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Martin Heidegger zählt zu den wirkmächtigsten Denkern des 20. Jahrhunderts - zugleich ist er einer der umstrittensten, nicht zuletzt aufgrund seiner Parteinahme für den Nationalsozialismus 1933. Basierend auf neuesten Quellen erzählt Lorenz Jäger das Leben des Philosophen, der den Menschen und sein Dasein in der Welt auf ganz neue Weise gedacht hat - von der katholischen Kindheit in Meßkirch und den geistigen Auseinandersetzungen der zwanziger Jahre über den Nationalsozialismus bis weit in die Jahre des Wiederaufbaus hinein. Dabei begegnen uns Lehrer wie Edmund Husserl, dem 1936 die…mehr

Produktbeschreibung
Martin Heidegger zählt zu den wirkmächtigsten Denkern des 20. Jahrhunderts - zugleich ist er einer der umstrittensten, nicht zuletzt aufgrund seiner Parteinahme für den Nationalsozialismus 1933. Basierend auf neuesten Quellen erzählt Lorenz Jäger das Leben des Philosophen, der den Menschen und sein Dasein in der Welt auf ganz neue Weise gedacht hat - von der katholischen Kindheit in Meßkirch und den geistigen Auseinandersetzungen der zwanziger Jahre über den Nationalsozialismus bis weit in die Jahre des Wiederaufbaus hinein. Dabei begegnen uns Lehrer wie Edmund Husserl, dem 1936 die Lehrerlaubnis entzogen wurde, Vertraute wie Karl Jaspers und Hannah Arendt, deren so schwieriges wie intensives Verhältnis zu Heidegger über historische Brüche hinweg anhielt, Intellektuelle und Dichter wie Ernst Jünger und Paul Celan, die ihn in seiner Schwarzwaldhütte besuchten, bis hin zu späten Interpreten wie Lacan und Derrida. Warum Heidegger jede Generation aufs Neue fasziniert und polarisiert, sein Denken auch heute nichts an Bedeutung eingebüßt hat: Auch das zeigt Lorenz Jäger in dieser Biographie, die meisterhaft das Leben Heideggers erzählt - und zugleich ein deutsches Jahrhundert.
Autorenporträt
Lorenz Jäger, geboren 1951, studierte Soziologie und Germanistik in Marburg und Frankfurt am Main, anschließend unterrichtete er deutsche Literatur in Japan und den USA. 1997 wurde er Redakteur im Ressort Geisteswissenschaften der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung», das er zuletzt leitete. 2017 erschien «Walter Benjamin. Das Leben eines Unvollendeten», 2021 «Heidegger. Ein deutsches Leben», zu dem das «Philosophische Jahrbuch» schrieb: «Jäger ist eine großartige Biographie gelungen ... Er hat den Blick neu geöffnet.»
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Karl-Heinz Ott hätte es gern gesehen, dass in einer Heidegger-Biografie einmal Derrida auftritt und Heideggers "etymologisierendes Sinnieren" als "Rustikalkitsch" entlarvt. Bei Lorenz Jäger kann er da lange suchen. Jäger folgt Heideggers Lebens- und Denkensweg (im Grunde ein und dasselbe, findet Ott), ja sogar seinen Affären mit Wohlwollen, stellt der Rezensent naserümpfend fest. Zwar lässt der Autor laut Ott Heideggers Abwehr des Jüdischen nicht unerwähnt, doch konzentriert er sich lieber auf Heideggers bäuerliche Herkunft, den daher rührenden Widerstand gegen die Meinungsmacht eines "urbanen Milieus" und Heideggers Philosophie der Erregung, die der Autor für radikaler hält als etwa das Denken der Frankfurter Schule, so hält Ott fest. Als Einführung in Heideggers Leben taugt das Buch trefflich, nur setzt es eben auf Einfühlung, gibt der Rezensent zu bedenken.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2021

Ohne Affären kein Denken des Seyns

Das bloß Philosophische war ihm eben nicht genug: Lorenz Jäger legt eine einfühlsame Biographie von Martin Heidegger vor.

Von Karl-Heinz Ott

Hält man eine Biographie Martin Heideggers in Händen, kommt einem unwillkürlich die Anekdote in den Sinn, wonach er eine Aristoteles-Vorlesung mit den Worten eingeleitet haben soll: "Er wurde geboren, arbeitete und starb. Kommen wir zur Sache." Bei Heidegger fällt es schwer, das Denken vom Leben zu trennen. Schließlich glaubte er, mit Hitler breche ein neuer Äon an, in dem das Denken zu seinen Ursprüngen zurückfindet und die Herrschaft einer logizistischen Vernunft überwindet, die mit Sokrates einsetzt und in der Neuzeit einem fatalen Höhepunkt zustrebt. Bald sieht Heidegger sich von Hitler enttäuscht. Was er nie laut bekennt. Er deutet seine um 1934 einsetzende Hinwendung zu Nietzsche und Hölderlin im Nachhinein als Abkehr vom Nationalsozialismus. Klartext spricht Heidegger selten, und wenn er es tut wie in den "Schwarzen Heften", gilt er in erster Linie Juden und christlich-humanistischen Moralisten. Er bestätigt ihnen eine Seinsferne, die sich in einem Denken offenbart, das nur die Kategorien von Soll und Haben, Schuld und Sühne, Gut und Böse kennt. Weiter reicht ihr Horizont nicht.

Alle diese Dinge spielen in Lorenz Jägers Biographie eine keineswegs kleine Rolle, allerdings überschatten sie nicht Heideggers gesamten gedanklichen Kosmos. Jäger zitiert Sätze, in denen Heidegger das amerikanische Unwesen der Siegermächte für schlimmer hält als das millionenhafte Morden der Nazis. Ebenso verweist er auf seine Abwehr jüdisch-christlicher Traditionslinien, die für ihn aus einem Schwall an Moral bestehen und rechnerischem Kalkül. Jägers Kommentar: "Zweifellos hat Heidegger an dieser Stelle den Tiefpunkt seines Denkens erreicht." Da zu diesem Komplex jedoch alles gesagt scheint, konzentriert er sich auf einen Heidegger, der angesichts nicht endender Kritik erst wieder freigelegt werden will.

Gleich in den ersten Sätzen lässt er die bäuerlich geprägte schwäbische Welt des ausgehenden neunzehnten Jahrhunderts erstehen, eine Welt, der Heidegger weder je entkommt noch entkommen will. Wollte man seiner Biographie eine zentrale These entnehmen, liefe sie darauf hinaus, dass Heidegger von klein auf erfahren muss, was es heißt, unter der Vorherrschaft von Meinungsmächten zu leben, die einhergeht mit politischer und ökonomischer Dominanz. Bis zuletzt fühlt er sich auf einsamem Posten, im Widerstand gegen ein urbanes Milieu, das protestantisch, jüdisch, linksgeistig geprägt ist und aus der Aufklärung einen Gott macht.

Dass Jäger sich Heidegger näher fühlt als seinen Kritikern, daran lässt er keinen Zweifel. Adornos "Gesten psychoanalytischer und marxistischer Entlarvung" zeugen für ihn von verstiegener Überheblichkeit, Habermas charakterisiert er als "philosophischen Polemiker". Sie repräsentieren jenes "feuilletonistische Zeitalter", dem Heidegger sich entgegenstemmt. Doch nicht bloß an dieser Front steht für Jäger fest, wer sich lediglich auf der Ebene humanistischer Kulturexerzitien bewegt und wo wirkliche Tiefe sich Bahn bricht. Was den berühmten Davoser Disput angeht, urteilt er über Ernst Cassirer: "Er ist kein König der Philosophie, sondern Sprecher einer Gelehrtenrepublik." Selbst Karl Löwith, der mit Heidegger befreundete Schüler, wird für ihn zum zwanghaft Renitenten, als er dem Lehrer die Abdrift in eine "neue, an Eckhart gemahnende Seinsmystik" bescheinigt, an der sich argumentativ nichts mehr einholen lässt.

Erstaunlicherweise diagnostiziert Jäger genau das Gleiche. Nur dass es ihn nicht im Geringsten befremdet. Auch er verweist ausdrücklich auf Meister Eckhardt nebst Paulus, Augustinus, Pascal und Kierkegaard. Sie alle bilden Heideggers maßgebliche Stichwortgeber, weit mehr als die Phalanx der Philosophen. Nur tritt bei ihm an die Stelle Gottes das Seyn. Wobei die Kernelemente des religiösen Denkens beibehalten werden: hier das Leben im Falschen, dort das Leben im Wahren; hier die "Verfallenheit ans Man", dort der Sprung in die Eigentlichkeit. Was sich biblisch Sünde nennt, nennt sich bei Heidegger Seinsvergessenheit. Jäger spricht von "überkonfessioneller Religiosität", "postchristlicher Haltung" und einer "Theologie ohne Erlösung".

Nie geht es um reine Erkenntnis, immer geht es um die Existenz. Oder um es in Jägers Worten zu sagen: um Erregung. Darin besteht für ihn das Wesen von Heideggers Philosophie, die über alles bloß Philosophische hinaus strebt. Deshalb verlässt er auch das angestammte Terrain einer Terminologie, die den Blick aufs Seyn eher verstellt, als dass sie ihn öffnet. Heidegger will unsere jahrhunderte- und jahrtausendealten Begriffsgestelle rigoros abbauen, womit er für Jäger jeden anderen Denker an Radikalität übertrifft. Zwar könnte man einwenden, dass die Frankfurter Schule nicht weniger radikal mit der abendländischen Rationalitätsherrschaft ins Gericht geht, nur dass sie nicht vom "rechnenden Denken" redet, sondern von "instrumenteller Vernunft". Für Jäger jedoch steht fest, dass es sich dort um wohlfeile Gesellschaftskritik handelt, während Heidegger keinen einzigen Stein auf dem andern lässt.

Was Heideggers Erregungselement angeht, beschränkt es sich in keiner Weise aufs Denken allein, vielmehr gelangt das Denken erst in Fahrt, wenn erotische Wogen anbranden. Seine ständigen Affären rechtfertigt er seiner Frau gegenüber mit dem Argument, er bedürfe ihrer um des Denkens willen, andernfalls würde jede Energie versiegen. Einerseits attestiert Jäger ihm eine grenzenlose Egozentrik, andererseits gerät er regelrecht ins Schwärmen, wenn er sich über Seiten hinweg in seine Liebesbeziehungen einfühlt. Statt sie platonisch zu überhöhen, könnte man auch von einer Sucht nach narzisstischer Zufuhr reden, ganz zu schweigen vom machtvollen Spiel mit Abhängigkeiten, wie nicht nur die Geschichte mit der siebzehn Jahre jüngeren Studentin namens Hannah Arendt zeigt. Wie wenig Heidegger freilich von solchen heutigen Mokerien hielte, belegt seine Bemerkung, er wolle sich "nie etwas psychologisierend an demonstrieren lassen". Schließlich geht es ihm ja gerade darum, unserem modischen Psychologisieren und Soziologisieren ein "wesentliches Denken" entgegenzusetzen.

Einige zentrale Punkte spart Jäger überraschenderweise aus. Keinerlei Erwähnung findet Heideggers Überbietungsanspruch gegenüber Nietzsche, dem er vorhält, die Metaphysik noch nicht hinter sich gelassen zu haben. Hegel wiederum erscheint als willkommener Inspirationsquell, obwohl Heidegger sich dezidiert in Opposition zu ihm begibt, wenn er ihm ein leeres Geschichtsdenken vorhält, in dem sich der neuzeitliche Fortschrittswahn spiegelt. Nicht anders verhält es sich mit Sokrates, der in keiner einzigen Zeile als der unheilvolle Architekt unserer abendländischen Rationalitätsversessenheit auftritt. Auch wer einen Überblick gewinnen will über die Debatten nach Heideggers Tod, geht leer aus. Der Name Farías taucht so wenig auf wie der von Hugo Ott. Derrida dient erstmals auf der vorletzten Seite als Beleg dafür, dass man in Frankreich keine deutschen Scheuklappen besitzt. Dabei ließe sich mit ihm vorführen, wie man Heideggers etymologisierendes Sinnieren ad absurdum führt. Während Jäger Heideggers Deutung von van Goghs Bauernschuhen lediglich referiert, treibt Derrida sie auf die Spitze, und zwar so sehr, dass davon nichts bleibt außer Rustikalkitsch.

Wer sich über Heideggers Leben kundig machen will, ist mit dem Buch von Lorenz Jäger bestens bedient. Er geht den Weg narrativer Einfühlung, voller Wohlwollen, um nicht zu sagen Bewunderung.

Lorenz Jäger: "Heidegger". Ein deutsches Leben.

Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2021. 608 S., geb., 28,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Ein beneidenswert gut geschriebenes und klug komponiertes Buch ... unbedingt lesen. Süddeutsche Zeitung 20211002