Simson, der Held" - so lernt ihn jedes jüdische Kind von klein auf kennen. Der Mann, der mit bloßen Händen einen Löwen zerriss, ein charismatischer Held im Kampf der Juden gegen die Philister und, ohne jeden Zweifel, eine der wildesten, schillerndsten biblischen Gestalten. Was ich dagegen meiner Bibel entnehme, ist in gewisser Weise das Negativ der bekannten Geschichte und Figur. Ich lese vor allem die Geschichte eines Menschen, der zeit seines Lebens damit gerungen hat, das ihm auferlegte gewaltige Schicksal anzunehmen. Es ist die Geschichte eines Kindes, das Vater und Mutter von Geburt an fremd war. Die Geschichte eines kraftstrotzenden Helden, der sich sein Leben lang nach der Liebe seiner Eltern sehnte, nach der Liebe überhaupt, die er nie fand. Wir stoßen auf eine Biographie, die nichts anderes ist, als der qualvolle Weg einer einsamen ruhelosen Seele, die nirgendwo auf der Welt zu Hause ist. Selbst der Körper, dem sie innewohnt, ist ihr ein Ort der Verbannung und des Exils.
Für mich ist diese Erkenntnis der Punkt, an dem der Mythos - mit seinen starken Bildern und seinen jedes menschliche Maß übersteigenden Geschehnissen - plötzlich in den Alltag eines jeden von uns eindringt, in unsere intimsten Momente und verborgensten Geheimnisse. David Grossman
Für mich ist diese Erkenntnis der Punkt, an dem der Mythos - mit seinen starken Bildern und seinen jedes menschliche Maß übersteigenden Geschehnissen - plötzlich in den Alltag eines jeden von uns eindringt, in unsere intimsten Momente und verborgensten Geheimnisse. David Grossman
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Für ein internationales Projekt, bei dem Schriftsteller "alte Mythen neu erzählen", hat David Grossman sich die biblische Geschichte von Samson vorgenommen, teilt Lothar Müller mit. Bei dem israelischen Autor beschränkt sich im Gegensatz zu Versuchen anderer Schriftsteller die "Neudeutung" ganz auf den "Kommentar", stellt der Rezensent fest, und er weist darauf hin, dass Grossman seine Samson-Interpretation, die er zwischen 2002 und 2003, der Zeit der zweiten Intifada geschrieben hat, in Bezug zum aktuellen palästinensisch-israelischen Konflikt setzt. Aus der Sicht des Autors ist Samson ein durch seine Erwähltheit "unglücklicher Mensch", dessen "Schwäche" gerade in seiner Stärke liegt, erklärt Müller. Er glaubt, dass es Grossman darum geht, dem Mythos eine "Geschichte abzugewinnen, die gegen Gott spricht" und er lobt diesen Essay nachdrücklich als "klugen, spannungsreichen" Text.
© Perlentaucher Medien GmbH
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