»Grenzerkunder sind sie stille Gestaltenwandler« - ihnen zugehörig ein Ich, das sich zwischen verschiedenen Welten positioniert und nicht zurechtfindet, dessen Herkünfte und Zukunftswünsche sich immer wieder neu arrangieren, überworfen und dann doch in der Außenwelt gefunden werden. Es geht um Ortserkundungen im weiten Sinne - zwischen München, Greifswald, St. Petersburg und anderswo -, um Flucht und Isolation, das Zehren und die Kraft von Einsamkeit. In einem Stimmengewirr der Gegenwart, montiert aus Werbezitaten, Gesetzestexten, tagesaktuellen Nachrichten und Motiven der Mythologien, werden Fragen nach Elternschaft und Autorschaft als Profession verhandelt. Zwischen hastiger Maniküre und mit schwarzem Kaviar tapezierten Wänden werden die, die wir lieben, zu unserem Halt in der Welt. Das vermeintlich Unbedeutende wird existenziell, und das Existenzielle gebrochen in seine Relativierungen des Absurden und Belanglosen. Am Ende des Tages braucht es nicht mehr als einen Waffenschein, ein bitteres Parfüm und ein Haus, in dem einen keiner kennt.Welche untergründigen, übergangenen Orte können heute noch entdeckt werden, ohne auf Wundervölker, phantastische Tierwesen oder die Kartierung der Welt durch Google Maps zurückzugreifen? Welche Sprachen können wir gemeinsam sprechen? Mit tastender Melancholie, mäandernder Traurigkeit und schillernder Groteske erkunden in diesem Band Gedichte und lyrische Kurzprosa die Umbruchzeit, in der wir leben.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Benno Schirrmeister freut sich über die große "Widerborstigkeit" von Slata Roschals Dichtung. Am Anfang denke man noch, es könne sich auch um Prosa handeln, aber dann geht es doch lyrisch rund: ohne Satzzeichen, mit komplizierten Assoziationsverläufen und dabei sich ständig am Grauen der Gegenwart, auch an großen Themen wie Liebe und Tod abarbeitend, dabei aber glücklicherweise nicht das Banale, Konkrete aus den Augen verlierend: um den Krieg in der Ukraine geht es, um Sterbehilfe oder den Sinn von Kunst, aber eben auch um Madonna, Kosmetik-Unfälle oder die Steuererklärung, einfach das "beschissene wirkliche Leben", lobt der Kritiker. Besonders toll findet er außerdem, wie ungeniert die Dichterin gegen den Literaturbetrieb schießt: vor allem das Förderungsformat der Residenz-Stipendien greift sie an, die die vorübergehende Selbstaufgabe der In-Anspruch-Nehmenden fordere. Genauso kritisch gehe die Autorin aber auch mit sich selbst ins Gericht. Wie Roschal dies alles verpacke, rhythmisch schwungvoll und mit souveränen Aneignungen diverser "Traditionen" (Pop, Bibel, Gebrauchsanweisung…) scheint den Kritiker mitzureißen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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