Gedichte werden nicht aus Ideen gemacht, sondern aus Worten, aus den Bausteinen, die die 26 Lettern des Alphabets bilden. Doch Buchstaben sind Nomaden. Sie entfalten - wie im Anagramm - ihr Eigenleben und suchen nach neuen Konstellationen. Seit jeher verspüren die Lettern eine starke Affinität zum Reich der Zahlen. Hier regieren Codes und Chiffren. Mit Textverschlüsselungen arbeitet nicht nur der Geheimdienst, sondern auch die Zahlenpoetik. Dabei entstehen Ponderabilien, gewichtete Worte. Das spezifische Gewicht eines Wortes errechnet sich aus der Summe seines Buchstabenwerts. Dabei gilt das Schema A=1, B=2, C=3 usw. bis Z=26. So kommt das Wort »Zahl« auf das spezifische Gewicht von 47 (Z=26, A=1, H=8, L=12). Aus der Allianz von Buchstabe und Zahl ergeben sich eine Vielzahl experimenteller Anordnungen, die für alphanumerische Textkompositionen fruchtbar gemacht werden können. Bei der Arbeit an den »Gewichteten Gedichten« dient dem Autor ein von ihm selbst entwickeltes Wörterbuch - der alphanumerische Thesaurus -, in dem er den eigenen Wortschatz nach Zahlenwerten rubriziert hat. Der Thesaurus umfasst derzeit etwa 12.000 Begriffe und wird ständig weitergeführt.
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Der Dichter Stephan Krass, den Karl-Heinz Ott lieber als Buchstaben-Experimentator bezeichnet, steht in der Tradition der Oulipo-Poeten, die ihr Schreiben technischen Zwängen unterwerfen und ihre Texte aus der Reibung von Sprache und Regel gewinnen. Krass, der bereits einen Anagrammband vorgelegt hat, hat für sein neues Buch eigens ein alphanumerisches Verfahren entwickelt, mit dessen Hilfe er Gedichte von Goethe, Eichendorff, Benn und Heine umdeuten, kommentieren, neu formulieren kann. Das Erstaunliche an diesem eher mechanischen Vorgehen ist, meint Ott, dass die Resultate alles andere als mechanistisch seien. Krass' Transkription eines Emily Dickinson-Gedichts sei die mathematische Operation in keiner Weise anzumerken, sie sei von geradezu anrührendem Gestus, bemerkt Ott, ein weiterer Beleg für ihn, dass Krass nicht bloß ein Wortmechaniker und Anagrammatiker ist, sondern außerdem ein "dadaistischer Aphoristiker" und "subtiler Spracharchitekt", ohne dessen Fähigkeiten alle Rechenkünste ins Leere liefen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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