Der Roman ist streng gegliedert: drei Bücher, drei weise Frauen, drei Freundinnen und drei Zitate aus dem Alten Testament, die den Tenor des jeweiligen Kapitels vorgeben.
Innerhalb dieser Struktur entfaltet sich eine überbordende Erzähllust und Fabulierfreude. Moreno stellt ihrem Leser eine
wachsende und zum Schluss fast unüberschaubare Fülle von Personen vor, deren Geschichte sie in deren…mehrDer Roman ist streng gegliedert: drei Bücher, drei weise Frauen, drei Freundinnen und drei Zitate aus dem Alten Testament, die den Tenor des jeweiligen Kapitels vorgeben.
Innerhalb dieser Struktur entfaltet sich eine überbordende Erzähllust und Fabulierfreude. Moreno stellt ihrem Leser eine wachsende und zum Schluss fast unüberschaubare Fülle von Personen vor, deren Geschichte sie in deren Familiengeschichte hinein zurückverfolgt und von deren Geschichte sich wieder andere Geschichten abästeln. Sie erzählt bizarre und teilweise absurde Vorkommnisse, die im Zwischenreich von Realität und Fiktion angesiedelt sind. Damit hält sie den staunenden Leser immer wieder in der Schwebe: ist das Erzählte glaubwürdig oder schon zu phantastisch, um in der Realität Bestand zu haben? Ein Beispiel: Verlässt der millionenschwere, aber liebeskranke Javier tatsächlich seine Fabriken, seine Häuser, seine Familie, seinen Country Club etc. und sucht auf den Weltmeeren, ähnlich dem Fliegenden Holländer, als zerzaustes Gespenst seine große Liebe? Oder ist es wahr, dass die vergewaltigte Donna Eulalia tatsächlich alle männlichen Haustiere abschlachten lässt und sogar das Vaterunser verbietet? Mit solchen und anderen Geschichten errichtet Moreno eine ungeheuer pralle und farbenprächtige, wenngleich auch morbide Welt.
Auch Morenos Figuren schweben zwischen Realität und Fiktion. Sie unterscheiden sich zwar untereinander und sie finden verschiedene Wege, mit dem Patriarchat bzw. Machismo umuzugehen, aber ihnen fehlt die innere Differenzierung. Sie wirken daher eher wie Typen, an denen Moreno ihre Auffassungen zum Patriarchat bzw. zum Feminismus u. a. durchkonjugiert und weniger als Individuen.
Die Personen bewegen sich ausnahmslos in der unendlich reichen kolumbianischen Oberschicht, die ihre Herkunft und damit ihren Anspruch auf Überlegenheit auf die spanischen Konquistadoren gründet und die daher der europäischen Kultur aufgeschlossen und bewundernd gegenübersteht - und gleichzeitig andere Ethnien verachtet.
Aus dieser Schicht stammen die Frauen des Romans, die sich mit der Grausamkeit des herrschenden Patriarchats auseinandersetzen und verschiedene Wege - nicht immer Lösungen! - finden. Das Frauenbild (ebenso das Männerbild) fand ich allerdings entschieden zu einseitig, weil Frauen auf ihre biologischen Bedingungen reduziert werden und Emanzipation allein in der sexuellen Befreiung bzw. Selbstbestimmtheit der Frau gesehen wird. Moreno ist offensichtlich der Auffassung, dass die freie Verfügung der Frau über ihren Körper und ihre Sexualität die Grundlage aller gesellschaftlichen Veränderungen ist. Darüber kann man natürlich streiten. Die Folge dieser Auffassung zeigt sich aber im Roman: Sexualität spielt eine wesentliche Rolle und ist bis zur Übersättigung allgegenwärtig.
Alle Handlungsfäden laufen in der Figur der Lina zusammen, die ihre Freundinnen und Verwandten beobachtet und ihr Leben aus der Rückschau erzählt. Lina hat ihr Land verlassen, wohnt im Sehnsuchtsort Paris, sie ist krank, ihr Leben neigt sich. Und jetzt blickt sie auf das Erlebte zurück, vor allem auf die alltägliche Gewalt, wie sie sich in den Ehen zeigt. Bei diesem Rückblick achtet die Autorin deutlich darauf, immer Zeugen für die Erzählungen zu benennen, und dafür nimmt sie einige Umwege in Kauf. So ist es z. B. einmal eine der Freundinnen, die dem Arzt etwas erzählt, der erzählt es einem Angehörigen, der wiederum erzählt es seinem Bruder, der seiner Tochter - und die gibt die Geschichte dann schließlich an Lina weiter.
Damit erreicht die Autorin einerseits Authentizität, das ist unbestritten, aber andererseits verschachtelt sie damit die Handlung zu einem dichten Komplex, in dem man als Leser den roten Faden suchen muss. Der sich dann oft hinter langwierigen theoretischen Auslassungen zur Psychologie, zum Feminismus und anderen Themen verstecken muss.
Diese Liebe zur Verschachtelung zeigt sich auch in der Sprache. Morenos Sprachkunst ist beeindruckend. Ihr gelingen starke und beeindruckende Bilder, die in ihrer Vielschichtigkeit die Handlung vertiefen. Ihre Formulierungen sind oft bitterböse und reizen zum Lachen, das einem dann am Ende des Satzes wieder im Halse stecken bleibt. Morenos Sprache fließt wie ein breiter und nicht endender Fluss vor sich hin.
Aber die Verschachtelung der Sätze, die überaus komplizierte hypotaktische Syntax und die damit zusammenhängenden unklaren Kohärenzen stauten meinen persönlichen Lesefluss immer wieder auf. Das Lesen wird zu einer konzentrierten Kraftanstrengung, und erst gegen Ende, wenn das Buch auch zunehmend elegischere Töne anschlägt, wird das Lesen leichter.
Trotzdem: mir hat der Roman letzten Endes gut gefallen. Aus dem Buch spricht nicht nur eine große Freude am Erzählen, sondern auch eine leidenschaftliche Wut, mit der die Autorin mit ihrer Gesellschaftsschicht und ihrem Land abrechnet.