Ludwig Thoma (1867-1921), einer der populärsten deutschen Dichter, wird hier vorgestellt mit Blick auf die Frauen, die in seinem Leben eine Rolle spielten, Frauen, die er liebte, verehrte, ablehnte und haßte. Die Autorin schlägt ein neues Kapitel aus seiner Biographie auf. Das Ergebnis ist mehr als überraschend.
Ein Jäger auf der Pirsch: Ludwig Thoma und die Frauen
Daß in Leben und Werk eines Literaten Frauen eine Rolle spielen, ist keine neue Erkenntnis. Daß die Literaturwissenschaft sich für das Thema interessiert, ist schon seltener. Für Ludwig Thoma hat es Gertrud Rösch in einer Regensburger Examensarbeit abgehandelt. Jetzt beschäftigt sich damit auch Martha Schad.
Das Thema ist mehrteilig: Einmal sind die realen Beziehungen darzustellen; das reicht vom Mutter-Sohn-Verhältnis zum Umgang mit der Kinderfrau und Haushälterin, mit den Schwestern, Schwägerinnen und Basen, zu mehr oder minder lockeren erotischen Bindungen, bis zur Ehegattin und "Scheidungspartnerin", bis zur Freundin der letzten Lebensjahre. Da ist viel zu recherchieren, aus Briefen oder Tagebüchern zu rekonstruieren und in das gesellschaftliche Umfeld einzuordnen.
Dann könnte man die Werke auf Autobiographisches untersuchen, ein besonders schwieriges Vorhaben, wenn man die Diskussion um "Fiktion und Realität" in der Literaturwissenschaft bedenkt. Als weitere Komponente der "Frauenforschung" um Thoma könnte man das Werk daraufhin befragen, wie dem Autor die weiblichen Gestalten gelingen, wie er Fiktion und eventuell reales Erleben in den literarischen Texten umsetzt. Um so interessanter bei einem Autor, dem nach eigenem Bekenntnis keine Liebesszene literarisch gelungen ist. Als letztes Forschungsgebiet bietet sich die Frage an, wie Thoma mit seinen Kolleginnen von der schreibenden und dichtenden Zunft umging.
Das veröffentlichte literarische Werk Thomas ist umfangreich: sechs, sieben oder acht Bände umfassen die Gesammelten Werke in den Ausgaben von 1922, 1956 und 1968. Zwei starke Bände mit Briefen Thomas liegen vor; damit ist aber nur ein Bruchteil erschlossen. Richard Lemp, der beste Kenner der Thoma-Überlieferung und der Altmeister der Thoma-Handschriften-Forschung, hat in seinem Inventar des Thoma-Archivs und in der Bibliographie der Thoma-Werkausgaben und der Thoma-Drucke fast 1800 Nummern aufgereiht, Autographen, Erstdrucke in Zeitungen und Zeitschriften, Ausgaben der Romane und Geschichten, die zunächst im Verlag Langen (dann Langen-Müller) und schließlich bei Piper in München erschienen sind. Leider fehlt bis heute eine historisch-kritische Gesamtausgabe.
Weitläufig ist auch die Literatur über Thoma; auf ihr beruht das Schadsche Buch. Darin ist die Autorin belesen, und sie hat auch das Zentrum der gegenwärtigen Forschung über Thoma ausgemacht: Bernhard Gajek und seine Schüler im Germanistik-Institut der Universität Regensburg. Den textkritischen und kommentierenden Ausführungen, die Gajek den revidierten Ausgaben der wichtigeren Thoma-Romane beigibt, den Forschungen von Gertrud M. Rösch (Frauen um Thoma; Thoma als Journalist), Andreas Pöllinger (Briefwechsel Langen-Thoma) oder Eleonore Nietsch (Femme et société dans l'oeuvre du L. Th.) begegnet man auf Schritt und Tritt in den Anmerkungen. Martha Schad handelt über die Frauen aller Kategorien, am ausführlichsten über Marion Thoma (Ehefrau von 1907-1911) und Marie Liebermann von Wahlendorf (nah befreundet von 1918 bis zu Thomas Tod 1921); dabei zitiert sie bisher unbekannte Passagen aus den unter Verschluß stehenden Teilen des Thoma-Archivs.
Manches wird nun deutlicher im Beziehungsgewirr von Thomas letzten Jahren. Auch durch die Befragung von Zeitzeugen oder Personen, die solche noch kannten, bringt sie Belege bei für manche Facetten von Thomas Wesen, so die griffige Formulierung eines jungen, auf der Tuften beschäftigten Gärtners: "In puncto Frauen war Ludwig Thoma kein Menschenkenner! Eine hysterische und eifersüchtige Köchin, eine extravagante Tänzerin und später eine kühl berechnende Freundin."
Die Aufzählung der real und persönlich in Thomas Leben wirkenden Frauen ist wohl ziemlich vollständig; die Analyse der in Thomas Schriftstellerei vorkommenden Frauen fällt demgegenüber viel knapper aus; ausführlicher werden wieder die schreibenden Kolleginnen bedacht, von denen wenige nur Gnade vor dem Auge des Meisters fanden. Der letzte Teil des Buches handelt von Thomas Testament, mit dem Marie von Liebermann Haupterbin wurde. Das hat im Kreis der Geschwister und der bodenständigen Freunde um den Tegernsee Aufsehen und Ärger gemacht, was die Forschung schon wußte; jetzt aber findet sie die Belege übersichtlich zusammengestellt.
Um Thoma hat sich Frau von Liebermann in den letzten Wochen seines Lebens wenig gekümmert, mehr um seinen Nachlaß in den folgenden vierzig Jahren. Mit dessen Sicherung und mit der Überführung in die Münchener Stadtbibliothek hat sie sich die größten Verdienste erworben; darum erhielt sie als erste die Ludwig-Thoma-Medaille.
Martha Schads Buch, gut recherchiert, inhaltsreich, flott geschrieben und mit zahlreichen Fotos und Faksimile-Abbildungen exzellent ausgestattet, ist ohne Zweifel ein wichtiger Beitrag zur Biographie des Schriftstellers. Leider geht die Autorin auf ein für Thoma höchst wichtiges Thema nicht ein: die Jagd. Denn der Vergleich drängt sich auf: Thoma, der große Nimrod, war von vielen Frauen fasziniert und wandte die größten Mühen (manchmal auch große Kosten) auf, um eine Frau, die in sein Visier gekommen war, zu gewinnen. War das Ziel erreicht, dann ließen seine Energien nach. Darüber hätte man in einem Frauenbuch über Thoma gern Näheres gelesen; aber das kann in der zweiten Auflage nachgeholt werden. WILHELM VOLKERT
Martha Schad: "Ludwig Thoma und die Frauen". Pustet Verlag, Regensburg 1995. 283 S., zahlr. Abb., geb., 54,- DM.
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