Das Drama eines ungelebten Lebens
Dieser ungarische Fin-de-siècle-Klassiker führt uns in den Randbezirk der glanzvollen Donaumonarchie. Die fiktive Provinzstadt Sárszeg, fernab aller mondänen k.u.k-Herrlichkeit, dient als Kulisse eines psychologischen Kammerspiels, das der Autor mit verhaltenen Tönen und sparsamen Gesten höchst effektvoll zu inszenieren weiß.
Zum ersten Mal seit langen Jahren sind die Eheleute Vajkay unter sich. "Lerche", wie sie ihre längst erwachsene Tochter noch immer zärtlich nennen, ist der Einladung von Verwandten zur Sommerfrische auf dem Lande gefolgt ein wahrhaft unerhörtes Ereignis im sonst so gleichförmigen Einerlei des häuslichen Alltags zu dritt. Öd und leer scheint den betagten Eltern das Haus ohne die geliebte Tochter.
Nur widerwillig, da die gewohnte Hilfe im Haushalt fehlt, entschließt man sich zu einem Restaurantbesuch und findet zum eigenen Erstaunen Geschmack sowohl am Essen wie an der Gesellschaft. Das Experiment wird wiederholt, und allmählich taucht das Paar wieder ein ins bewegte Leben der Kleinstadt, von dem es sich so lange abgeschottet hatte. Lerche hingegen, das unansehnliche, altjüngferliche Mauerblümchen, verbringt freudlose Ferientage und schreibt, statt sich zu amüsieren, pflichtschuldig lange Briefe an die Eltern.
Mit feiner Ironie und bestechender Exaktheit im Detail schildert Kosztolányi den unerwarteten Aufbruch der Daheimgebliebenen. Einen bestürzenden Moment lang erkennen die Eltern, wie sehr ihnen die eigene Tochter zur Last geworden ist, und doch sehnen sie den Tag herbei, an dem "ihr kleiner Vogel zu ihnen zurückfliegt". Kaum je wurde das Drama familiärer Abhängigkeiten so schonungslos und dabei mit solcher Leichtigkeit dargeboten.
Dieser ungarische Fin-de-siècle-Klassiker führt uns in den Randbezirk der glanzvollen Donaumonarchie. Die fiktive Provinzstadt Sárszeg, fernab aller mondänen k.u.k-Herrlichkeit, dient als Kulisse eines psychologischen Kammerspiels, das der Autor mit verhaltenen Tönen und sparsamen Gesten höchst effektvoll zu inszenieren weiß.
Zum ersten Mal seit langen Jahren sind die Eheleute Vajkay unter sich. "Lerche", wie sie ihre längst erwachsene Tochter noch immer zärtlich nennen, ist der Einladung von Verwandten zur Sommerfrische auf dem Lande gefolgt ein wahrhaft unerhörtes Ereignis im sonst so gleichförmigen Einerlei des häuslichen Alltags zu dritt. Öd und leer scheint den betagten Eltern das Haus ohne die geliebte Tochter.
Nur widerwillig, da die gewohnte Hilfe im Haushalt fehlt, entschließt man sich zu einem Restaurantbesuch und findet zum eigenen Erstaunen Geschmack sowohl am Essen wie an der Gesellschaft. Das Experiment wird wiederholt, und allmählich taucht das Paar wieder ein ins bewegte Leben der Kleinstadt, von dem es sich so lange abgeschottet hatte. Lerche hingegen, das unansehnliche, altjüngferliche Mauerblümchen, verbringt freudlose Ferientage und schreibt, statt sich zu amüsieren, pflichtschuldig lange Briefe an die Eltern.
Mit feiner Ironie und bestechender Exaktheit im Detail schildert Kosztolányi den unerwarteten Aufbruch der Daheimgebliebenen. Einen bestürzenden Moment lang erkennen die Eltern, wie sehr ihnen die eigene Tochter zur Last geworden ist, und doch sehnen sie den Tag herbei, an dem "ihr kleiner Vogel zu ihnen zurückfliegt". Kaum je wurde das Drama familiärer Abhängigkeiten so schonungslos und dabei mit solcher Leichtigkeit dargeboten.
Ja, natürlich haben sie einander lieb, die Eltern und ihre unverheiratete Tochter, die sie zärtlich "Lerche" nennen. Und natürlich hält man zusammen in der ungarischen Kleinstadt Sárszeg, wo die drei sich eingerichtet haben, wo nichts Bemerkenswertes geschieht und wohin kein Lärm aus den aufgeregten Metropolen der vorletzten Jahrhundertwende dringt. Dann aber reist Lerche im Frühherbst 1899 für eine Woche zu Verwandten, und die trauernden Eltern hören irgendwann auf, sich um die Tochter zu sorgen, sie schütteln nach und nach die Erinnerung an das eiserne Regiment dieser ebenso reizlosen wie schwierigen Person ab. Und eines Abends, der Vater hat unerhörterweise einiges über den Durst getrunken, bricht es aus ihm heraus: "Wir lieben sie nicht. Wir hassen sie. Verabscheuen sie." Dezso Kosztolányis brillanten Roman "Lerche", erstmals 1924 erschienen und schon bald ins Deutsche übertragen, kann man seit diesem Herbst in gleich zwei neuen, wunderlicherweise beide von der "Hungarian Book Foundation" geförderten Übersetzungen lesen. Weil beide ihre Qualitäten haben und von großen Könnern herrühren, kann man nicht einmal dadurch eine Entscheidung für das eine oder andere Buch treffen. Lieber hielte man endlich im Zuge der Kosztolányi-Renaissance der letzten Jahre neben "Lerche" auch eine neuübersetzte Sammlung seiner Erzählungen jenseits von "Kornél Esti" oder auch seiner Gedichte und Kritiken in Händen. Und was ist mit den Feuilletons? (Dezso Kosztolányi, "Lerche". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Christina Viragh. Mit einem Nachwort von Péter Esterházy. Manesse Verlag, Zürich 2007. 304 S., geb., 17,90 [Euro]; "Lerche". Roman. Aus dem Ungarischen übersetzt von Heinrich Eisterer. Mit einem Nachwort von Ilma Rakusa. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 217 S., geb., 14,80 [Euro].) spre
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Ungeachtet seines unbestrittenen Rangs unter den Schriftstellern der Moderne, wird das Werk Dezsö Kosztolanyis hierzulande bislang nicht angemessen gewürdigt, meint Andreas Breitenstein, der es deshalb als wahren Glücksfall bejubelt, dass der 1924 entstandene Roman "Lerche" nun sogar in zwei Neuübersetzungen vorliegt. Beide Übersetzungen haben laut Rezensent ihre Vorzüge, Heinrich Eiserer hat sich an einen nüchterneren Sprachduktus gehalten, während Christina Viragh das Poetische betont. Der Roman erzählt von der abgrundtief hässlichen Lerche, die mit ihren Eltern im ungarischen Kaff Sarszeg zusammenlebt und dort in Sparsamkeit, Einsamkeit und Langeweile ein strenges Regime führt, erklärt Breitenstein. Als Lerche für einige Tage wegfährt, beginnt für die Eltern ein kurzes, wildes Leben in Freiheit, bei ihrer Rückkehr aber versinkt die Familie wieder in alter Trostlosigkeit, so der Rezensent, der hier nicht nur eine traurige Familiengeschichte erzählt sieht, sondern es mit einem "Psychogramm" der ganzen Epoche um die Jahrhundertwende zu tun zu haben meint. Großartig beschreibt Kosztolanyi die Abgründe der Seele und der Gesellschaft, preist Breitenstein, der dessen Präzision des analytischen und dabei dennoch empathischen Blicks besonders schätzt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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