Mit Max Horkheimers 1937 bereits im Exil verfassten Aufsatz »Traditionelle und kritische Theorie« findet die Kritische Theorie ihre bündige Bestimmung, im Nachkriegsdeutschland wird sie als Frankfurter Schule zur intellektuellen Institution und moralischen Instanz. Die Ursprünge der Kritischen Theorie jedoch liegen, so zeigt Christian Voller, in der Katastrophe des Ersten Weltkriegs. Die Zustimmung der Sozialdemokratie zu den Kriegskrediten im patriotischen Taumel 1914, die Niederschlagung der Arbeiter- und Soldatenräte nach dem Kriegsende sowie die rapide Bolschewisierung der Revolution in Russland sind ein Schock. Alles steht erneut auf dem Prüfstand. Im Heidelberger Universitätsmilieu der frühen 1920er-Jahre treffen enttäuschte Revolutionäre auf verzweifelte Neukantianer. Gemeinsam wenden sie sich erneut dem Werk Karl Marx' zu, um es einer kritischen Rekonstruktion zu unterziehen. Hier bildet sich auch der produktive Zwiespalt der neuen Philosophie heraus: Sie ist Theorie der sozialen Revolution im Zeichen ihres fortgesetzten Scheiterns.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Der in München lehrende Ideengeschichtler Thomas Meyer bespricht zwei Neuerscheinungen zur Urgeschichte des Frankfurter Instituts für Sozialforschung, das im Jahr 2023 den hundertsten Jahrestag seiner Gründung feiert, Christian Vollers "In der Dämmerung - Studien zur Vor- und Frühgeschichte der Kritischen Theorie" und Hans-Peter Grubers "Aus der Art geschlagen" - Eine politische Biografie von Felix Weil (1898-1975)". Voller arbeitet dabei im wesentlichen ideengeschichtlich, und zwar "streng dialektisch", wie Meyer lobt. Allesamt waren sie Marxisten im IfS. Meyer staunt, in einer wie breiten Denkbewegung das frühe Institut stand und nennt eine Menge Namen, die dem breiteren Publikum heute nicht so bekannt sind, darunter den Austromarxisten Carl Grünberg. Es bleiben für ihn aber auch Desiderata. Die besten Analysen der Räterepubliken nach dem Ersten Weltkrieg etwa, behauptet er, fänden sich nicht in der Frankfurter Schule sondern beim Frankfurter Juristen Hugo Sinzheimer und dem Münchner Franz Gutmann. Dazu wünscht er sich ein zweites Buch von Voller.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Christian Voller hat mit In der Dämmerung eine so kluge wie provokative und substanziell gewichtige Rekonstruktion vorgelegt. Seine genaue und streng dialektische, dabei stilistisch souveräne Arbeit ist in der Lage, die Differenzen zwischen den Genannten zu benennen und zugleich Momente einer gemeinsamen Stoßrichtung festzustellen und zu analysieren. In der Engführung von IfS und der auf einer 'materialistischen Kulturtheorie' fußenden Kritischen Theorie ist ihm ohne Frage ein Coup gelungen.« Thomas Meyer SZ - Süddeutsche Zeitung 20230301







