Im Mittelalter erlebte Irland eine frühe kulturelle Blüte, von der heute noch prachtvolle Handschriften wie das "Book of Kells" oder die vielen Klosterruinen auf der "Grünen Insel" Zeugnis ablegen. Der Konstanzer Historiker Michael Richter hat eine kurze Geschichte dieser ereignisreichen Jahrhunderte geschrieben.
"Irland im Mittelalter. Kultur und Geschichte" von Michael Richter. Verlag C. H. Beck, München 1996. 216 Seiten mit zehn Schwarzweißabbildungen und vier Karten. Leinen, 48 Mark. ISBN 3-406-40481-2.
Das Buch des Konstanzer Professors, die aktualisierte Neuausgabe einer Arbeit von 1983 aus Anlaß des Frankfurter Buchmessen-Schwerpunkts 1996, richtet sich vor allem an Historikerkollegen. Der Irland-Reisende als vielzitierter "interessierter Laie" müßte schon mehr interessiert als Laie sein, um der überaus trockenen Arbeit, die manches an Wissen voraussetzt und ihre Thesen kaum für den Nichtfachmann akzentuiert, mit Gewinn folgen zu können. Freilich lohnt die Darstellung die Mühe, und der chronologische Aufbau des Buches wie seine konsequente Gliederung in kleine Einheiten kommen dem Leser entgegen. In überschaubarem Umfang wird hier die große Rolle Irlands für das Geistesleben des frühen Mittelalters abgehandelt. Im Unterschied zu anderen Historikern behauptet Richter eine nachweisbare historische Kontinuität über ein ganzes Jahrtausend hinweg: von 500 bis 1500 nach Christus. Fremde Einflüsse in dieser Großepoche - die Bedrohung durch die Wikinger ebenso wie die Eroberung durch die anglo-normannischen Engländer unter Heinrich II. - seien von der irischen Gesellschaft letztendlich absorbiert worden. Dem entspricht in der Darstellung methodisch eine vielfältig belegte Vorrangstellung der Sozial- und Kulturgeschichte vor der politischen Geschichte und inhaltlich der Nachweis einer in zahlreichen Kleinkönigreichen organisierten dezentralen Herrschaft in Irland bei gleichzeitigem Fehlen einer Zentralgewalt, wodurch sich die Situation von 1169 entscheidend von der im Jahre 1066 (Beginn der normannischen Herrschaft in England mit der Schlacht bei Hastings) unterscheide. Klar stellt Richter die Gefahr heraus, "anachronistische moderne Parallelen zu erwecken", seine These von der Gleichzeitigkeit zweier Nationen im spätmittelalterlichen Irland könnte aber dennoch - nämlich wegen der oben genannten fehlenden Zuspitzung in der Darstellung - als Antwort und Klärung der noch immer aktuellen "irischen Frage" mißverstanden werden. (mbe.)
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main