Anne Dudens Gedichte zeigen vertraute Landschaften im fremden Blick. Ihre poetische Konzentration reizt die Gedächtnismuster und rückt im bildhaften Übersetzen eine in den Wörtern sich entfernende Welt nah an den eigenen Körper. Als würde beim Lesen die poetische Kraft der Autorin die gewöhnlichen Wahrnehmungswege umgehen und unmittelbar einleuchten; Gefühl und Erkenntnis gleichzeitig davon berührt.
Gedichte von Anne Duden, Bianca Döring, Georg Oswald Cott
Die Lyrikproduktion findet in Deutschland nach wie vor als Freizeitbeschäftigung oder in einem Netzwerk von Stipendien, Preisen, Dichterdozenturen und Stadtschreiberstellen statt. Anne Duden (geb. 1942), Bianca Döring (geb. 1957) und Georg Oswald Cott (geb. 1931) sind trotz der Altersunterschiede gleichermaßen Beispiele dafür. Alle drei führten nach ihrem Germanistikstudium ein ziemlich vermischtes Autorenleben und wurden "mit verschiedenen Stipendien und Preisen" ausgezeichnet. Die von Heinz Kattner herausgegebene Lyrikreihe des Klampen Verlags setzt die Lyrikkonjunktur - gefördert von der Stiftung Niedersachsen - dagegen nun in wunderbar gedruckten und gebundenen Bänden irritierend prunkvoll in Szene.
Denn die Texte dementieren diesen Luxus, beklagen immer wieder die Ort- und Brotlosigkeit des lyrischen Subjekts. Beklemmend und komisch zugleich berührt Anne Dudens mit allen Mitteln ihrer anatomischen Sprachkunst ins Werk gesetzte Verfremdung einer jener Subventionsveranstaltungen in dem langen Gedicht "Hibernaculum". Es handelt sich um die pflichtschuldige Leistung für ein Gastspiel aus der Reihe Kunst und Regionalprofil in einem Wintersporthotel im Sauerland, die sie aber "erst nach einem Anflug von Euphrasie / Monate später" zu erbringen im Stande war. In ihrem Hotel war sie "von Anfang an den Katzentisch verwiesen" und einem "Tellergerichtsverfahren" unterworfen. Aber nicht einmal an dem Tischchen ist das lyrische Subjekt lange geduldet, da es zur Versorgung von "Menschenaufläufen", "zum Beistellen / Anrichten und Dekantieren dringend benötigt wird". Aus solcher Perspektive wird die zur Freizeitgestaltung funktionalisierte Hingegend zum Ort eines Unheilgeschehens, eines vollkommen verdinglichten Zusammenhangs, in dem der polyamidbewehrte, mit Hilfe von "Steißankern" bewerkstelligte "Aufschwung in Massen" an die Stelle der lyrischen Erhebung der immer fluchtbereiten Vereinzelten tritt.
Das klingt nach der billigen Rache des Gnadenbrot "verputzenden" lyrischen Subjekts, aber Anne Dudens katastrophische Erinnerungskunst überwindet in der sprachanalytischen Durchführung den larmoyanten Erlebniston, und es gelingt ihr die moderne Fortschreibung einer klassischen Winterlandschaft, in der alle Differenzierungen der Wahrnehmung, "aller Duftanhang" in "Haar-, Rauh- oder Rauchfrost, alle morgendlichen / eisig gläsernen Gespinste und Gewächse" als Glücksversprechen noch vorhanden sind, wenngleich wie eingefroren und aufbewahrt zu späterem Empfinden.
Ungleich pathetischer und konventioneller bis an den Rand des Kitschs situiert sich Bianca Dörings Dichten zwischen vitalistischer Orientierungsfreude und sentimentaler Vergehenslust. Im fahlen Licht des Winters muss es mindestens "Urangst" und das "Menschenlose" sein, in dem sich die Person in dieser kalten Welt zerstreut. "Blasse / Münder voll mit Schrift" sprechen da gern von Auflösung (zu Puder) und Verderben, produzieren aber dabei Bilder der exquisiten Sorte. Da werden die Hilfeschreie zu "Elfenbeinbabys die ermordet / in meinen Backentaschen gefrieren", als "Giftschrift" fällt die Kehle "schwarz ein Gerinsel / hinab in den Lärm der Anderen", oder es schreit die "Seele aus allen Himmelsrichtungen" zugleich. Am Ende aber ist "Gottes zerzauster Zirkus" trotz aller Deformierung, die dem weiblichen Subjekt von den "Schlachtmeistern" dieser Wirklichkeit widerfährt, eine große Wunderveranstaltung. Und der Leser schüttelt sich ein wenig vor lauter zucker- und bitter-süßen Zumutungen und ist ein wenig hingerissen von einer lyrischen Naivität, die so tut, als hätte es Sappho nie gegeben und Annette von Droste-Hülshoff nicht und auch nicht Ingeborg Bachmann, also so, als hätte sich die weibliche Seele - "lebe mich du Menschennacht" - noch nie zuvor nach Einheit mit der Welt gesehnt.
Dagegen erscheint Georg Oswald Cott als ein nüchterner Facharbeiter für Sinnproduktion, der sein Tagewerk an Worten verrichtet, sei das Lied auch gelegentlich "aus der Not geboren", also aus einer gestorbenen Redewendung. Cotts Gedichte sind die kürzesten und wirken in dem aparten Format der Luxusedition ärmlich und gelegentlich auch wie Dienst nach Vorschrift. Es wäre aber verfehlt, ihnen das Etikett der "Tendenz zum Verstummen" anzuheften. Manche werden gerade in der aphoristischen Verknappung als latente Geschwätzigkeit erkennbar: "Brotlos geworden / und ohne Bleibe // alles verschiebt sich / mein Herz schlägt im Hals". Jeder Leser, der mit seiner Wirklichkeit auch nicht zufrieden ist, gönnt dem lyrischen Subjekt "ganze Tage ohne Schmerz", aber am Ende von Cotts Band fragt er sich, ob sich nicht der "Pferdekopfnebel" hätte "in Schweigen" hüllen sollen, ohne dass das hingeschrieben werden müsste.
Derart setzt Kattners schöne geförderte Edition den Leser in Zwiespalt. Das Prunkende ist jedenfalls allen drei Werken unangemessen. Den raffinierten und reflektierten Texten Anne Dudens schadet der grüne Einband jedoch so wenig wie der überschwenglichen Pop-Lyrik Bianca Dörings, obwohl die sich in der Brigitte besser ausnehmen würden. Georg Oswald Cott dagegen steht der Purpurmantel aus Regent-Leinen nicht, seine besinnlichen Sprüche wären eher etwas für die letzte Seite der lokalen Wochenendbeilage. Sollte aber die Edition auch nur einem der OEuvres mehr Leser verschaffen, so will der Rezensent nichts gegen schönen Buchdruck gesagt haben.
FRIEDMAR APEL
Anne Duden: "Hingegend". Gedichte. Herausgegeben von Heinz Kattner. Klampen Verlag, Lüneburg 1999. 48 S., geb., 28,- DM.
Bianca Döring: "Schierling und Stern". Gedichte. Herausgegeben von Heinz Kattner. Klampen Verlag, Lüneburg 1999. 48 S., geb., 28,- DM.
Georg Oswald Cott: "Tagwerk". Gedichte. Herausgegeben von Heinz Kattner. Klampen Verlag, Lüneburg. 48 S., geb., 28,- DM.
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"Ihre Wörter sind aufgeladen, sie bersten vor Energie, sie gehen den Leser an, man kann sie körperlich spüren." (Süddeutsche Zeitung)