with Bruno, or even with her own feelings, Anna tries to rouse herself with new experiences: German classes, psychoanalysis, and a series of sexual affairs that she enters with an ease that surprises her. But she soon finds she can't so easily extract herself from these relationships. Destroying her life, one small misstep at a time, Anna will discover where a woman goes when there is no going back . . . 'There won't be a sun lounger without it this summer' Sunday Telegraph 'Absolutely fascinating' Emerald Street 'A gripping story' Metro 'Will leave you in bits' Glamour 'Ruthlessly well-written' Sunday Times 'You'll want to discuss it immediately' The Debrief
"Hausfrau", der Debütroman der Amerikanerin Jill Alexander Essbaum, kommt aus dem Modellbaukasten des Creative Writing - und ist dennoch gut.
Ist Zürich am Ende doch eine tiefere Stadt? Im Debütroman der 1971 geborenen Amerikanerin Jill Alexander Essbaum dient sie jedenfalls nicht nur als Kulisse, sondern ist Sehnsuchts- und Schicksalsort zugleich. Mehrmals in der Woche zieht sie die attraktive, aber zutiefst unsichere Hauptfigur Anna Benz in ihren Bann. In der Trittligasse, zwischen Kunsthaus und Grossmünster gelegen, sucht die (gerade noch) junge Ehefrau und Mutter ihre Psychoanalytikerin auf, eine so gütige wie strenge Matrone, die auf den (etwas zu sprechenden) Namen Messerli hört und ihre Sitzungen ganz im Geiste des Zürcher Seelenpapstes C. G. Jung abhält. Im Stadtteil Oerlikon besucht sie die Klubschule des Urschweizer Handelskonzerns Migros, um ihre Deutschkenntnisse endlich systematisch zu verbessern - neun Jahre ist die Amerikanerin Anna schon im Land, hat sich bisher aber auch sprachlich bloß durchgemogelt.
Bei ihren so rastlosen wie genussvoll zelebrierten Gängen durch die Stadt besucht sie mal den Zoo auf dem Zürichberg, mal das Grab von James Joyce im Friedhof Fluntern. Ihre Straßen- und S-Bahn-Fahrten folgen exakt den Linien der Schweizer Verkehrsbetriebe - allemal übrigens achtet die anonyme Erzählerin penibel auf Präzision, auf exakte Angaben zu Raum, Atmosphäre, Topographie und Zeit. Solche Genauigkeit ist Voraussetzung und Grund für eine bemerkenswerte Qualität dieses Romans: Weil die Äußerlichkeiten stimmen, kann sich Annas Seelendrama desto heftiger, vor allem aber glaubwürdig entfalten.
Der Roman heißt "Hausfrau" - im amerikanischen Original wie in der prägnanten Übersetzung von Eva Bonné. Am Vorabend ihres 38. Geburtstags ist Anna Benz Mutter zweier Söhne, einer Tochter und die Gattin des Bankangestellten Bruno, der es beim Credit Suisse ins mittlere Management geschafft hat. Die Familie lebt außerhalb von Zürich, in Brunos Geburtsort Dietlikon, Bezirk Bülach. 1700 Einwohner zählt das Städtchen mit bester Infra- und weitgehend traditioneller Sozialstruktur, Alleinverdiener als Normalfall inklusive. Geordnete Verhältnisse also im schmucken, inzwischen aber bereits zu klein gewordenen Eigenheim. Brunos Mutter Ursula geht Anna beim Betreuen der Kinder zur Hand, an den Wochenenden werden Verwandte oder Freunde besucht, mal ein Ausflug, mal eine Party.
Inmitten der Schweizer Wohlhabenheit ticken allerdings gleich mehrere Bomben: Langeweile, Gleichgültigkeit, Einsamkeit, Migräne, Schlafstörung, Alltags- und Existenzödnis eben. So kommt unüberraschend, was handlungsdynamisch einfach kommen muss: Anna, die grüne Witwe, die weder einen Führerschein noch ein eigenes Bankkonto besitzt, nutzt ihre Freiräume nicht nur für die kleinen Fluchten nach Zürich, sondern auch für den großen und riskanten Ausbruch aus der Ehe: "Manche Frauen", heißt es einmal über die Dietlikoner Tristesse, "sammelten Löffel, Anna sammelte Liebhaber."
In der Danksagung am Ende des Romans verneigt sich Jill Alexander Essbaum vor den Dozenten und Lektoren jener kalifornischen Schreibschule, die sie einst das Erzählhandwerk lehrte - und in der sie inzwischen selbst unterrichtet. In der Tat wirkt "Hausfrau" wie ein bewusst konstruiertes und auf Hochglanz poliertes Edelprodukt aus dem Modellbaukasten des Creative Writing. Das gilt für die Abfolge, genauer: das Ineinander-Verschränken der verschiedenen Erzählstränge ebenso wie für das gepflegte Pingpong zwischen der aktuellen Handlungsebene und den sie illustrierenden und fundierenden Rückblenden. Das gilt für den Stil des Romans: Kurze, klare Sätze und knappe Dialoge ohne jeden konjunktivischen oder hypotaktischen Firlefanz, dafür gibt es im richtigen Moment gezielt gesetzte, gerne auch aphoristisch zugespitzte Pointen: "Ihr Herz", sagt Doktor Messerli zu Anna, "ist wie ein Eimer mit einem Loch am Boden ... Stopfen Sie das Loch."
Zur Musterschülerin des Seminarschreibens wird Frau Essbaum aber dank des intertextuellen Balletts, das sie ihre Figuren tanzen lässt. Dass sie es dabei mit zwei der größten Erzähl-Choreographien der Weltliteratur aufnimmt - mit Tolstois "Anna Karenina" und Flauberts "Madame Bovary" -, spricht ebenso für ihren Ehrgeiz wie für ihren Mut und schließlich auch für eine durchaus amerikanische Naivität. Von Tolstois Roman borgt sie sich außer dem Vornamen ihrer Heldin das Motiv des Zugfahrens - und mit ihm die dramenaffine Szenerie von Bahnhöfen, Bahnsteigen und Bahngleisen - sowie das Zeugen und die Geburt eines unehelichen Kinds. Von Flauberts Emma leiht sie sich vor allem die Mehrzahl an Affären.
Als aktuelle Zugabe dienen Sexszenen. Ob mit dem Schotten Archie, mit Brunos Freund Karl, mit der großen Liebe namens Stephen Nicodemus oder aus singulärer Emphase heraus sogar mit dem eigenen Ehemann: Es geht zur Sache. Das Erstaunliche dabei: Es wirkt nicht peinlich. Was die Autorin und ihre Erzählerin allemal zu bieten haben, ist das Verankern der Bettgeschichten im sehr lakonisch geschilderten, dabei nie plakativ ausgestellten Neurosenensemble der Anna Benz: Sie ist Nymphomanin - gleichermaßen aus schierer Lust und elender Not.
Das letzte der drei Großkapitel heißt - Achtung: Symbol - "November". Aber was Jill Alexander Essbaum dann aus den sich überstürzenden Ereignissen des Todes- und Trauermonats macht, verdient Respekt. Auch hier gilt: Ihre Katastrophen-Dramaturgie wirkt und ist konstruiert - und doch liest man Seite um Seite mit nicht nachlassender Intensität. Dafür zuallererst verantwortlich ist die fulminante Schlusspassage, die Anna ein weiteres, ein finales Mal nach Zürich treibt. Bruno wirft sie aus der Provinzidylle - ob vorübergehend oder für immer kann offenbleiben -, aufs Neue sitzt sie in der S-Bahn-Linie 8: von Pfäffikon über Dietlikon und Zürich nach Winterthur.
In Zürich wartet die Hölle. Noch einmal geht es durch die Bahnhofstrasse, am See entlang, ins Niederdorf, zum Grossmünster, zur Trittligasse der Frau Messerli und wieder zurück zum Hauptbahnhof, in dessen Eingangshalle der Schutzengel der Niki de Saint Phalle besänftigend und heiter über den Köpfen der Reisenden schwebt. Auf Anna Benz wirkt er nun wie Hohn: "Moderne Kunst für moderne Frauen". Statt sie trösten, treibt er sie weiter fort - hinaus in den Stadtteil Wipkingen, wo Stephen einst wohnte: Nürenbergstrasse 12. Anna weiß, dass sie dringend Hilfe brauchte. Aber sie kommt nicht.
So beginnt Gottfried Benns Gedicht "Reisen": "Meinen Sie Zürich zum Beispiel / sei eine tiefere Stadt, / wo man Wunder und Weihen / immer als Inhalt hat?" Es sind weder Wunder noch Weihen, aber es ist die Wucht der Schlusspassage von Jill Alexander Essbaums Roman, der die Stadt am Ende zu einer tieferen macht.
JOCHEN HIEBER
Jill Alexander Essbaum: "Hausfrau". Roman.
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné. Eichborn Verlag, Köln 2015. 335 S., geb., 22,- [Euro].
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