Politik und Unternehmen setzen immer noch auf finanzielle Anreize, um gesellschaftliche Missstände zu korrigieren oder Mitarbeiter zu motivieren. Dabei entscheiden die Menschen nach ganz anderen Kriterien. Wirtschaftliche Entscheidungen laufen nicht so ab, wie es die Lehrbücher gerne hätten. Wenn wir wirklich verstehen wollen, was Menschen kaufen, welchen Bildungsweg sie einschlagen, ob sie mehr Gehalt wollen oder lieber mehr Freizeit - dann müssen wir etwas berücksichtigen, was die Wirtschaftswissenschaften bisher übersehen haben: ihre Identität. Unsere Identität bestimmt, was wir für richtig halten oder für falsch, welchen Gruppen wir uns zugehörig fühlen, ob wir Vorbilder haben und wenn ja, welche. Das hat ganz praktische Konsequenzen: Warum strengen sich die einen im Beruf an, während die anderen eine ruhige Kugel schieben? Soll man Investitionen in Bildung befürworten oder sind sie reine Verschwendung? Ist es in Ordnung, wenn Banker üppige Boni kassieren, oder nicht? Wie setzt man sich als Frau im Topmanagement gegen lauter Alpha-Tiere durch?
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Interessant scheint Johannes Gernert das Konzept der Identitätsökonomie, das der Wirtschaftswissenschaftler George A. Akerlof und seine Kollegin Rachel E. Kranton in ihrem Buch "Identity Economics" entwerfen. Wie er erläutert, spielen Fragen nach der Identität von Menschen, nach ihren Normen, nach dem sozialen Kontext, in dem sie sich bewegen - Aspekte, die von Wirtschaftswissenschaften bislang zu wenig berücksichtigt wurden - dabei eine wichtige Rolle. Er hebt hervor, dass Akerlof und Kranton darin zentrale ökonomische Faktoren erkennen. Mit deren Hilfe sie erklärten sie zum Beispiel, warum Frauen früher seltener arbeiten gingen als Männer: die gesellschaftlichen Normen sahen dies nicht vor. Gernerts Fazit: ein Werk, das die Bedeutung von Identität und gesellschaftlichem Kontext ins Zentrum wirtschaftswissenschaftlicher Wahrnehmung rückt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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