Der deutsche Publizist, Autor und Zeitzeuge Cordt Schnibben legt mit dem OstWest-LSD-BeatClub-Roman eine meisterhafte Darstellung der frühen Siebziger vor.Auf den ersten Blick eine verzwickte deutsch-deutsche Liebesgeschichte: Carl aus Bremen, 18 Jahre alt, zieht aus Protest gegen seinen Nazi-Vater 1972 nach Ost-Berlin und verliebt sich in Mara - doch der Hippie fliegt aus der DDR. Nach dem Fall der Mauer sucht Carl seine große Liebe im Chaos des zerfallenden Sozialismus.Auf den zweiten Blick ein skurriler Agententhriller: Maras Vater, Stasi-Offizier im Westeinsatz, hält Carl für einen LSD-Dealer und Spitzel, den der westdeutsche Verfassungsschutz auf ihn angesetzt hat. Er ließ ihn damals in den Knast werfen.Auf den dritten Blick die berauschende Geschichte vom Aufstand im Spießbürger-Deutschland: Carl und seine Freunde Sylwia und Sigi - Kabelträger in der Bremer Kult-Sendung "Beat-Club" und Stammgäste in der Lila Eule - hören in den Songs von Jimi Hendrix und Janis Joplin das Vibrieren einer liberalen, weltoffenen Zeit. Nach dem Mauerfall treffen sich die drei Freunde in der anarchistischen Technoszene Ost-Berlins wieder und stellen sich die große Frage: Warum ist der Mensch schlau genug, um zu erkennen, wie er die Welt besser machen kann, aber dumm genug, um daran immer wieder zu scheitern? Ein hochaktueller Trip durch eine Zeit, in der sich vieles entwickelte, was im gegenwärtigen Rollback hin zum nationalistischen Dödel-Deutschland wieder abgeräumt werden soll.
"Eine Achterbahnfahrt, die sehnsüchtig macht: wüst und fein, brüllend lustig und tief traurig, zum Lieben und Fürchten." - Doris Dörrie
Perlentaucher-Notiz zur Dlf-Rezension
Rezensent Tobias Lehmkuhl fühlt sich nicht schlecht unterhalten von Cordt Schnibbens - man kann wohl tatsächlich sagen: autofiktionalem Roman, denn von einer Autobiografie kann nicht mehr wirklich die Rede sein, angesichts der Masse halluzinogener Drogen, die darin konsumiert wird, und der erzählerischen Distanz, die Schnibben zu seinem Alter Ego schon dadurch einnimmt, dass er ihm einen eigenen Namen gibt: Carl Lederer. Als westdeutscher Linksradikaler und später als Reporter geht dieser Lederer nach Ost-Berlin, trifft dort allerlei interessante Persönlichkeiten, verliebt sich, konsumiert jede Menge LSD, hilft bei der Eröffnung eines der ersten Berliner Techno-Clubs, usw. Vor allem aber ist er auf der Suche - nach einer ganz bestimmten Frau, eine Suche, die sich als roter Faden durch die Erzählung zieht, lesen wir. Schnibben erzählt davon in einem Mix stilistischer Entlehnungen von Sven Regener, Lutz Seiler und Frank Witzel - nicht schlecht, aber eben auch nicht neu oder eigen. So fragt sich Lehmkuhl am Ende dieses 500-Seiten starken Debütromans: Warum? Was hat das alles mit mir und der Gegenwart zu tun? Wozu diesen Text lesen, wenn der Anspruch ist, mehr daraus zu gewinnen, als ein paar Stunden guter Unterhaltung oder nostalgischen Schwelgens in Erinnerungen?
© Perlentaucher Medien GmbH
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