Eine abgründige Geschichte über Liebe, Macht und Abhängigkeit.
Ralph Krass - so heißt ein verschwenderisch großzügiger Geschäftsmann, der Menschen mit kannibalischem Appetit verbraucht. Ist er unendlich reich oder nur ein Hochstapler, kalt berechnend, oder träumt er hemmungslos? Ein Mann, der niemals Zeit hat und in anderen Menschen nur Marionetten sieht. Als in Neapel Lidewine in seinen Kreis tritt - eben noch die Assistentin eines Zauberers, eine junge Abenteurerin - und sie sich ihm widersetzt, verfällt er darauf, ihr einen ungewöhnlichen Pakt anzubieten. «Krass» ist ein atmosphärischer, bildstarker Roman über das, was das Verstreichen von Zeit mit Menschen tut, über Liebe, Verlust und magisches Wiederfinden.
Ralph Krass - so heißt ein verschwenderisch großzügiger Geschäftsmann, der Menschen mit kannibalischem Appetit verbraucht. Ist er unendlich reich oder nur ein Hochstapler, kalt berechnend, oder träumt er hemmungslos? Ein Mann, der niemals Zeit hat und in anderen Menschen nur Marionetten sieht. Als in Neapel Lidewine in seinen Kreis tritt - eben noch die Assistentin eines Zauberers, eine junge Abenteurerin - und sie sich ihm widersetzt, verfällt er darauf, ihr einen ungewöhnlichen Pakt anzubieten. «Krass» ist ein atmosphärischer, bildstarker Roman über das, was das Verstreichen von Zeit mit Menschen tut, über Liebe, Verlust und magisches Wiederfinden.
Mosebach ist hier ein Werk gelungen, dem man ohne falsche Feierlichkeit das Schicksal eines unverwüstlichen Klassikers prognostizieren darf. (...) eine raffiniert durchkomponierte Meistererzählung über das Glück des Untergangs. Marianna Lieder Die Welt 20210206
Perlentaucher-Notiz zur WELT-Rezension
Wie Martin Mosebach in seinem neuen Roman über einen schamlosen Machtmenschen die Fäden in der Hand hält und dem Leser gekonnt Fährten auslegt, findet Rezensentin Marianna Lieder grandios. Das Zeug zum Klassiker hat das Buch ihre Meinung nach nicht nur, weil es im Text kaum Realitätsbezüge gibt, sondern auch, da Mosebach so raffiniert mit selbstparodistischen Momenten und Figurenprosa spielt und konservative Töne und Stilmerkmale gleich selbst auf die Schippe zu nehmen scheint. Erzählerisch konventionell, wie der immer wieder gehörte Vergleich des Autors mit Thomas Mann nahelegt, ist hier gleich gar nichts, versichert Lieder. Wie der Autor den auktorialen Erzähler immer wieder beliebig mit den Figuren verschmelzen lässt, scheint ihr im Gegenteil höchst originell.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Martin Mosebach und sein neuer Roman
FRANKFURT Am Anfang war das Wort. Der Name. "Er ist ganz wichtig", sagt Martin Mosebach. Zum einen besäßen nun einmal alle Menschen einen Namen, zum anderen beschwöre er für ihn die Persönlichkeit der von ihm erfundenen Figuren herauf: "Sowie der Name da ist, sind ihre Umrisse da." Krass heißt daher sprechend der Geschäftsmann, dem der Büchnerpreisträger seinen neuen Roman gewidmet hat, denn krass ist er auch in Moral, Verhalten, Vitalität, Gier, Selbstgewissheit und Selbstbetrug. "Ein großer Verdränger", sagt Mosebach in der Evangelischen Akademie am Römerberg: "Er arrangiert die Welt, so wie sie ihm gefällt." Alles andere werde hinweggefegt.
Vor wenigen Tagen ist der zwölfte Roman des 1951 in Frankfurt geborenen Autors bei Rowohlt erschienen. "Krass" ist der erste im Dutzend, der es auf die "Spiegel"-Bestsellerliste geschafft hat, von null auf Platz acht. "Für mich eine Premiere", sagt Mosebach bei der Buchvorstellung im Großen Saal der Akademie. Dort unterhält er sich mit Bernd Eilert für die "Frankfurter Premieren", die vor zehn Jahren in der Historischen Villa Metzler am Schaumainkai begannen. Während der Corona-Pandemie führt das Kulturamt seine literarische Reihe auf Youtube in Form von Aufzeichnungen fort.
Es geht um Krass, dem das Ausüben von Macht wichtig ist: "Noch wichtiger aber ist, dass er ein Phantast ist. Ein Mensch, der auf dünnem Eis wandelt und ganz und gar seinen Phantasien, seinen Träumen folgt." Auf Capri, wo Mosebach einst in der Nähe der Villa Lysis wohnte und Teile von "Westend" schrieb, besichtigt Krass eine Villa und verfällt sofort in Umbaupläne: "Eine herrscherliche Attitüde." Aber aus solchen Projekten werde nie etwas. Er sei im Grunde ein Geschäftsmann, der nichts plane außer einem: "Seine eigene Verherrlichung."
Es geht aber auch um den Angestellten Doktor Jüngel, das Gegenteil seines Bosses, "unsicher, fragil, unsouverän", der im Herbst 1988 am Golf von Neapel ungläubig faszinierte Faxe an seine Freundin sendet: "Einer, der so ist wie wir, einer, der nicht so sicher in der Welt ist." Der darüber nachdenke, ob seine Umwelt ihn liebe: "Nur eines kann er. Beobachten."
Das braucht man auch für das Verfassen von Romanen. Er habe das Schreiben bei der Arbeit gelernt, sagt Mosebach, der an diesem Abend einen Dreitagebart trägt. Wenn man analytischer veranlagt sei als er, könne man vielleicht aus dem Stand heraus sagen, was ein Roman sei: "Ich musste es ausprobieren." Herausgefunden hat er für sich seitdem Einiges. "Jede Art von Stilwollen in irgendeine Richtung länger durchzuhalten ist unerfreulich." Für Leser und Autor: "Es wurde mir klar, dass ich vergessen muss, wie ich schreibe."
Aber nicht beim Planen von Überraschungen. Zwischendurch: ein Mord. An einem Wellensittichweibchen. Durch den Gatten. "Das Böse kann auch in einem Tier wohnen", heißt es im Buch. Und das Wichtige im Nebensächlichen, ergänzt der Mosebach-Leser, dem gerade eine grundlegende Reflexion über das Rätsel der Kreatur, ihr Wollen und Handeln untergejubelt wurde. Darüber, wie man das Mitgeschöpf beobachtet und von ihm erzählt. Nach dem Tod von Krass im Jahr 2008 denkt seine ehemalige Gefährtin Lidewine daher über verpasste Chancen nach: "Wer weiß, wo ich jetzt wäre, wenn ich mir mehr Mühe gegeben hätte mit ihm." Mühe geben, das gilt im Leben und in der Kunst. Vor allem in einem Roman, der sich in zahllosen Bildern von Spiegeln und Spiegelungen vom Narzissmus des Titelhelden ab- und Objekten des Begehrens zuwendet.
FLORIAN BALKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Zwischen Pomp und Peinlichkeit
In seinem neuen Roman erzählt Martin Mosebach von einem Machtmenschen, aber eigentlich geht es wieder nur um Stil: "Krass"
Der Frankfurter Schriftsteller, Büchner-Preisträger und bald siebzigjährige Martin Mosebach hat einen neuen Roman geschrieben: "Krass" ist der aktuelle Spitzentitel seines Verlags und hat eine fünfhundert Seiten lange Handlung. Aber die eigentliche Hauptfigur dieses Romans ist von Anfang bis Ende die Sprache. Sie drängelt sich so vor die Handlung, dass es schwerfällt, über sie hinwegzugehen. Auch wenn es diejenigen tun, die bei jedem neuen Buch Mosebachs darum bitten, doch den manierlichen Stil des Autors nicht wortwörtlich zu nehmen oder mit einem politischen Programm zu verwechseln, der Mann sei unerbittlicher Beobachter seiner Gegenwart und sein Stil, das "Sopha", das "Telephon", der "Bankerott", nur ein Instrument, um das Publikum seiner Geschichten zu irritieren, damit sie mit ihm hinter die Dinge schauen.
Sprache ist seit langem das Hauptmotiv der Mosebach-Kritik. Im Grunde gibt es da nur zwei Lager: Das eine feiert Mosebach als letzten Repräsentanten der bürgerlichen Literatur in all ihrer Widersprüchlichkeit, mit ihrer Gabe zu Selbstironie und dem Hang zum Selbsthass, mit ihrer unerschütterlichen Bildungsfixierung auf zweitausend Jahre abendländische Kultur - die aber weiterhin zum Maßstab der Welt genommen wird, auch wenn in dieser Welt die abendländische Kultur längst nicht mehr allein herrscht. Umso mehr muss deswegen aber an ihr festgehalten werden, wir wüssten sonst nicht, wo wir heute stehen: Alle Geschichten, politische wie sexuelle, bleiben Echos der Geschichten, die uns schon die Alten sangen, am Abstand zu ihnen können wir errechnen, wie weit wir es gebracht haben.
Das andere Lager hält Mosebach für einen katholischen Reaktionär und imitiert seinen Ton, um ihn als Schwätzer zu entlarven, glaubt jedenfalls kein Wort davon, dass sich unter dem Parfüm doch nur ein Humorist versteckt, der ja gar nicht meint, was er tut, sondern Stil nur benutzt, um seiner Weltskepsis eine Form zu geben. Auch Mosebachs neuer Roman wird die beiden Lager nicht versöhnen. Und warum auch, es ist ja richtig, diesen Konflikt auszutragen, denn er beschränkt sich ja nicht auf Romane: Die Debatte um das Berliner Stadtschloss, um die Neue Altstadt von Frankfurt oder die Potsdamer Garnisonkirche verläuft ungefähr entlang der gleichen Konfliktlinien. Stiftet es Identität, wenn wir historische Zitate bauen, oder ist es nur fatale Sehnsucht nach Tradition?
"Krass" erzählt die Geschichte eines Machtmenschen und einiger weniger mächtiger Leute, die sich um ihn herum bewegen. Der Roman spielt in drei Teilen, beginnt Ende 1988 in Neapel, geht ein Jahr später weiter in der französischen Provinz und endet nach einem Zeitsprung 2008 in Kairo.
Dieser Machtmensch Ralph Krass handelt mit Panzern und sammelt um sich herum hofstaatartig eine Gruppe von Menschen, mit denen er isst, in der Bucht vor Neapel schwimmen geht, durch Museen zieht und Immobilien besichtigt. Für das Programm hat er Jüngel engagiert, einen promovierten, arbeitslosen Kunsthistoriker, der im Auftrag seines Herrn alle Kosten bar aus einem Aktenkoffer begleicht und auch die junge Flämin Lidewine bezahlt. Eigentlich war Lidewine Assistentin eines Zauberers, der in Neapel gastiert, die Gruppe hat ihrer Show zugesehen und die junge Frau dann später auf den Straßen Neapels getroffen. Den Zauberer soll Lidewine verlassen, um ab jetzt Krass zu eskortieren. Es geht dabei nicht um Sex. Andererseits darf sie auch nichts mit einem anderen Mann anfangen. Als Lidewine es doch tut, verstößt Krass sie.
Der Roman springt ein Jahr weiter, der Kreis um Krass hat sich aufgelöst, Jüngel, ebenfalls verstoßen von Krass und verlassen von seiner Frau, verzieht sich aus Kummer in die französische Provinz und freundet sich mit einem Schuster an, dessen Frau wiederum mit einem anderen weggelaufen ist - dem Leibarzt von Krass. Die beiden überleben einen gemeinsamen Autounfall. Ein weiterer Zeitsprung um zwanzig Jahre, und Jüngel, inzwischen Professor, begegnet in Kairo Lidewine wieder, die mit Kunst handelt. Und auch Krass ist in der Stadt gestrandet, pleite, todkrank, seine Waffengeschäfte mit dem ägyptischen Militär sind geplatzt, er taumelt durch die Straßen und trifft auf den Anwalt Mohammed, der sich um ihn kümmert - und weil dieser Roman permanent schicksalhafte Konstellationen inszeniert, aus denen sich Erkenntnisse ergeben, werden dann Mohammed und Lidewine ein Paar, stehen Lidewine und Jüngel am Krankenbett von Krass und zuletzt auf einem Friedhof, wo sie sein Grab aber nicht finden.
"Herr Krass war im Salon seiner Suite am Telephon", das ist so ein typischer Satz dieses Romans, in dem auch das "Sopha" nicht fehlt, Signalwort des Mosebachschen Pomps. Und dass - beziehungsweise "daß", jedenfalls in diesem Buch - auch die Hauptfigur nicht Ralf, sondern "Ralph" mit Vornamen heißt, ist kein Zufall. Vielleicht winkt Mosebach hier sogar seinen Verächtern zu.
Einmal schwimmt Krass in der Bucht vor Capri. "Wie er da auf dem Wasser lag, vom salzigen Mittelmeer wie von einem lebenden Wesen gewiegt, genoß er sich als atmende Monade, nicht ergänzungsbedürftig, und zugleich in der ruhigen Gewißheit, daß überall Welt bereitlag, sich von ihm verschlingen zu lassen, sobald er sich wieder auf den Bauch drehte und zurückschwamm" - hier spricht der Erzähler. Schreibt Jüngel, der Tagebuch führt, über eine Maus, klingt das so: "Offenbar wußte sie in der Sterilität dieser Halle Nahrhaftes zu finden, Krümel von Toastbrot und Kuchen, wie sie die Gäste um sich herum verstreuen mochten."
Wenn man jetzt tatsächlich annimmt, dass diese Sprache zur Irritation dient, dass sie also verfremdend eingesetzt wird, um Distanz zum Geschehen zu schaffen und zugleich die Präpotenz eines Mannes wie Krass zu demaskieren - der gelesene Seiten aus Büchern reißt, der sich auch nach Münzen nicht bückt, der sich Wein in den Hals gießt, ohne zu schlucken, der "Spezialisten kauft" wie Jüngel oder Lidewine - und die Bedürftigkeit der mittelmäßigen Snobs, die sich an ihn klammern, um mit ihm nach oben getragen zu werden: dann ist seltsam, warum sämtliche Figuren in diesem Tonfall sprechen. Es gibt eine Art allwissenden Erzähler in diesem Roman, aber wenn Jüngel ein Fax an seine Frau schickt oder Tagebuch schreibt (der zweite Teil besteht nur daraus), dann klingt der genauso.
Man könnte jetzt sagen, dass sich der Erzähler ja schließlich auch dieses Tagebuch ausgedacht hat. Aber die Konstruktion des Romans müsste eigentlich darauf bauen, dass es nicht so ist. Stattdessen schließt der Stil alles und jeden ein. Dass die Figuren sprechende Namen tragen - der extreme Krass, der unerfahrene Jüngel, Lidewine, die Krass sich als ein Accessoire zulegt, heißt Schoonemaker -, verstärkt das nur noch, mal abgesehen, dass es derart nach Thomas Mann schreit, dass es schon weh tut. Es gibt kein Außen zu diesem pompösen Stil, von dem aus es möglich wäre, auf die falschen Ambitionen und Schwächen seiner Figuren zu schauen. Der Erzähler selbst kommt ja nicht aus seinem eigenen Stil heraus. Alle sind ihm ausgeliefert, auch die, die "Krass" lesen. Der Stil ist die Handlung. Der Stil ist die Macht, um die es hier geht.
Und falls das so ist, dann verstärkt es nur den Eindruck, den der ganze Roman macht: dass Menschen im Bann von Mächten stehen, die lange vor ihnen über sie entschieden haben und darüber, wie über das Leben (um es allgemein zu sagen) gedacht und geredet wird. Die Menschen können Tablets haben und "elektronische Suchmaschinen" und Geldautomaten, aber ihr Bewegungsspielraum bleibt limitiert. Bleibt im Rahmen der Möglichkeiten der Gemälde, die sie in Museen anstarren und aus denen ihr Schicksal zurückstarrt. ("Jupiter und Thetis" von Ingres spielt eine zentrale Rolle.) Das Ergebnis des Spiels steht immer schon vorher fest.
"Krass" soll ein Roman über Macht sein, wie sie wirkt, wird in der Handlung über Geschlechterverhältnisse ausgetragen, zwischen Mann und Frau, Lidewine und Krass, und auch aus diesem Verhältnis leitet sich ab, wie die Männer hierarchisch zueinander stehen. Und alle Rollen sind immer schon verteilt. "Es gab der Macht erst ihre Abrundung, wenn zur Kraft die Anmut, zur Düsternis das Lächeln traten." Kann sein, dass hier nur die heitere Ironie sich selbst in Frage stellt. Sie kennt, und akzeptiert, aber keine anderen Formen und Konstellationen als die, die sie geerbt hat. Und unterwirft sich ihnen.
TOBIAS RÜTHER
Martin Mosebach, "Krass". Rowohlt, 528 Seiten, 25 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In seinem neuen Roman erzählt Martin Mosebach von einem Machtmenschen, aber eigentlich geht es wieder nur um Stil: "Krass"
Der Frankfurter Schriftsteller, Büchner-Preisträger und bald siebzigjährige Martin Mosebach hat einen neuen Roman geschrieben: "Krass" ist der aktuelle Spitzentitel seines Verlags und hat eine fünfhundert Seiten lange Handlung. Aber die eigentliche Hauptfigur dieses Romans ist von Anfang bis Ende die Sprache. Sie drängelt sich so vor die Handlung, dass es schwerfällt, über sie hinwegzugehen. Auch wenn es diejenigen tun, die bei jedem neuen Buch Mosebachs darum bitten, doch den manierlichen Stil des Autors nicht wortwörtlich zu nehmen oder mit einem politischen Programm zu verwechseln, der Mann sei unerbittlicher Beobachter seiner Gegenwart und sein Stil, das "Sopha", das "Telephon", der "Bankerott", nur ein Instrument, um das Publikum seiner Geschichten zu irritieren, damit sie mit ihm hinter die Dinge schauen.
Sprache ist seit langem das Hauptmotiv der Mosebach-Kritik. Im Grunde gibt es da nur zwei Lager: Das eine feiert Mosebach als letzten Repräsentanten der bürgerlichen Literatur in all ihrer Widersprüchlichkeit, mit ihrer Gabe zu Selbstironie und dem Hang zum Selbsthass, mit ihrer unerschütterlichen Bildungsfixierung auf zweitausend Jahre abendländische Kultur - die aber weiterhin zum Maßstab der Welt genommen wird, auch wenn in dieser Welt die abendländische Kultur längst nicht mehr allein herrscht. Umso mehr muss deswegen aber an ihr festgehalten werden, wir wüssten sonst nicht, wo wir heute stehen: Alle Geschichten, politische wie sexuelle, bleiben Echos der Geschichten, die uns schon die Alten sangen, am Abstand zu ihnen können wir errechnen, wie weit wir es gebracht haben.
Das andere Lager hält Mosebach für einen katholischen Reaktionär und imitiert seinen Ton, um ihn als Schwätzer zu entlarven, glaubt jedenfalls kein Wort davon, dass sich unter dem Parfüm doch nur ein Humorist versteckt, der ja gar nicht meint, was er tut, sondern Stil nur benutzt, um seiner Weltskepsis eine Form zu geben. Auch Mosebachs neuer Roman wird die beiden Lager nicht versöhnen. Und warum auch, es ist ja richtig, diesen Konflikt auszutragen, denn er beschränkt sich ja nicht auf Romane: Die Debatte um das Berliner Stadtschloss, um die Neue Altstadt von Frankfurt oder die Potsdamer Garnisonkirche verläuft ungefähr entlang der gleichen Konfliktlinien. Stiftet es Identität, wenn wir historische Zitate bauen, oder ist es nur fatale Sehnsucht nach Tradition?
"Krass" erzählt die Geschichte eines Machtmenschen und einiger weniger mächtiger Leute, die sich um ihn herum bewegen. Der Roman spielt in drei Teilen, beginnt Ende 1988 in Neapel, geht ein Jahr später weiter in der französischen Provinz und endet nach einem Zeitsprung 2008 in Kairo.
Dieser Machtmensch Ralph Krass handelt mit Panzern und sammelt um sich herum hofstaatartig eine Gruppe von Menschen, mit denen er isst, in der Bucht vor Neapel schwimmen geht, durch Museen zieht und Immobilien besichtigt. Für das Programm hat er Jüngel engagiert, einen promovierten, arbeitslosen Kunsthistoriker, der im Auftrag seines Herrn alle Kosten bar aus einem Aktenkoffer begleicht und auch die junge Flämin Lidewine bezahlt. Eigentlich war Lidewine Assistentin eines Zauberers, der in Neapel gastiert, die Gruppe hat ihrer Show zugesehen und die junge Frau dann später auf den Straßen Neapels getroffen. Den Zauberer soll Lidewine verlassen, um ab jetzt Krass zu eskortieren. Es geht dabei nicht um Sex. Andererseits darf sie auch nichts mit einem anderen Mann anfangen. Als Lidewine es doch tut, verstößt Krass sie.
Der Roman springt ein Jahr weiter, der Kreis um Krass hat sich aufgelöst, Jüngel, ebenfalls verstoßen von Krass und verlassen von seiner Frau, verzieht sich aus Kummer in die französische Provinz und freundet sich mit einem Schuster an, dessen Frau wiederum mit einem anderen weggelaufen ist - dem Leibarzt von Krass. Die beiden überleben einen gemeinsamen Autounfall. Ein weiterer Zeitsprung um zwanzig Jahre, und Jüngel, inzwischen Professor, begegnet in Kairo Lidewine wieder, die mit Kunst handelt. Und auch Krass ist in der Stadt gestrandet, pleite, todkrank, seine Waffengeschäfte mit dem ägyptischen Militär sind geplatzt, er taumelt durch die Straßen und trifft auf den Anwalt Mohammed, der sich um ihn kümmert - und weil dieser Roman permanent schicksalhafte Konstellationen inszeniert, aus denen sich Erkenntnisse ergeben, werden dann Mohammed und Lidewine ein Paar, stehen Lidewine und Jüngel am Krankenbett von Krass und zuletzt auf einem Friedhof, wo sie sein Grab aber nicht finden.
"Herr Krass war im Salon seiner Suite am Telephon", das ist so ein typischer Satz dieses Romans, in dem auch das "Sopha" nicht fehlt, Signalwort des Mosebachschen Pomps. Und dass - beziehungsweise "daß", jedenfalls in diesem Buch - auch die Hauptfigur nicht Ralf, sondern "Ralph" mit Vornamen heißt, ist kein Zufall. Vielleicht winkt Mosebach hier sogar seinen Verächtern zu.
Einmal schwimmt Krass in der Bucht vor Capri. "Wie er da auf dem Wasser lag, vom salzigen Mittelmeer wie von einem lebenden Wesen gewiegt, genoß er sich als atmende Monade, nicht ergänzungsbedürftig, und zugleich in der ruhigen Gewißheit, daß überall Welt bereitlag, sich von ihm verschlingen zu lassen, sobald er sich wieder auf den Bauch drehte und zurückschwamm" - hier spricht der Erzähler. Schreibt Jüngel, der Tagebuch führt, über eine Maus, klingt das so: "Offenbar wußte sie in der Sterilität dieser Halle Nahrhaftes zu finden, Krümel von Toastbrot und Kuchen, wie sie die Gäste um sich herum verstreuen mochten."
Wenn man jetzt tatsächlich annimmt, dass diese Sprache zur Irritation dient, dass sie also verfremdend eingesetzt wird, um Distanz zum Geschehen zu schaffen und zugleich die Präpotenz eines Mannes wie Krass zu demaskieren - der gelesene Seiten aus Büchern reißt, der sich auch nach Münzen nicht bückt, der sich Wein in den Hals gießt, ohne zu schlucken, der "Spezialisten kauft" wie Jüngel oder Lidewine - und die Bedürftigkeit der mittelmäßigen Snobs, die sich an ihn klammern, um mit ihm nach oben getragen zu werden: dann ist seltsam, warum sämtliche Figuren in diesem Tonfall sprechen. Es gibt eine Art allwissenden Erzähler in diesem Roman, aber wenn Jüngel ein Fax an seine Frau schickt oder Tagebuch schreibt (der zweite Teil besteht nur daraus), dann klingt der genauso.
Man könnte jetzt sagen, dass sich der Erzähler ja schließlich auch dieses Tagebuch ausgedacht hat. Aber die Konstruktion des Romans müsste eigentlich darauf bauen, dass es nicht so ist. Stattdessen schließt der Stil alles und jeden ein. Dass die Figuren sprechende Namen tragen - der extreme Krass, der unerfahrene Jüngel, Lidewine, die Krass sich als ein Accessoire zulegt, heißt Schoonemaker -, verstärkt das nur noch, mal abgesehen, dass es derart nach Thomas Mann schreit, dass es schon weh tut. Es gibt kein Außen zu diesem pompösen Stil, von dem aus es möglich wäre, auf die falschen Ambitionen und Schwächen seiner Figuren zu schauen. Der Erzähler selbst kommt ja nicht aus seinem eigenen Stil heraus. Alle sind ihm ausgeliefert, auch die, die "Krass" lesen. Der Stil ist die Handlung. Der Stil ist die Macht, um die es hier geht.
Und falls das so ist, dann verstärkt es nur den Eindruck, den der ganze Roman macht: dass Menschen im Bann von Mächten stehen, die lange vor ihnen über sie entschieden haben und darüber, wie über das Leben (um es allgemein zu sagen) gedacht und geredet wird. Die Menschen können Tablets haben und "elektronische Suchmaschinen" und Geldautomaten, aber ihr Bewegungsspielraum bleibt limitiert. Bleibt im Rahmen der Möglichkeiten der Gemälde, die sie in Museen anstarren und aus denen ihr Schicksal zurückstarrt. ("Jupiter und Thetis" von Ingres spielt eine zentrale Rolle.) Das Ergebnis des Spiels steht immer schon vorher fest.
"Krass" soll ein Roman über Macht sein, wie sie wirkt, wird in der Handlung über Geschlechterverhältnisse ausgetragen, zwischen Mann und Frau, Lidewine und Krass, und auch aus diesem Verhältnis leitet sich ab, wie die Männer hierarchisch zueinander stehen. Und alle Rollen sind immer schon verteilt. "Es gab der Macht erst ihre Abrundung, wenn zur Kraft die Anmut, zur Düsternis das Lächeln traten." Kann sein, dass hier nur die heitere Ironie sich selbst in Frage stellt. Sie kennt, und akzeptiert, aber keine anderen Formen und Konstellationen als die, die sie geerbt hat. Und unterwirft sich ihnen.
TOBIAS RÜTHER
Martin Mosebach, "Krass". Rowohlt, 528 Seiten, 25 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main