Ein aufrüttelndes Meisterwerk über Identität, Familie und den Wunsch nach Zugehörigkeit - Jonathan Safran Foer enthüllt in »Hier bin ich« die essentielle Suche nach dem eigenen Platz in einer immer komplexeren Welt.
Wie können wir all die Rollen, die wir zu spielen haben, glaubhaft unter einen Hut bekommen? Wie gleichzeitig Sohn, Vater und Ehemann sein? Oder Mutter, Ehefrau und Geliebte? Erwachsener und Kind? Oder gar Amerikaner und Jude? Wie können wir wir selbst sein, wenn unser Leben doch so eng mit allen anderen verbunden ist? Diese Fragen stehen im Zentrum von Jonathan Safran Foers erstem Roman seit elf Jahren.
»Hier bin ich« erzählt von vier turbulenten Wochen im Leben einer Familie in tiefer Krise. Julia und Jacob haben sich auseinandergelebt, doch wie könnten sie sich trennen, ohne dass ihre drei Söhne darunter leiden oder gar sie selbst? Immer wieder diskutieren sie alle Szenarien durch, kümmern sich aufopferungsvoll um den inkontinenten Hund und die bevorstehende Bar Mitzwa des ältesten Sohns. Gerade als die israelische Verwandtschaft zur Familienfeier in Washington, D.C. eintrifft, ereignet sich ein katastrophales Erdbeben im Nahen Osten, das die Invasion Israels zur Folge hat. Die Fragen »Was ist Heimat? Was bedeutet Zuhause?« stellen sich noch einmal ganz neu, auch für Jacob.
Jonathan Safran Foer schreibt sich mit seinem dritten Roman endgültig in den Olymp der amerikanischen Literatur.
Wie können wir all die Rollen, die wir zu spielen haben, glaubhaft unter einen Hut bekommen? Wie gleichzeitig Sohn, Vater und Ehemann sein? Oder Mutter, Ehefrau und Geliebte? Erwachsener und Kind? Oder gar Amerikaner und Jude? Wie können wir wir selbst sein, wenn unser Leben doch so eng mit allen anderen verbunden ist? Diese Fragen stehen im Zentrum von Jonathan Safran Foers erstem Roman seit elf Jahren.
»Hier bin ich« erzählt von vier turbulenten Wochen im Leben einer Familie in tiefer Krise. Julia und Jacob haben sich auseinandergelebt, doch wie könnten sie sich trennen, ohne dass ihre drei Söhne darunter leiden oder gar sie selbst? Immer wieder diskutieren sie alle Szenarien durch, kümmern sich aufopferungsvoll um den inkontinenten Hund und die bevorstehende Bar Mitzwa des ältesten Sohns. Gerade als die israelische Verwandtschaft zur Familienfeier in Washington, D.C. eintrifft, ereignet sich ein katastrophales Erdbeben im Nahen Osten, das die Invasion Israels zur Folge hat. Die Fragen »Was ist Heimat? Was bedeutet Zuhause?« stellen sich noch einmal ganz neu, auch für Jacob.
Jonathan Safran Foer schreibt sich mit seinem dritten Roman endgültig in den Olymp der amerikanischen Literatur.
Hier bin ich, Jonathan Safran Foer
Nach seinem großen Erfolgsroman „Extrem laut und unglaublich nah“ und seinem ebenso erfolgreichen Sachbuch „Tiere essen“ erscheint endlich das neueste Werk des 1977 geborenen, US-amerikanischen Schriftstellers Jonathan Safran Foer: Hier bin ich, in dem wir die Mitglieder der Familie Bloch durch eine krisengeplagte Zeit, sowohl persönlicher, als auch gesellschaftlicher Natur, begleiten.
Hier bin ich von Jonathan Safran Foer – Inhalt
Julia und Jacob Bloch sind sechzehn Jahre miteinander verheiratet, als ihre Ehe vor dem Aus steht. Zwar haben sich die beiden schon seit längerem auseinandergelebt, doch als Julia ein Telefon findet, mit dem ihr Mann einer Arbeitskollegin intime Nachrichten zukommen lässt, scheint das Ende gekommen.
Diese Entwicklung geht natürlich auch an ihren drei gemeinsamen Kindern nicht spurlos vorüber. Der älteste ihrer drei Söhne, Sam, steht kurz vor seiner Bar Mitzwa, an der er eigentlich gar nicht teilnehmen will und von der er, aufgrund seines Verhaltens im Unterricht, auch tatsächlich Gefahr läuft ausgeschlossen zu werden. Und als wäre dies nicht schon genug für Jacob, treten auch die Probleme mit seinem eigenen Vater, einem Holocaust-Überlebenden, zu Tage.
Als dann auch noch ein Erdbeben Israel erschüttert und einen Krieg zur Folge hat, muss Jacob plötzlich entscheiden, ob er für seine Familie in Amerika oder für seine Heimat kämpft…
Hier bin ich von Jonathan Safran Foer – Mehr als nur eine Familiengeschichte
Elf Jahre nach seinem letzten Roman kann sich die Fangemeinde des großen Literaten Jonathan Safran Foer endlich auf seinen neuen Roman Hier bin ich stürzen. Dabei schafft der Autor es gekonnt, die Identitätsfragen, die ein jeder von uns kennt, anhand der Familie Bloch, im speziellen Jacobs - des Vaters, des Ehemanns, des Sohnes, des Gläubigen – aufzuzeigen und gleichzeitig mit einem, sich im Hintergrund abspielenden, globalen Konflikts, zu verbinden.
Hier bin ich ist ein weiterer, überaus intelligenter und fesselnder Roman von Jonathan Safran Foer, den man gelesen haben sollte.
© BÜCHERmagazin, Katharina Granzin (kgr)
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Eine lange Kritik, die Eva Behrendt da verfasst hat. Viel Licht wirft sie aber nicht auf diesen Roman. Vordergründig geht es um einen jüdisch-amerikanischen Schriftsteller, der mit Frau und zwei Kindern in Washington DC lebt und dessen Ehe auseinanderbricht. Und dann gehts um die Weltlage, ein Erdbeben im Nahen Osten. Beide Erzählstränge dienen, wenn man Behrendt richtig liest, vor allem dazu, die Identität des Autors zu schärfen, der ewig unentschlossen, abschweifend, kreisend eine Selbstbestimmung anstrebt. Inwiefern das gelingt, bleibt offen. Aber die totale Konzentration auf das eigene Ich, die Behrendt da beschreibt, klingt in ihrer Rezension doch sehr abtörnend.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Zauberhafte Dialoge, die extrem klug und unglaublich absurd sind. Ein todkomisches Buch.« myself
Die Zahnfee wohnt hier nicht mehr
Kernschmelze bei den Eltern - und dann? Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer erzählt in "Hier bin ich" eine jüdische Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Zerstörung Israels.
Zu Beginn der Zerstörung Israels", so hebt der neue Roman von Jonathan Safran Foer an, zu Beginn der Zerstörung Israels also "überlegte Isaac Bloch, ob er sich umbringen oder ins jüdische Seniorenheim gehen sollte".
Isaac ist der Patriarch der Familie Bloch, dessen galizische Verwandtschaft von den Nationalsozialisten nahezu vollständig ausradiert wurde. Nur er und sein Bruder hatten wie durch ein Wunder überlebt. Während der Bruder nach Israel ging, verschlug es Isaac nach Washington. Und eigentlich hatte er jetzt nur noch einen Wunsch: lange genug mit dem Leben durchzuhalten, um die Barmizwa seines Urenkels noch erleben zu können. Doch die steht wenige Tage vor dem großen Ereignis ohnehin zur Disposition, noch ehe ein Erdbeben und die gesamte arabische Welt Israel in die Knie zwingen und Isaacs Pläne damit über Bord werfen werden. Denn auch in der Familie Bloch hat sich etwas zugetragen, dessen Auswirkungen Isaacs Urenkel Sam immerhin mit den Folgen der Zerstörung des japanischen Reaktors vergleicht: Sams Eltern Jacob und Julia, Isaacs Enkel, wollen sich scheiden lassen.
Von der Unvereinbarkeit der Katastrophen, einer geopolitischen und einer häuslich-privaten, handelt der explosive Roman "Hier bin ich", dessen Titel auf das Buch Genesis zurückgeht. Freilich konnte man Jonathan Safran Foer noch nie vorwerfen, als Autor großen Themen aus dem Weg zu gehen. In seinem Romandebüt "Alles ist erleuchtet" (2002, deutsch 2003) verhandelte er in experimenteller Erzählform den Holocaust, "Extrem laut und unglaublich nah" erzählte 2005 von einem Jungen, der durch den 11. September seinen Vater verlor. Mit "Hier bin ich" will der 1977 in Washington geborene Schriftsteller nach elfjähriger Romanpause nichts Geringeres als eine Great American-Jewish Novel schreiben. Daran muss er sich messen lassen.
Im Kern umkreist sein Buch die Frage, was es für amerikanische Juden heute bedeutet, jüdisch zu sein. Ist es eine Frage der Religion oder der Kultur, der Erziehung oder der Vorliebe für einen bestimmten Humor? Und natürlich steht da wie ein Elefant im Raum immer auch die Frage: Wie hältst du es mit Israel?
Dass die jährlich auch in dieser Washingtoner Familie zum Pessach-Seder-Fest ausgesprochene Formel "Nächstes Jahr in Jerusalem" zum Allgemeinplatz, das versprochene Land zur Plattitüde verblasst ist, diesen Gedanken wirft der Roman ein ums andere Mal auf. Tatsächlich bleibt die eingangs erwähnte Zerstörung Israels jedoch die folgenden dreihundert Seiten zunächst unerwähnt - denn "Hier bin ich" entpuppt sich viel mehr denn als die dystopische Ausmalung eines gar nicht so unvorstellbaren Flächenbrands im Nahen Osten als ein gerade für Foer überraschend konventionell erzählter Scheidungsroman aus dem bürgerlichen Milieu rund um den Washingtoner Cleveland Park.
Im Zentrum stehen die Eheleute Jacob und Julia sowie deren blankes Entsetzen, als sie erkennen, dass ihnen in ihrem geschmackvollen Haus in der Newark Street das Glück abhandengekommen ist. Die Lücke zum Glück sind die häusliche Routine und ein Familienalltag, der wie ein schwarzes Loch all das, was einst mit großartigem Sex und der Geburt von drei Söhnen so verheißungsvoll begann, verschluckt hat. Foer schreibt gegen Tolstois berühmten Satz an, wonach sich alle glücklichen Familien ähnelten, aber jede unglückliche Familie auf ihre besondere Art unglücklich sei. Bei ihm gleichen "alle glücklichen Morgen einander, wie auch alle unglücklichen Morgen". Weil alle Bemühungen, ihm vorzubeugen, das Gegenteil bewirkten, weil sich "das Universum aus irgendeinem rätselhaften, überflüssigen, unfairen Grund gegen die harmlose Abfolge von Kleidern, Frühstück, Zähnen und nervigen Haarwirbeln, Rucksäcken, Schuhen, Jacken und Abschieden verschworen hat".
Mit viel Detailkenntnis und furiosem Humor erfasst der selbst unlängst von der amerikanischen Autorin Nicole Krauss geschiedene Foer das Drama der Mittelklasse. Jacob, der erfolgreiche wie unablässig hadernde Autor einer Fernsehsitcom, und seine Frau Julia, die als Architektin noch nie ein Haus gebaut hat, dafür als Dekorateurin die Villen ihrer vermögenden Kundschaft einrichtet, gehören jener urbanen Spezies an, die sich aus Prinzip gegen Konventionen stemmt, um dann verblüfft festzustellen, wie konventionell sie geworden ist: Längst haben auch Jacob und Julia Zweitwagen, Steuerberater und Doppelwaschbecken. Und während sie stets wissen, was am besten ist (Miele-Staubsauger, Vitaminmixer, Misono-Messer), freudianische Mengen von Sushi verputzen und ihren zehnten Hochzeitstag mit einem Ausflug in eine Weinkellerei verbinden, die sie auf "Remodelista", der Internetseite für bewusstes Leben, gefunden haben, wissen sie der allmählichen Verfremdung nichts entgegenzusetzen. So weit, so ähnlich, Zahnfee inklusive.
Was hier beschrieben wird, die suburbia tristesse, ist weder neu noch originell. "Es hatte weder Tätlichkeiten noch Grausamkeiten gegeben, nicht einmal Gleichgültigkeit", heißt es einmal: Der Ursprung der Misere war Nähe, "die Unfähigkeit, ein Schamgefühl zu überwinden". Julia kann die Fingernägel Neugeborener mit den Zähnen stutzen, aber ihren Mann nicht mehr anfassen. Und Jacob, der den Kindern das Lesen beibringt, weiß nicht mehr, wie er seine Frau ansprechen soll.
Dabei wird in diesem Roman gesprochen, was das Zeug hält. Darin liegt seine unheimliche Rasanz. Vier Generationen Bloch reden, bis auf Isaac, unaufhörlich, siebenhundert Seiten lang. Es ist ein nicht enden wollendes, komisches, sehnsüchtiges, irrwitziges Geplapper und Gezeter, ein Streiten und Abwägen, wiedergegeben häufig in Dialogen, Monologen, Internet-Chats, Spielekommentaren und Nachrichtenabschriften, ein Tohuwabohu, in dem sich Jonathan-Franzen-Interieurs mit Woody-Allen-Figuren und der Sexbesessenheit Philip Roths verbinden. Während Jacobs Vater Irv alle Gespräche zielsicher in politische Leitartikel münden lässt, flüchten die anderen, wenn es ernst wird, in ihre Innenwelten, die sie ganz nach Gusto tapezieren können: Der sensible Sam, der so vieles begreift, noch ehe es den Erwachsenen dämmert, beschäftigt sich im virtuellen Paralleluniversum von "Other Life" lieber mit der Latina Samantha, einem weiblichen Avatar, den er geschaffen hat. Auch Jacob führt mittels seines Zweithandys im dirty talk mit einer Fernsehkollegin ein Eigenleben. Und agiert dort als jener sexbesessene Macho, der er im echten Leben nicht sein kann.
Die Diaspora, von der dieser Roman erzählt, ist nicht nur in Washington, D.C. zu verorten, sondern findet sich überall: im Internet, im Möbelhaus oder in den gedanklichen Fluchten, die Julia vor den Anforderungen als überlastete Mutter und gelangweilte Ehefrau immer wieder unternimmt. Das Hier ist dabei von zentraler Bedeutung. "Hier bin ich", antwortete Abraham, als Gott ihn rief, seinen Sohn zu opfern. Abraham sagte nicht ,Ja?", wie Sam weiß, und fragte nicht "Was willst du?", sondern war für ihn da. Sam denkt über die biblische Szene nach, weil er sich verraten fühlt.
Sams Eltern wollen ihm nicht glauben, dass der Zettel mit den Schimpfwörtern und rassistischen Ausdrücken, den sein Lehrer gefunden hat, nicht von ihm stammt. Doch selbst wenn, meint der Junge, sollten sie für ihn da, also hier sein, statt zu fragen, was er angestellt habe. "Sie hätten sich auf meine Seite stellen sollen, weil ich ihr Kind bin."
Wer sich auf wessen Seite stellt oder nicht - Eltern und Kinder, wenn der inkontinente Hund eingeschläfert werden muss, Enkel und Großväter, wenn Letztere nicht ins Altersheim wollen, amerikanische Juden und Israel, wenn es angegriffen wird -, das alles verhandelt der Roman in all der Widersprüchlichkeit und Unauflöslichkeit seiner Sujets. Da steckt rasend viel Witz und Wahrheit und Verve drin. Und dann wundert man sich, dass Foer, dessen voriges Buch "Tiere essen" von vegetarischer Lebensweise handelte, hier nicht umhinkommt, Sätze unterzubringen, die wie Kalenderweisheiten klingen. Kaum eine Seite, auf der sich nicht ein Sinnspruch finden ließe wie: "Die Suche nach dem Glück ist die Flucht vor der Zufriedenheit", was gleich mehrmals zitiert wird, "Das falsche Leben zu leben ist schlimmer, als den falschen Tod zu sterben" oder "Das Leben wird von einem Ereignis zu einem Prozess". Ja, selbst der Avatar Samantha sagt: "Was um Himmels willen musste passieren, damit ein rundum gutes menschliches Wesen gesehen wurde? Nicht bemerkt, sondern gesehen. Nicht gewürdigt, nicht geschätzt, nicht einmal geliebt. Sondern wirklich gesehen."
Die Ambivalenzen des modernen Lebens, an denen das Familienglück erstickt wie an einem vertrockneten Bagel, werden so detailliert ausgerollt, dass die eingangs angekündigte Apokalypse im Nahen Osten, die sich in der Mitte des Romans dann wirklich ereignet, nie mehr in den Vordergrund gelangt. Der Roman hat gar nicht den Anspruch, politisch zu sein. Das Krisen- und Kriegsszenario, die Millionen Flüchtlinge und Tote in Nahost, sie bleiben seltsam fern. Fast meint man, dass sie vor allem dazu dienen, Jacobs erbärmliche Ichbezogenheit, die Trivialität seiner Probleme in größtmöglichem Kontrast zu illustrieren. Es ist jedenfalls eine einseitige Sicht auf den Flächenbrand, gegen die Benjamin Netanjahu wohl nichts einzuwenden hätte, schon allein weil die Palästinenser oder das Dilemma des Staates Israel, nicht nur Zufluchtsort für Verfolgte, sondern auch Besatzer zu sein, kaum erwähnt werden.
Was den Washingtoner Blochs viel näher geht als die Zerstörung Israels, sind ihre eigenen Traumata, ein Unfall vor Jahren, bei dem Sam beinahe seinen Daumen verlor, und immer wieder die Frage, warum der Sex nicht mehr so gut sein kann wie früher. "Hier bin ich" ist ein Roman, der von der Unvereinbarkeit der großen Tragödien mit den kleinen Malaisen handelt. Dass Letztere mehr weh tun können als Erstere, das ist seine bittere Erkenntnis.
SANDRA KEGEL
Jonathan Safran Foer: "Hier bin ich". Roman.
Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 688 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kernschmelze bei den Eltern - und dann? Der amerikanische Autor Jonathan Safran Foer erzählt in "Hier bin ich" eine jüdische Familiengeschichte vor dem Hintergrund der Zerstörung Israels.
Zu Beginn der Zerstörung Israels", so hebt der neue Roman von Jonathan Safran Foer an, zu Beginn der Zerstörung Israels also "überlegte Isaac Bloch, ob er sich umbringen oder ins jüdische Seniorenheim gehen sollte".
Isaac ist der Patriarch der Familie Bloch, dessen galizische Verwandtschaft von den Nationalsozialisten nahezu vollständig ausradiert wurde. Nur er und sein Bruder hatten wie durch ein Wunder überlebt. Während der Bruder nach Israel ging, verschlug es Isaac nach Washington. Und eigentlich hatte er jetzt nur noch einen Wunsch: lange genug mit dem Leben durchzuhalten, um die Barmizwa seines Urenkels noch erleben zu können. Doch die steht wenige Tage vor dem großen Ereignis ohnehin zur Disposition, noch ehe ein Erdbeben und die gesamte arabische Welt Israel in die Knie zwingen und Isaacs Pläne damit über Bord werfen werden. Denn auch in der Familie Bloch hat sich etwas zugetragen, dessen Auswirkungen Isaacs Urenkel Sam immerhin mit den Folgen der Zerstörung des japanischen Reaktors vergleicht: Sams Eltern Jacob und Julia, Isaacs Enkel, wollen sich scheiden lassen.
Von der Unvereinbarkeit der Katastrophen, einer geopolitischen und einer häuslich-privaten, handelt der explosive Roman "Hier bin ich", dessen Titel auf das Buch Genesis zurückgeht. Freilich konnte man Jonathan Safran Foer noch nie vorwerfen, als Autor großen Themen aus dem Weg zu gehen. In seinem Romandebüt "Alles ist erleuchtet" (2002, deutsch 2003) verhandelte er in experimenteller Erzählform den Holocaust, "Extrem laut und unglaublich nah" erzählte 2005 von einem Jungen, der durch den 11. September seinen Vater verlor. Mit "Hier bin ich" will der 1977 in Washington geborene Schriftsteller nach elfjähriger Romanpause nichts Geringeres als eine Great American-Jewish Novel schreiben. Daran muss er sich messen lassen.
Im Kern umkreist sein Buch die Frage, was es für amerikanische Juden heute bedeutet, jüdisch zu sein. Ist es eine Frage der Religion oder der Kultur, der Erziehung oder der Vorliebe für einen bestimmten Humor? Und natürlich steht da wie ein Elefant im Raum immer auch die Frage: Wie hältst du es mit Israel?
Dass die jährlich auch in dieser Washingtoner Familie zum Pessach-Seder-Fest ausgesprochene Formel "Nächstes Jahr in Jerusalem" zum Allgemeinplatz, das versprochene Land zur Plattitüde verblasst ist, diesen Gedanken wirft der Roman ein ums andere Mal auf. Tatsächlich bleibt die eingangs erwähnte Zerstörung Israels jedoch die folgenden dreihundert Seiten zunächst unerwähnt - denn "Hier bin ich" entpuppt sich viel mehr denn als die dystopische Ausmalung eines gar nicht so unvorstellbaren Flächenbrands im Nahen Osten als ein gerade für Foer überraschend konventionell erzählter Scheidungsroman aus dem bürgerlichen Milieu rund um den Washingtoner Cleveland Park.
Im Zentrum stehen die Eheleute Jacob und Julia sowie deren blankes Entsetzen, als sie erkennen, dass ihnen in ihrem geschmackvollen Haus in der Newark Street das Glück abhandengekommen ist. Die Lücke zum Glück sind die häusliche Routine und ein Familienalltag, der wie ein schwarzes Loch all das, was einst mit großartigem Sex und der Geburt von drei Söhnen so verheißungsvoll begann, verschluckt hat. Foer schreibt gegen Tolstois berühmten Satz an, wonach sich alle glücklichen Familien ähnelten, aber jede unglückliche Familie auf ihre besondere Art unglücklich sei. Bei ihm gleichen "alle glücklichen Morgen einander, wie auch alle unglücklichen Morgen". Weil alle Bemühungen, ihm vorzubeugen, das Gegenteil bewirkten, weil sich "das Universum aus irgendeinem rätselhaften, überflüssigen, unfairen Grund gegen die harmlose Abfolge von Kleidern, Frühstück, Zähnen und nervigen Haarwirbeln, Rucksäcken, Schuhen, Jacken und Abschieden verschworen hat".
Mit viel Detailkenntnis und furiosem Humor erfasst der selbst unlängst von der amerikanischen Autorin Nicole Krauss geschiedene Foer das Drama der Mittelklasse. Jacob, der erfolgreiche wie unablässig hadernde Autor einer Fernsehsitcom, und seine Frau Julia, die als Architektin noch nie ein Haus gebaut hat, dafür als Dekorateurin die Villen ihrer vermögenden Kundschaft einrichtet, gehören jener urbanen Spezies an, die sich aus Prinzip gegen Konventionen stemmt, um dann verblüfft festzustellen, wie konventionell sie geworden ist: Längst haben auch Jacob und Julia Zweitwagen, Steuerberater und Doppelwaschbecken. Und während sie stets wissen, was am besten ist (Miele-Staubsauger, Vitaminmixer, Misono-Messer), freudianische Mengen von Sushi verputzen und ihren zehnten Hochzeitstag mit einem Ausflug in eine Weinkellerei verbinden, die sie auf "Remodelista", der Internetseite für bewusstes Leben, gefunden haben, wissen sie der allmählichen Verfremdung nichts entgegenzusetzen. So weit, so ähnlich, Zahnfee inklusive.
Was hier beschrieben wird, die suburbia tristesse, ist weder neu noch originell. "Es hatte weder Tätlichkeiten noch Grausamkeiten gegeben, nicht einmal Gleichgültigkeit", heißt es einmal: Der Ursprung der Misere war Nähe, "die Unfähigkeit, ein Schamgefühl zu überwinden". Julia kann die Fingernägel Neugeborener mit den Zähnen stutzen, aber ihren Mann nicht mehr anfassen. Und Jacob, der den Kindern das Lesen beibringt, weiß nicht mehr, wie er seine Frau ansprechen soll.
Dabei wird in diesem Roman gesprochen, was das Zeug hält. Darin liegt seine unheimliche Rasanz. Vier Generationen Bloch reden, bis auf Isaac, unaufhörlich, siebenhundert Seiten lang. Es ist ein nicht enden wollendes, komisches, sehnsüchtiges, irrwitziges Geplapper und Gezeter, ein Streiten und Abwägen, wiedergegeben häufig in Dialogen, Monologen, Internet-Chats, Spielekommentaren und Nachrichtenabschriften, ein Tohuwabohu, in dem sich Jonathan-Franzen-Interieurs mit Woody-Allen-Figuren und der Sexbesessenheit Philip Roths verbinden. Während Jacobs Vater Irv alle Gespräche zielsicher in politische Leitartikel münden lässt, flüchten die anderen, wenn es ernst wird, in ihre Innenwelten, die sie ganz nach Gusto tapezieren können: Der sensible Sam, der so vieles begreift, noch ehe es den Erwachsenen dämmert, beschäftigt sich im virtuellen Paralleluniversum von "Other Life" lieber mit der Latina Samantha, einem weiblichen Avatar, den er geschaffen hat. Auch Jacob führt mittels seines Zweithandys im dirty talk mit einer Fernsehkollegin ein Eigenleben. Und agiert dort als jener sexbesessene Macho, der er im echten Leben nicht sein kann.
Die Diaspora, von der dieser Roman erzählt, ist nicht nur in Washington, D.C. zu verorten, sondern findet sich überall: im Internet, im Möbelhaus oder in den gedanklichen Fluchten, die Julia vor den Anforderungen als überlastete Mutter und gelangweilte Ehefrau immer wieder unternimmt. Das Hier ist dabei von zentraler Bedeutung. "Hier bin ich", antwortete Abraham, als Gott ihn rief, seinen Sohn zu opfern. Abraham sagte nicht ,Ja?", wie Sam weiß, und fragte nicht "Was willst du?", sondern war für ihn da. Sam denkt über die biblische Szene nach, weil er sich verraten fühlt.
Sams Eltern wollen ihm nicht glauben, dass der Zettel mit den Schimpfwörtern und rassistischen Ausdrücken, den sein Lehrer gefunden hat, nicht von ihm stammt. Doch selbst wenn, meint der Junge, sollten sie für ihn da, also hier sein, statt zu fragen, was er angestellt habe. "Sie hätten sich auf meine Seite stellen sollen, weil ich ihr Kind bin."
Wer sich auf wessen Seite stellt oder nicht - Eltern und Kinder, wenn der inkontinente Hund eingeschläfert werden muss, Enkel und Großväter, wenn Letztere nicht ins Altersheim wollen, amerikanische Juden und Israel, wenn es angegriffen wird -, das alles verhandelt der Roman in all der Widersprüchlichkeit und Unauflöslichkeit seiner Sujets. Da steckt rasend viel Witz und Wahrheit und Verve drin. Und dann wundert man sich, dass Foer, dessen voriges Buch "Tiere essen" von vegetarischer Lebensweise handelte, hier nicht umhinkommt, Sätze unterzubringen, die wie Kalenderweisheiten klingen. Kaum eine Seite, auf der sich nicht ein Sinnspruch finden ließe wie: "Die Suche nach dem Glück ist die Flucht vor der Zufriedenheit", was gleich mehrmals zitiert wird, "Das falsche Leben zu leben ist schlimmer, als den falschen Tod zu sterben" oder "Das Leben wird von einem Ereignis zu einem Prozess". Ja, selbst der Avatar Samantha sagt: "Was um Himmels willen musste passieren, damit ein rundum gutes menschliches Wesen gesehen wurde? Nicht bemerkt, sondern gesehen. Nicht gewürdigt, nicht geschätzt, nicht einmal geliebt. Sondern wirklich gesehen."
Die Ambivalenzen des modernen Lebens, an denen das Familienglück erstickt wie an einem vertrockneten Bagel, werden so detailliert ausgerollt, dass die eingangs angekündigte Apokalypse im Nahen Osten, die sich in der Mitte des Romans dann wirklich ereignet, nie mehr in den Vordergrund gelangt. Der Roman hat gar nicht den Anspruch, politisch zu sein. Das Krisen- und Kriegsszenario, die Millionen Flüchtlinge und Tote in Nahost, sie bleiben seltsam fern. Fast meint man, dass sie vor allem dazu dienen, Jacobs erbärmliche Ichbezogenheit, die Trivialität seiner Probleme in größtmöglichem Kontrast zu illustrieren. Es ist jedenfalls eine einseitige Sicht auf den Flächenbrand, gegen die Benjamin Netanjahu wohl nichts einzuwenden hätte, schon allein weil die Palästinenser oder das Dilemma des Staates Israel, nicht nur Zufluchtsort für Verfolgte, sondern auch Besatzer zu sein, kaum erwähnt werden.
Was den Washingtoner Blochs viel näher geht als die Zerstörung Israels, sind ihre eigenen Traumata, ein Unfall vor Jahren, bei dem Sam beinahe seinen Daumen verlor, und immer wieder die Frage, warum der Sex nicht mehr so gut sein kann wie früher. "Hier bin ich" ist ein Roman, der von der Unvereinbarkeit der großen Tragödien mit den kleinen Malaisen handelt. Dass Letztere mehr weh tun können als Erstere, das ist seine bittere Erkenntnis.
SANDRA KEGEL
Jonathan Safran Foer: "Hier bin ich". Roman.
Aus dem Englischen von Henning Ahrens. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2016. 688 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main







