Warum ist Online-Kommunikation geprägt von Überreizung, Missverständnissen und gegenseitigem Misstrauen? Wie wird online mit Bildern und ihrer Interpretation Politik gemacht? Und mit welchen Methoden wird in den Sozialen Medien um Deutungsmacht gekämpft? Die Kulturwissenschaftlerin Annekathrin Kohout erkundet die Sozialen Medien als eine Welt, in der alles auf möglichst starke Reaktionen ausgelegt ist. Nur wer permanent beurteilt, kommentiert, teilt oder mit seinen Beiträgen selbst starke Interaktionen hervorruft, wird hier von den Algorithmen belohnt - mit fatalen Konsequenzen, auch für die Debatte außerhalb der Plattformen.Anhand persönlicher Erfahrungen, prägnanter Fallbeispiele und theoretischer Reflexionen legt Kohout anschaulich offen, wie in den Sozialen Medien analytische, forensische und investigative Methoden imitiert werden, um gezielt Desinformation zu verbreiten und Stoff für Polarisierung zu bieten. Und sie zeigt, welche Verantwortung jeder einzelne User dabei trägt. Wer einen glaubwürdigen demokratischen Diskurs noch nicht aufgeben möchte, sollte diese Bestandsaufnahme der digitalen Gegenwart dringend lesen.
Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Im Großen und Ganzen schlüssig findet Titus Blome, was Annekathrin Kohout über die Mechanismen der Onlinekommunikation schreibt. Die Kulturwissenschaftlerin geht, so Blome, von der Beobachtung aus, dass Onlinetexte deutlich mehr Kommentare und Reaktionen hervorrufen als Offlinetexte und zwar, weil die entsprechende Infrastruktur direkt auf den Websites angeboten wird - was dann im nächsten Schritt Beiträge zur Folge hat, die darauf ausgerichtet sind, möglichst viele, meist wütende, Reaktionen hervorzurufen. So weit so geläufig; Kohout schließt an diese Diagnose jedoch eine weitergehende These an, derzufolge unser Bezug zur Welt sich in der Begegnung mit Onlinekommunikation ändert. Das Schlüsselwort dabei: Hyperinterpretation, also, fasst Blome Kohout zusammen, die Tendenz, überall verborgene Zeichen lesen zu wollen. Damit kann der Rezensent einiges anfangen, allerdings ist das Buch für seinen Geschmack etwas zu schmal ausgefallen: Kohout zeige etwa nicht deutlich genug auf, wo die Grenze verlaufe zwischen spielerischer Internetkreativität und Online-Paranoia. Dennoch lege die Autorin eine starke Schrift über die neuen Diskursgegebenheiten vor, die sich angenehm vom Gejammer über Cancel Culture abhebe, meint Blome.
© Perlentaucher Medien GmbH
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