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Auf derselben Wiese, auf der im 15. Jahrhundert Holzstangen den Ort verschiedener Untaten markieren, steht heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, das Mietshaus, in dem Heinz und Selena die kühle Endphase ihrer Beziehung erleben. In den Zwanzigerjahren befindet sich auf der Wiese das Bauernhaus der Familie Schacher, aus dem der junge Schacher davonläuft und mit Bruns Ein-Mann-Varieté auf Wanderschaft geht. In den Sechzigerjahren wohnen die neunjährige Mari und ihr Vater in dem Mietshaus, auch sie ein seltsames Paar: Mari ist in ständiger Angst vor Krieg und Geheimpolizei, aber auch vor der…mehr

Produktbeschreibung
Auf derselben Wiese, auf der im 15. Jahrhundert Holzstangen den Ort verschiedener Untaten markieren, steht heute, am Anfang des 21. Jahrhunderts, das Mietshaus, in dem Heinz und Selena die kühle Endphase ihrer Beziehung erleben. In den Zwanzigerjahren befindet sich auf der Wiese das Bauernhaus der Familie Schacher, aus dem der junge Schacher davonläuft und mit Bruns Ein-Mann-Varieté auf Wanderschaft geht. In den Sechzigerjahren wohnen die neunjährige Mari und ihr Vater in dem Mietshaus, auch sie ein seltsames Paar: Mari ist in ständiger Angst vor Krieg und Geheimpolizei, aber auch vor der neugierigen Nachbarin, und Vater Ferenc faßt im neuen Land nicht Fuß. Auf vier Zeitebenen über sechs Jahrhunderte hinweg zeichnet Im April die Geschichte ein und desselben Ortes und seiner einander ablösenden Bewohner nach. Durch alle Zeiten hindurch läßt der Ort sein grundlegendes Geheimnis spüren. Diesen Ort, die Menschen und Geschichten einzeln und zusammenzusehen zugleich ihr Geologe, Soziologe und ihr Historiker zu sein ist die Leistung dieses Romans, eine Leistung, wie sie nur von wahrer Literatur erbracht werden kann.
Autorenporträt
Christina Viragh, geboren 1953 in Budapest, emigrierte 1960 in die Schweiz und lebt heute in Rom. Sie ist Schriftstellerin und übersetzt aus dem Ungarischen und Französischen. 2012 wurde sie mit dem Hauptpreis des Europäischen Übersetzerpreises Offenburg für ihre Übersetzungen aus dem Ungarischen ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.07.2007

Das Gras ist immer grüner
Betreten verboten: Christina Viragh sieht die Welt als Wiese

Über der Wiese, welche die Menschen wie magisch anzieht, liegt ein Schatten. Im späten Mittelalter hat hier ein Mord stattgefunden. Man spricht von Gold und dunklen Kräften. Christina Viragh schildert einen seltsamen Ort, indem sie das Schicksal der Anwohner auf vier Zeitebenen verfolgt: ein Aprilabend des Jahres 1415, zwanziger und sechziger Jahre des zwanzigsten und Anfang dieses Jahrhunderts. Die anfänglich etwas unübersichtliche Montage gewinnt schnell an Reiz.

Zunächst umkreist ein unerschrockener Adeliger die in der Nähe seines Landgutes gelegene Wiese, um sich ihrem Geheimnis zu nähern. Aber seinem forschenden Verstand steht der Unwille seines Pferdes entgegen, die "Matte" auch nur zu betreten. Dies löst die abergläubische Furcht eines Freundes aus, die sich durch unerklärliche Feuersbrünste steigert. Der Leser wird durch den meisterlichen Einsatz erlebter Rede in Weltuntergangsängste hineingezogen. Über das wahre Wesen der Wiese und der Welt kann niemand etwas Verbindliches sagen. Christina Viragh setzt ihre erkenntniskritische Einsicht in die Perspektivität aller Erkenntnis mit technischer Finesse um. Ihre Erzählerin verzichtet auf jede Bewertung, nur manchmal betrachtet sie die Figuren mit Ironie, spielt mit ihnen und den Zeitebenen, die sie entweder hart aneinander schneidet oder geschickt miteinander verbindet.

In den zwanziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts lebt die Familie Schacher auf einem Hof am Rande der "Matte". Wie die Wiese, so ist gewissermaßen auch das Schicksal der Familie von tiefen Furchen geprägt. Deren trunksüchtiges Oberhaupt treibt seine Frau in den Tod und den Sohn mit dem Gewehr aus dem Haus. In seiner Verzweiflung schließt der Junge sich einem fahrenden Varietékünstler in zierlichen Damenschuhen an, was zu rührenden und komischen Szenen führt. Ist dieser Herr Brun ein Retter oder ein Kinderschänder? Das Gerede der Leute bleibt ebenso uneindeutig wie die Aussagen des einfältigen Ausreißers, der aus seiner trüben Wirklichkeit in Phantasien flüchtet.

Es gelingt Christina Viragh, über Assoziationsketten, Träume und Selbstgespräche selbst in verwickelte Seelenlagen Einblick zu gewähren. In ihrem neuen Roman geht sie aber weiter als bisher über Einzelschicksale und auch über ihre eigene Biographie hinaus. Zwar sind Mari und ihr Vater, die in den sechziger Jahren in einem am Rande der "Matte" hochgezogenen Neubau wohnen, wie die Autorin ungarische Emigranten, deren Angst vor einem neuen Krieg und der Geheimpolizei die Katastrophen des zwanzigsten Jahrhunderts anklingen lässt. Aber der Blick der Autorin öffnet sich für alle, die durchs Treppenhaus laufen, für die Nachbarin im Morgenmantel hinter dem Spion und den Kneipenwirt. Christina Viragh bündelt die Lebensgeschichten der Menschen am Rande dieser mysteriösen Wiese, auf der nun gebaut wird. Der Anblick eines grauen Wohnklotzes stürzt Selena Anfang dieses Jahrhunderts in Depressionen und zwingt sie, ihren Mann zu verlassen. Was löst diese Krise wirklich aus? Und was fürchten die Anrainer der ehemaligen Wiese? Das bleibt ungelöst. Klar wird nur, dass die Schicksale der Epochen einander ähnlich sind. Die historisch exakt gezeichneten Zeiten gleiten ineinander über, werden zu einer großen grünen Fläche mit menschlichen Spuren. Viele Wege führen durch die Wiese, aber zu keinem Ziel - eine Metapher fürs Dasein. Bleibt man aber einen Moment stehen, spürt man jene Zeitlosigkeit, die keine Deutung mehr braucht und das Gerede der Menschen verstummen lässt.

SANDRA KERSCHBAUMER

Christina Viragh: "Im April". Roman. Ammann Verlag, Zürich 2006. 340 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Rolf-Bernhard Essig kommt angesichts dieses Romans aus dem Schwärmen, Staunen und Loben gar nicht mehr heraus und preist das Buch in seiner Wirkung als ebenso magisch, wie es die Schweizer Wiese ist, auf der sich die vielschichtigen Geschichten ereignen. Nicht zuletzt sieht er sich wegen der bildmächtigen Sprache von Christina Viragh an Filme wie Peter Weirs "Picknick am Valentinstag" oder Andrej Tarkowskijs "Stalker" erinnert, wobei ihn besonders fasziniert, dass Viragh genauso wie diese Filmemacher ihren Figuren und Episoden nicht das Geheimnis nimmt. Als an romantische Literatur anknüpfend und damit einmalig in der Gegenwartsliteratur erscheint ihm die Prosa der Schweizer Autorin, sowohl was ihre Motive als auch ihre verschachtelte und fragmentarische Erzählweise angeht. Bei allen Hinweisen auf eine "höhere Realität" bleibe Viragh aber dennoch der Wirklichkeit verpflichtet, so Essig, der sich mit diesem Roman gleichermaßen gefesselt, in Bann geschlagen und intellektuell gefordert sieht.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Was ist mit diesem Ort los? Liegt wirklich ein Fluch auf ihm, der weiterwirkt, oder ist es ein normaler Ort, der auf eine 'normale' beschädigte Gesellschaft verweist?«
Brigit Keller, P.S., die linke Zürcher Zeitung

»KURIER-Wertung: vier und ein halber Stern«
Peter Pisa, Kurier

»Literarisch höchst beglückend«
Roland Freisitzer, sandammeer.at
»Ein Hopping durch die Jahrhunderte, packend erzählt, in einer wunderbaren Sprache!«
Oliver Graue, BizTravel