"Himmelszeichen" ist eine bewegende Liebesgeschichte, die in Japan zu Beginn des 17. Jahrhunderts spielt. In den zurückliegenden Jahrzehnten hatten die portugiesischen Padres an Einfluß gewonnen, aber nun scheint die Zeit für die Rückkehr der alten Götter gekommen. Zwischen allen Fronten steht die junge Mika, die eigentliche Heldin des Buches. Sie liebt einen holländischen Abenteurer, um dessen Leben sie kämpft, als er von den Samurais eingekerkert wird. Das Buch bietet eine Fülle kulturhistorischer Details und beleuchtet ein dramatisches Kapitel europäisch-japanischer Geschichte.
Beladen: Hisako Matsubaras Roman "Himmelszeichen"
Eine Liebesromanze zwischen einem japanischen Burgfräulein und einem Europäer, der Konflikt zwischen zwei Brüdern um die Nachfolge ihres 1612 wegen Hochverrats hingerichteten Vaters, des Landesfürsten von Shimabara in Südjapan - das ist der Stoff eines in deutscher Sprache geschriebenen Romans der japanischen Autorin Hisako Matsubara. Die japanische Autorin will mehr als unterhalten - sie sei angetreten, mit ihrem Werk "die eurozentrische Sicht auf ein dramatisches Kapitel europäisch-japanischer Geschichte zu korrigieren", wie es im Klappentext heißt. Aus diesem Grunde wohl hat die Autorin dem Buch eine Nachbemerkung angefügt: "Selbst was heute geschieht, vor unseren Augen und durch Zeugen bestätigt, ist in seiner Vielschichtigkeit oft nur schwer zu erfassen. Um so schwieriger ist es, Ereignisse, die sich vor fast vierhundert Jahren zugetragen haben, in einer Weise darzustellen, die dem Denken und Fühlen der damals Lebenden gerecht wird."
Wer mit Japans Kultur- und Mentalitätsgeschichte vertraut ist, wird sich fragen, ob es Frau Matsubara um "Vielschichtigkeit" und das "Denken und Fühlen der damals Lebenden" gegangen sein kann. Schon die sachlichen Ungenauigkeiten und falschen historischen Details lassen Zweifel aufkommen. Gravierender sind die Rückprojektionen in die Geschichte und die unhistorischen Rede- und Verhaltensweisen der Figuren.
Diese Schnitzer und Ausrutscher wären der Rede nicht wert, träte der Roman nicht mit dem Anspruch auf, europäische Leser über japanische Verhältnisse im frühen siebzehnten Jahrhundert ins Bild zu setzen. Den zentralen Konflikt besteht aus der Sicht des Werks in der Anwesenheit der Europäer in Japan, vor allem der portugiesischen Jesuitenpatres, die seit dem Jahr 1549 mit Erfolg ihr Missionswerk vorangetrieben hatten, so daß nicht nur die Bevölkerung in den armen Fischer- und Bergdörfern, sondern auch die gebildeteren Schichten bis hin zu einigen Daimyo sich hatten taufen und zu Christen, japanisch Kirishitan, machen lassen.
Der Roman setzt zu einer Zeit ein, als das Unbehagen gegenüber dem Einfluß der Fremden wächst. Er beginnt mit der Hinrichtung eines christlichen Daimyo, des Vaters der siebzehnjährigen Prinzessin Mika, wegen angeblichen Hochverrats. Mika muß sich mit der Erklärung ihrer Mutter zufriedengeben, ihr Vater habe sich "zu sehr mit den Patres eingelassen". "Nichts als Unfrieden" hätten diese gestiftet, lautet der Vorwurf. Sie hätten lang genug Zeit gehabt, "sich mit ihrem Deus in das Gewebe der Gesellschaft einzufügen". Doch "sie ließen in Wort und in Tat nie einen Zweifel daran aufkommen, daß ihr Endziel die Zerstörung jeder anderen Religion war, der Tod des Buddha und das Erlöschen aller Traditionen, in denen Götter und Göttinnen verehrt wurden". Zwar wird anerkennend von dem selbstlosen Einsatz der Fratres für die Bevölkerung gesprochen, doch dahinter lauert die Gefahr der Subversion.
Die japanische Sicht - so redet im Roman übrigens eine Frau - lautet: "Wir sind anders als die Menschen, die aus Portugal und Spanien zu uns gekommen sind. Wir haben andere Ziele, andere Sitten, eine andere Geschichte. Wir werden verlieren, für was wir bisher gestanden haben, als Menschen und als Volk." Also erläßt der Shogun ein Edikt, daß binnen Jahresfrist alle Ausländer das Land zu verlassen und alle Japaner dem christlichen Glauben abzuschwören haben.
Die Tatsachen sind bekannt. Zu ihnen gehört das Edikt von 1614, in dessen Folge zahlreiche Missionare ausgewiesen wurden, andere untertauchten oder heimlich wieder einreisten, um ihren Gemeinden Beistand zu leisten. Problematisch ist, daß die Autorin historisch Verbürgtes und Erfundenes auf eine unentwirrbare Weise in ihrem Roman vermischt und in ihrer vorgeblich den Faktenhintergrund klärenden Nachbemerkung wichtige Fragen offenläßt. Über die Missionare heißt es dort: "Sie tauchten in den Kirishitandörfern unter und fachten das Feuer des Glaubens weiter an. Viele derer, die später ergriffen wurden, erlitten Gefangenschaft und Folter. In Deus ergeben, starben sie den Märtyrertod. Unzählige Kirishitan folgten ihnen. Das makabre Schauspiel schürte Abscheu gegen die einstmals geschätzten Missionare. Was auf der Shimabara-Halbinsel geschah, trug dazu bei, daß Japan sich vom Westen abwandte und sich schließlich für mehr als zweihundert Jahre vor der Welt verschloß."
Die Schlußbemerkung läßt die Leser ein wenig ratlos. Der Märtyrertod also, das "makabre Schauspiel" war es, das die Aversion gegen Europa auslöste? Wir lernen wenig über die komplexen Beweggründe der Landesabschließung aus diesem Roman und nichts, das eine angeblich eurozentrische Sicht korrigieren könnte. Doch worin hätte diese bestehen können?
Deutlich ist die Absicht der Autorin, ihren Lesern das japanische Mißtrauen gegenüber dem Westen verständlich zu machen. Mika, die von den Portugiesen erzogene Japanerin, wird mit Informationen über die Schlechtigkeit der Europäer bombardiert. Sie wird auf Armut und Schmutz, Elend und Sklavenhandel, Religionskriege und Ketzerfolter hingewiesen. Junge Japanerinnen, so heißt es gleich zu Beginn, "Schiffsladungen von ihnen", seien nach Lissabon verschleppt worden, wo sie reichen Männern als Konkubinen dienen müßten.
Historisch belegt ist nichts dergleichen. Die ersten Frauen, die aus Japan ins Ausland reisten, taten dies mehr als zweieinhalb Jahrhunderte später, gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts. Frau Matsubara suggeriert, die portugiesischen Kirchenmänner seien in den Handel mit diesen "Schiffsladungen" verwickelt gewesen. Besonders gefährlich seien die Missionare, gerade weil sie sich den Anschein der Selbstlosigkeit gäben. Denn "Deus ist Liebe, Liebe ist Macht . . . Kirche und Macht sind in Europa ein und dasselbe." Das Vorgehen der Europäer hat Methode: "Zuerst nehmen sie uns alles weg, was wir besitzen, verbrennen uns bei lebendigem Leib. Alles unter dem Vorwand, unsere Seelen zu retten." Was hier, mit ein wenig wirrer Logik, über die Verhältnisse in den Philippinen gesagt wird, soll sich bald auch in Japan ereignen.
Die Japaner und ihre Religionen, Buddhismus wie Shinto, werden dagegen als tolerant und lebensfreundlich hervorgehoben. Das Vorgehen gegen die Christen haben diese sich hingegen selbst zuzuschreiben. Schade, daß die Autorin nicht über die hierzulande verbreitete Missionsschelte hinauskommt. Die wirklichen Kulturkonflikte in der ersten Phase der Begegnung zwischen Europa und Japan wären in der Tat ein wichtiges Romanthema, für das sich eine Fülle an zeitgenössischen Quellen findet - sowohl einheimische Dokumente als auch die gut erschlossenen Schreiben der jesuitischen Missionare nach Rom. Sie vermitteln ein plastisches Bild der damaligen Verhältnisse, des "Denkens und Fühlens der damals Lebenden". Statt dessen zieht Matsubara es vor, darauf hinzuweisen, daß der größere Teil der Jesuitenbriefe im Vatikan unter Verschluß läge.
Mit ihrem jüngsten Roman führt Frau Matsubara weiter, was sie in ihren Erzählungen und Sachbüchern spätestens seit den achtziger Jahren verfolgt - das Programm einer Abgrenzung gegenüber dem Westen und einer offensiven Propagierung "japanischer" Werte. Sie bewegt sich damit im Trend einer in Japan starken intellektuellen Strömung der kulturellen Selbstbehauptung mit isolationistischen Tendenzen. Ihre erzählerische Strategie besteht darin, offene Türen einzurennen und in einer Mischung aus Fiktion und Fakten unterschwellige Stimmungen zu bedienen, nach denen eine mitteleuropäische Disposition zur radikalen Selbstkritik an der eigenen Rolle auch in weit zurückliegenden Epochen der aggressiven Opfermentalität außereuropäischer Kulturvertreter entgegenkommt.
Die japanische Literatur hat sich indessen dieser Phase der eigenen Geschichte mit zahlreichen, teilweise auch ins Deutsche übersetzten Werken angenommen. Wer sich anhand der Belletristik ein differenzierteres und wahrhaftigeres Bild von den damaligen Ereignissen, den Lebensumständen der Japaner, der westlichen Missionare und den Fragen machen möchte, die die Menschen seinerzeit umtrieben, sei auf die historischen Novellen, Erzählungen und Romane von Ryunosuke Akutagawa, Sawako Ariyoshi und vielen anderen, vor allem auf Shusaku Endo verwiesen, dessen in viele Sprachen übersetzter Roman "Schweigen" das berühmteste und gelungenste Beispiel für die literarische Verarbeitung der ersten Begegnung zwischen Japan und dem Westen darstellt. IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT
Hisako Matsubara: "Himmelszeichen." Roman. Knaus Verlag, München 1998. 541 S., geb., 46,90 DM.
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