Petra Morsbachs großer Roman über Gerechtigkeit und jene, die sie schaffen sollen
Thirza Zorniger stammt aus einer desaströsen Schauspielerehe und will für Gerechtigkeit sorgen. Sie wird Richterin im Münchner Justizpalast, doch auch hier ist die Wirklichkeit anders als die Theorie: Eine hochdifferenzierte Gerechtigkeitsmaschine muss das ganze Spektrum des Lebens verarbeiten, wobei sie sich gelegentlich verschluckt, und auch unter Richtern geht es gelegentlich zu wie in einer chaotischen Familie. "Justizpalast" ist ein Roman über die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, über erregte, zynische, unverschämte, verblendete, verrückte, verwirrte und verzweifelte Rechtssuchende sowie überlastete, mehr oder weniger skrupulöse, kauzige, weise, verknöcherte und leidenschaftliche Richter.
Thirza Zorniger stammt aus einer desaströsen Schauspielerehe und will für Gerechtigkeit sorgen. Sie wird Richterin im Münchner Justizpalast, doch auch hier ist die Wirklichkeit anders als die Theorie: Eine hochdifferenzierte Gerechtigkeitsmaschine muss das ganze Spektrum des Lebens verarbeiten, wobei sie sich gelegentlich verschluckt, und auch unter Richtern geht es gelegentlich zu wie in einer chaotischen Familie. "Justizpalast" ist ein Roman über die Sehnsucht nach Gerechtigkeit, über erregte, zynische, unverschämte, verblendete, verrückte, verwirrte und verzweifelte Rechtssuchende sowie überlastete, mehr oder weniger skrupulöse, kauzige, weise, verknöcherte und leidenschaftliche Richter.
Nie war sie mit solcher Genugtuung Richterin: Petra Morsbachs großartiger Roman "Justizpalast" erzählt von der Liebe zwischen einer Frau und der Rechtspflege.
Am kommenden Sonntag erhält Petra Morsbach für diesen Roman mit dem Wilhelm-Raabe-Preis eine der bedeutendsten literarischen Auszeichnungen in Deutschland, nur zwei Tage danach ist sie mit ihm dann gleich für die nächste nominiert: als einem von drei Finalisten für den Bayerischen Buchpreis. Schon vorher ist "Justizpalast" in die zweite Auflage gegangen, und das will etwas heißen für ein solch herausforderndes Buch (F.A.Z. vom 29. Juli). Es steht gut um die deutsche Literatur, wenn es derartige Aufmerksamkeit bei Publikum und Kritik findet. Vor allem aber, weil es überhaupt geschrieben wurde.
Das ist nicht selbstverständlich. Petra Morsbach hat rund zehn Jahre daran gearbeitet, seitdem sie auf Einladung eines Richters das Verwaltungsgericht von Münster besucht hatte. Die Ernsthaftigkeit der Justiz, das Selbstverständnis ihrer Angehörigen und vor allem natürlich die juristische Sprache faszinierten die 1956 geborene Schriftstellerin, die bereits 1998 mit "Opernroman" aus teilnehmender Beobachtung eine Berufskultur zum Gegenstand gewählt - bis heute ihr größter Erfolg - und dieses Verfahren dann 2004 mit ihrem Priesterroman "Gottesdiener" wiederholt hatte. Der Präsident des Verwaltungsgerichts willigte nach Lektüre des letzteren Buchs ein, dass Frau Morsbach zwei Wochen lang in Münster die Arbeit der Justiz aus der Innensicht beobachten durfte - gegen Unterzeichnung einer Verschwiegenheitserklärung. Aber sie recherchierte ja für einen Roman. Zurückgekehrt ins heimatliche Starnberg, bat sie zur weiteren Vertiefung des Stoffs das Münchner Verwaltungsgericht um ähnliche Kooperationsbereitschaft, bekam hier jedoch eine Absage. Aber das Landgericht München stimmte zu, und mit ihm kam zugleich der Justizpalast ins Spiel, jenes eindrucksvolle neobarocke Gebäude, in dem auch das bayrische Justizministerium residiert. Der Titel des Romans ist auch eine kleine Danksagung für juristische Hilfestellung. Und "Landgericht"hieß ja schon ein erfolgreicher Roman von Ursula Krechel.
Der hatte 2012 den Deutschen Buchpreis gewonnen, doch trotz dem Thema einen ganz anderen Schwerpunkt als Morsbachs Roman, nämlich die mangelhafte Wiedereingliederung der im Nationalsozialismus entlassenen und in die Emigration entkommenen jüdischen Justizangehörigen. Beide Bücher eint aber auch ein zentrales Motiv: das Streben seiner jeweiligen Protagonisten nach Gerechtigkeit. Beide müssen die desillusionierende Erfahrung machen, dass politische Interessen auf die deutsche Rechtsprechung einzuwirken versuchen.
Im Mittelpunkt von "Justizpalast" steht Thirza Zorniger, deren Nachname keineswegs ein Omen ist, die aber auch durch ihren ungewöhnlichen hebräischen Vornamen - der für "Anmut" steht - nicht charakterisiert wird. Vielmehr beschreibt gerade der innere Zwiespalt des gesamten Namens ihre grundlegende Gespaltenheit: Als ganz auf ihren Beruf fixierte Gerechtigkeitsfanatikerin ist sie sich doch auch ihrer traurigen privaten Situation bewusst (die nur einmal in fast sechzig erzählten Lebensjahren in eine wirkliche Liebe mündet, die dann ein ebenso trauriges wie literarisch virtuos erzähltes Ende findet), als rechtsphilosophisch gebildete Richterin mit Gustav Radbruch als Vorbild muss sie doch zugleich Praktikerin und auch Pragmatikerin sein, und als Verfechterin und Nutznießerin der gesetzlich garantierten richterlichen Unabhängigkeit weiß sie doch auch, dass es private wie gesellschaftliche Prägungen und Bindungen gibt, die man nicht abstreift, wenn man die Richterrobe überwirft. Aus diesen Dilemmata entsteht die Romanhandlung. Einmal wird es ausgesprochen, mit den beiden einzigen Worten in Versalien: "Und jetzt haben wir: DIE JUSTIZ, ein schwindelerregendes Konstrukt aus Anspruch und Verblendung, Abstraktion und Herrschaftssicherung, Moral und Missbrauch, Redlichkeit und Routine, Zwanghaftigkeit und Zynismus. Nicht zu durchdringen."
Was in dieser Aufzählung fehlt, ist die Sprache. Jener Juristenjargon, der von höchster Präzision ist - da lacht das Schriftstellerinnenherz -, aber auch von einer technischen Kälte, die man so nicht in der abgeklärtesten literarischen Prosa findet. Aber jetzt in Petra Morsbachs "Justizpalast", über ganze Seiten mit Fallschilderungen und teilweise Gesetzes- und Verordnungstexten hinweg, und das ist immens mutig, denn im Verlauf des Buchs wird klar, dass nicht Thirza Zorniger die eigentliche Heldin ist, sondern eben die Justiz, und dass deren Sprache wie bei jeder literarischen Figur ein unentbehrliches Mittel zur Kenntlichmachung ist. Entsprechend konsequent wird sie gebraucht. "Justizpalast" ist aber kein Roman in Juristendeutsch, immer wieder wird Thirza Zornigers Stimme zwischengeschaltet, in einer Abfolge wechselnder Perspektiven, die einen eigenen Rhythmus etablieren, der atemlos beschleunigen kann, aber auch wieder retardierend abbremsen, teilweise innerhalb eines einzigen Satzes: "Thirza wieder Herrin der Lage in ihrem Gnadenbüro, das sich, nachdem der Hauch des leidenschaftlichen, verworrenen Lebens verflogen war, steril anfühlte wie eine Raumkapsel."
Chronologisch erzählt wird hier nicht, es gibt Rückblicke, Abschweifungen, Vorgriffe, und da kommt der literarische Anspruch bisweilen der sonstigen juristischen Präzision in die Quere, wenn gesetzliche Regelungen greifen, die zum Zeitpunkt der Romanhandlung noch nicht oder nicht mehr gültig waren. In der Danksagung zum Buch wird zahlreichen Juristen für deren Beratung gedankt, aber keiner von ihnen bekam den ganzen Roman vorab zu lesen, so dass sie nicht immer wissen konnten, wann die jeweils zu prüfende Passage angesiedelt war. Aber das sind Kleinigkeiten, die auch nur Juristen aufspüren werden, denn der Erzählbogen von "Justizpalast" ist ja keine Beweiskette, die auf lückenlose Plausibilität zu prüfen wäre. Er rundet sich durch die intime Zweisamkeit von Richterin und Recht, und diese Partnerschaft ist meisterhaft beschrieben und motiviert.
Die anderen Akteure in "Justizpalast" gehorchen dem Prinzip der Typenbildung. So auch die Kläger und Beklagten - wir haben es im Roman nahezu ausschließlich mit Zivil- und Verwaltungsrecht zu tun. "Sie hatten mehr Rechte denn je in ihrer Geschichte und mehr Rechte als fast alle Bürger sonst auf der Welt, und was taten sie? Sie litten und tobten. Sie prozessierten sich um Kopf und Kragen." In solchen Passagen ist Morsbachs Erzählerin (hier in der auktorialen Variante) mit Justitia selbst zu identifizieren, die etwa unmittelbar nach diesen Sätzen in einen abwägenden Dialog mit demokratischer Vernunft, moralischer Vernunft und historischer Erfahrung eintritt, ehe dann wie auf einer Bühne Richterin Zorniger in den Text tritt: "Thirza: Alles klar, sollen sie streiten. Aber warum so viel?"
So lernen wir aus diesem Roman unser Gemeinwesen besser kennen, am Beispiel seiner wichtigsten öffentlichen Instanz. Dass dann die nachlässige Behandlung der (realen) Causa um die Auslandsguthaben des bayrischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß und seiner Familie durch die Justiz (man könnte auch von deren Behinderung sprechen) zu einem untergründigen, aber bis zum Ende stets neu erscheinenden Handlungsfaden wird, ist das Antidot zum Gift einer frommen Denkungsart, die in der Rechtsprechung etwas selbst Unangreifbares sieht. Dass Petra Morsbach im vergangenen Jahr anlässlich der publizistischen Feiern zum hundertsten Geburtstag von Strauß fast verzweifelte, weil diese Aspekte auch in der Presse totgeschwiegen wurden, weist sie selbst als eine Person mit jenem unbestechlichen Gerechtigkeitsempfinden aus, wie sie es in Thirza Zorniger verkörpert hat. Insofern ist dieses Romanporträt unserer Rechtspflege auch ein Porträt der Autorin als zorniger Frau. Und so kommt der Name der Protagonistin auch zu seinem Recht.
ANDREAS PLATTHAUS.
Petra Morsbach: "Justizpalast". Roman.
Knaus Verlag, München 2017. 480 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Andreas Platthaus nennt Petra Morsbach eine Autorin mit unbestechlichem Gerechtigkeiteempfinden. Ihr Roman über die Rechtspflege hat den Rezensenten fasziniert. Wie Morsbach eine rechtsphilosophisch gebildete Richterin zwischen Redlichkeit und Routine, Moral und Missbrauch nach der Gerechtigkeit fahnden und immer wieder mit ihrer desolaten privaten Situation kollidieren lässt, hat ihn schwer beeindruckt. Preiswürdig findet Platthaus sowohl, wie Morsbach den technischen Juristenjargon nachempfindet und in Fallschilderungen abtaucht, als auch die Art und Weise, wie die Autorin die Handlung beschleunigt, abbremst und mit Rückblenden, Abschweifungen und Vorgriffen erzählt. Der so inszenierten intimen Zweisamkeit von Richterin und Recht beiwohnen zu dürfen, empfindet der Rezensent als Geschenk.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Wer aus diesem Roman herauskommt, der ist nicht nur fortan in lingua iustitiae gestählt, ohne selbst vor Gericht gemusst zu haben, der ist auch klüger.« Frankfurter Allgemeine Zeitung, Andreas Platthaus