Wer hat sich nicht mit Kafka beschäftigen müssen? Erst vor kurzem durfte ich eine Führung an den Originalschauplätzen in Prag mitmachen und wiederum Neues über ihn erfahren. Man erkennt dort den im Grunde kleinen Radius, an dem Kafka aufwuchs. Keiner der Dichter des vergangenen Jahrhunderts dürfte
mehr Analysen, Rückfragen, Kritik, Unverständnis und Lob bekommen haben. Wenig andere dürften mehr…mehrWer hat sich nicht mit Kafka beschäftigen müssen? Erst vor kurzem durfte ich eine Führung an den Originalschauplätzen in Prag mitmachen und wiederum Neues über ihn erfahren. Man erkennt dort den im Grunde kleinen Radius, an dem Kafka aufwuchs. Keiner der Dichter des vergangenen Jahrhunderts dürfte mehr Analysen, Rückfragen, Kritik, Unverständnis und Lob bekommen haben. Wenig andere dürften mehr Interpretationen der Werke erfahren haben.
Dieses Buch ist eine sehr gelungene Sammlung aller Echos, die Kafka erzeugt hat, ein Genuss in Layout, Text und überraschenden Inhalten. Es beinhaltet aber mehr als nur Echos, wir nähern uns dem Dichter zunächst in seinen eigenen Inspirationen.
Denn wir beginnen bei den Jugendlektüren Kafkas, zu denen auch eine Abhandlung über Pfadfinder gehört: „Nas Skautik = US Scout. Dann Grillparzer’s „Der arme Spielmann“ oder „Sören Kierkegaards Verhältnis zu seiner Braut.“ Kafka empfindet Kierkegaard gegenüber eine geradezu „körperliche Ähnlichkeit.“
Später lektoriert Kafka das neue Buch von Felix Weltsch „Gnade und Freiheit.“ „Weltsch, der die zionistische Wochenzeitschrift Selbstwehr herausgibt, betrachtet das Christentum als Religion der Gnade, das Judentum als Religion der Freiheit. Kafka stimmt ihm zu: Als Erbauungsbuch - und das ist viel mehr als ich dachte - bedeutet es mir viel und wird mir viel bedeuten.“
Welche Bücher besaß Kafka, welche Bilder gibt es von ihm und wie war er schreibend. „In mir kann ganz gut Konzentration auf das Schreiben hin erkannt werden. Als es in meinem Organismus klar geworden war, dass das Schreiben die ergiebigste Richtung meines Wesens sei, drängte sich alles hin und ließ alle Fähigkeiten leer stehen, die sich auf die Freuden des Geschlechts, des Essens, des Trinkens, des philosophischen Nachdenkens, der Musik zu allererst, richteten. Ich magerte nach allen diesen Richtungen ab.“ (3.1.1912, Tagebuch) Schriftsteller sein zu wollen, ordnete er alles andere unter.
Ehrlich gesagt empfinde ich einige Analysen von Schriftarten, Absätzen und vielen anderen Details im Grunde überflüssig, zu viel, aber das wissenschaftlich arbeitende Literaturarchiv in Marbach hat Zeit und Geld genug, um nun auch die hintersten Winkel zu durchleuchten, sei’s drum. Kafka ist in jeglicher Hinsicht ungewöhnlich, das spürt man an diesem Buch. Je unverständlicher, je besser für die Analysten. So erfahren wir auch, dass Heidegger keine Bücher von Kafka besaß.
Marcel Reich Ranicki stellt zum Hundertsten Geburtstag einen gewissen Überdruss fest, muss aber selbst einen Beitrag in der FAZ aufsetzen. Handke hält fest: Ich hasse Franz Kafka, den ewigen Söhnling. Wilhelm Genazino schreibt: „Der Autor, in dessen Texten ich mich am heimischsten fühle, ist nach wie vor Kafka.“ Genazino setzt sich über Jahrzehnte mit Kafka auseinander und ahmt den paradoxen Stil Kafkas in Aphorismen wie diesem nach: „Über Kafka kann man alles behaupten, sogar Abwegiges. Man kann sogar sagen: „Wer Kafka nicht gelesen hat, gehört noch gar nicht zu den Menschen.“
Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheueren Ungeziefer verwandelt.“ Manche lassen sich vom Fortgang dieser Geschichte so weit ängstigen, dass sie ihre Beine und Arme kontrollieren, ich selbst konnte damit noch nie etwas anfangen. Kafka und seine Ängste ließen mich immer kalt, näher komme ich ihm in seinem Prag, dem Altstädter Ring, ein Areal aus Heimat und Gleichklang der Dinge, fest gefügt und unabänderlich. Das Ausbrechen davon gelang Kafka nie.
Aber es gab die Sehnsucht nach Israel, in das er möglicherweise ausgewandert und dort von allen Problemen geheilt worden wäre. Abschließender, höchst lesenswerter Essay von Zeruya Shalev: „Aufwachsen mit Kafka“. Für ihn ist Kafka die Rettung, weil er ihm zeigte, dass, wenn alle Wege blockiert sind, der Pfad zur inneren Welt wie durch Zauberhand gepflastert ist. „In einem Maulwurfsbau aus Wörtern fühlte ich mich sicher und beschützt. Ich konnte frei atmen obwohl ich nahezu immer über Trauer und Verlust schrieb.“