Mehr als zwanzig Jahre ermittelte Horst Tappert als Kommissar Stephan Derrick im ZDF. Als 2013 bekannt wurde, dass Tappert Mitglied der SS war, veränderte sich der Blick auf die nach heutigen Maßstäben eher gemächliche Krimi-Serie. Frank Witzel, der in seinen Romanen und Essays schon lange den Abgründen der alten Bundesrepublik nachgeht,hat in einer frühen Folge Derrick einen bemerkenswerten Fund gemacht: Über dem Bett des wirren Studenten und späteren Mörders Rohn, gespielt vom jungen Thomas Fritsch, hängt das Gemälde "Forum der einwärtsgewendeten Optik" von Rudolf Hausner, einem exponierten Vertreter der Wiener Schule, die nach dem Krieg die Tradition des Surrealismus fortführte. Der mit postmoderner Philosophie und Psychoanalyse bestens vertraute Schriftsteller Witzel begibt sich bei seinem detektivischen Schreib-Innendienst auf eine essayistische Fahndung: Erinnerungen an den Muff der BRD, wichtige Lektüren der Avantgarden, Entstehungsgeschichten von Gemälden und Versenkungenin Filme bringen ihn auf die Spur, welche Ängste und Verdrängungen der jahrzehntelangen deutschen Nachkriegszeit sich in einem Szenenbild einer Folge Derrick offenbaren. Ihm gelingt dabei, tastend, assoziativ und ohne vorschnelle Urteilswut ungeahnte Beziehungen zu knüpfen, sodass Fernseh- und Avantgarde-Geschichte uns fragen lassen, was wir von den Künsten eigentlich erwarten.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Andreas Bernard ist in Bezug auf diesen "funkelnden" Essay von Frank Witzel zwiegespalten. Der Rezensent wundert sich ein wenig, dass es möglich ist, einen 150 Seiten langen Essay über eine einzige Folge der Krimiserie "Derrick" zu schreiben, genauer, über ein abstraktes Gemälde von Rudolf Hausner in der Wohnung des Täters, das in der Folge auch nur ganz am Rande vorkommt. Der Autor, so Bernard, schreibt "brillante Miniaturen" allerdings fehlt ihm durch die große thematische Bandbreite ein wenig die Kohärenz des Ganzen. Doch dann dreht sich die Kritik und Bernard erinnert daran, dass der Maler Hausner derselbe Jahrgang war wie Derrick-Drebuchautor Herbert Reinecker: Ersterer stand mit seiner Kunst für "riskante Offenheit", während Reinecker mit dem "Derrick" eher für Verdrängung stand (der Nationalsozialismus spielte in "Derrick" nie eine Rolle). Und plötzlich fügen sich Witzels Exkurse für den Kritiker zu einem Text, der die Brüche der Nachkriegsgesellschaft in einer scheinbar banalen Krimiserie sichtbar macht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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