Im äußersten Süden der Galapagos-Inseln liegt die kleine unbewohnte Insel La Espanola. Ihre Anlegestelle heißt heute noch "Oberlus-Bucht" zur Erinnerung an jenen Mann, der dort im 18. Jahrhundert als Ausgestoßener gelebt und sich sein eigenes, grausames Reich errichtet hat. Diese Gestalt macht Alberto Vazquez-Figueroa zum Helden seines Abenteuerromans. Er erzählt eine beklemmende Robinsonade von atemberaubender Spannung. Die Geschichte vom "Leguan", in alten Chroniken überliefert und von Melville in einer Erzählung aufgenommen, wird hier zur Parabel schrankenloser Herrschaft.
Alberto Vázquez-Figueroas müde Männerphantasie
Was wäre, wenn Robinson Crusoe kein unseliger Schiffbrüchiger gewesen wäre, sondern ein Aussteiger, der die einsame Insel den Qualen der menschlichen Gesellschaft vorzog? Und Freitag ein gewaltsam versklavtes Opfer, das dem machtbesessenen Inselherren dazu dient, seine perversen Herrschaftsphantasien auszuleben? Ein solches Gedankenspiel, und zugleich die historisch verbürgte Geschichte eines Mannes, der sich Ende des 18. Jahrhunderts auf eine der Galapagosinseln zurückzog, liegt dem Roman "Der Leguan" von Alberto Vázquez-Figueroas zugrunde.
Der rothaarige Oberlus, Harpunier auf einem Walfängerschiff, ist aufgrund seiner monströsen Häßlichkeit nur unter dem titelgebenden Reptiliennamen bekannt. Selbst den syphiliszerfressenen Hafenhuren graut es vor dem reptilartigen Unwesen. In der Hoffnung, so seinen Frieden zu finden, desertiert Oberlus bei einer Zwischenlandung vor der Küste Ecuadors, um fortan sein Leben in wilden Tropfsteinhöhlen, zwischen Albatrossen und Riesenschildkröten zu fristen. Doch sein Groll gegen die Menschheit ist nicht gestillt. Vorbeiziehende Schiffe leitet er böswillig zum Kentern und rekrutiert aus den Überlebenden eine Schar von Leibdienern, die ihm unter seiner bestialischen Willkürherrschaft die Illusion eines der Kirche und dem König trotzenden Reiches unumschränkter Herrschaft schenken sollen. Mehr als ein sadistisches Vergnügen im landläufigen Sinne stellt die Freude des Monsters an der Erniedrigung seiner Untergebenen ein blasphemisches Aufbegehren gegen die Menschheit und ihren heuchlerischen Heiland dar: "Wie soll ich an einen Gott glauben, der mich mit diesem Gesicht in die Welt schicken konnte?"
Als sich unter die Gefangenen die schöne Carmen reiht, nimmt seine Tyrannei eine ungeahnte Wendung. Die Frau ist das einzige Wesen, das der Willkür des Diktators zu trotzen imstande ist - und findet dennoch an der Unterjochung und den brutalen Vergewaltigungen durch ihren Kerkermeister eine widernatürliche Lust. Mit der Zahl der Orgasmen Carmens wachsen aber auch die Befremdung des Lesers und zugleich eine Art Wehmut über die Verschwendung eines Stoffs. Die Figuren entpuppen sich doch mehr und mehr als Produkt einer schalen Männerphantasie, die zudem den historischen Kontext in eine klischeehaft moderne Perspektive zwängt. Wenn dabei ein aufgeblasener allwissender Erzähler, auf seinen Text jovial herabblickend wie ein Fabrikherr auf sein Musterunternehmen, Einsprengsel über Sexualpsychologie und die ökologische Katastrophe der Galapagos-Schildkröten in den Erzählfluß mischt, ist jegliche Faszination dahin. Statt sich in jene schillernde Galerie von Inseltyrannen einzureihen, die mit Shakespeares Prospero ihren Anfang nimmt, sinkt die Figur des Oberlus in die Niederungen schlüpfriger Filmchen hinab.
FLORIAN BORCHMEYER
Alberto Vázquez-Figueroa: "Der Leguan". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Jan Moewes. Unionsverlag, Zürich 2003. 285 S., geb., 19,90 [Euro].
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