Produktdetails
- Verlag: Random House Uk; Vintage, London
- Altersempfehlung: ab 8 Jahren
- Erscheinungstermin: Juni 2011
- Gewicht: 128g
- ISBN-13: 9780099555322
- ISBN-10: 0099555328
- Artikelnr.: 32110284
- Herstellerkennzeichnung Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Grandios und gnadenlos fällt Salman Rushdie in seinem Fantastical "Luka und das Lebensfeuer" über die Wächter des Islamismus her.
Von Markus Gasser
Warum hat damals eigentlich kein Staatsoberhaupt des Westens Chomeini zum Tode verurteilt, warum folgte niemand dem Rat des Schriftstellers Norman Mailer, um Geldspenden zu bitten, die Chomeinis Ermordung ermöglichen sollten? Allein schon der Anhauch eines solch dreisten Gedankens wirkt in einer säkularen Demokratie absurd und schauerlich und tausendundeinmal unannehmbarer noch als das Verständnis, das Margaret Thatcher für den Zorn Chomeinis ob Salman Rushdies "Satanischen Versen" aufzubringen gewillt war. Plötzlich zur vermummten Nachtexistenz eines Harun al-Raschid wider Willen verdammt, verschwand Rushdie in bodyguardbewehrter Anonymität und sein Werk auf die Titelblätter der Tageszeitungen, wo es hieß, natürlich sei es legitim, so was mal zu schreiben, wenn es auch für den Weltfrieden ersprießlicher gewesen wäre, Rushdie hätte sich an anderem versucht. Der Westen bangte um sich. Auch Feigheit ist ansteckend.
Da mögen "Die satanischen Verse" sogar die gottesgestörte Tat von 9/11 vorausgeahnt haben: seither ist dieses Buch ein bis zur Peinlichkeit unbekanntes Meisterwerk geblieben - dafür aber hat mancher Vielgereiste eine Rushdie-Anekdote zu erzählen, und am liebsten weitergegeben wird diejenige vom Taxifahrer, der einen auf dem Weg durch London zur Stoßzeit mit weitausgreifender Geste darüber belehrt, ganz Großbritannien werde zum Glück in Bälde muslimisch und auch durch die Hinrichtung des Gotteslästerers Rushdie von "der Verderbtheit des Westens" gereinigt sein.
Vielleicht wäre es an der Zeit, das Taxi mit einem gelassenen "Allah erbarme sich eurer" zu verlassen. Andererseits aber ist die Verkündigung einer solchen Prophetie des Taxifahrers westlich verbrieftes Recht, und so schweigt man verbissen und brummelt durch das labyrinthische London dahin: Was wäre Toleranz denn auch wert, wenn man die Intoleranten nicht tolerierte? Zum Hotel ist es ja nicht mehr weit.
Rushdie selbst hat zu dieser quälend paradoxen Lage kurz nach der Fatwa von 1989, da die eine Mauer fiel und zugleich eine andere errichtet wurde, eine klingenscharfe Parabel geschrieben, die sich - wie bei diesem Autor oft - tief vor Victor Flemings "Zauberer von Oz" verbeugt: Die magischen roten Schuhe Dorothys sollen versteigert werden, und die Auktionatoren, vom Ideal kultureller Vielfalt beseelt, haben auch religiösen Fundamentalisten Zutritt gewährt, obwohl diese am Erwerb des hexischen Schuhwerks nur interessiert sind, um es ruckzuck verbrennen zu können, so wie es den "Satanischen Versen" widerfahren ist, die drakonisch fromme Muslime schon gar nicht lesen, da sie als blasphemisch gelten.
Wer sich einredet, über alle Kritik erhaben zu sein, muss sich unweigerlich gekränkt, gedemütigt und ausgegrenzt fühlen in der Zivilisation Voltaires, der in Rushdies "Luka und das Lebensfeuer" als die grünäugige Mädchenkönigin Insultana auf einem fliegenden Teppich wiederkehrt: aus dem Reich der Otter, deren drastische Schmähfröhlichkeit keine Unterschiede kennt. Dass Schriftsteller seit Homers "Ilias" gleich Heerführern gefährlich sein könnten, ist längst vergessen im Auge des Stillstands, in dem die Literatur, so Rushdie, seit drei Jahrzehnten vor sich hin meditiert. Nach der Fatwa hat sie vor allem eines zu sein: entschuldbar.
So gerät Luka Khalifa, ein elfjähriger Gulliver und Candide in Personalunion, auf der Suche nach dem Feuer des Lebens in das Land der Riesenratten, die eine talibanverwandte Diktatur des Respekts errichtet haben, das "Ich-Respektorat", in dem keiner - Staatsfremde ausgenommen - kritisiert werden darf: "Was für eine Unverschämtheit! Ihr behauptet, beleidigt zu sein? Ich finde, das ist eine tödliche Kränkung. Und wer eine Ratte tödlich kränkt, der hat alle Ratten schwer gekränkt. Und eine schwere Kränkung aller Ratten ist ein Verbrechen, ein todbringendes Verbrechen, das zur Strafe . . ." Hier hilft nur eine besänftigend hastige Entschuldigung, ehe das Geschwader fliegender Teppiche der Insultana die Wächter der Zweifelsfreiheit mit vergammeltem Gemüse bombardiert, Luka vor einer Inquisitor-Ratte und den Roman wie auch Lukas Vater vor einem frühzeitigen Ende bewahrt.
Denn Lukas Vater, Raschid Khalifa, der legendäre Geschichtenerzähler, ist in ein Koma verflucht worden, und nur das Feuer des Lebens aus dem Paralleluniversum der Magie, in dem alles zu Hause ist, woran der Mensch nicht mehr glauben will, hielte Raschid vom Herzstillstand fern. Die magische Welt ist nach den Regeln eines Computerspiels komponiert, und damit kennt Luka sich aus, doch der Countdown auf den Tod des Vaters hin hält ihn außer Atem bis zuletzt: Je schwächer Raschids Puls navigiert, desto mächtiger gewinnt der anfangs trüb-durchsichtige Nobodaddy an Kontur, und diese Gestalt ist der genialste Einfall des Romans.
Ein vollmundig todesverliebter Doppelgänger Raschids, halb Würgeengel, Satan, halb tänzelnder Scharlatan, drängt er sich Luka als weiser Mentor auf, der sich wortspielmächtig sogar gegen alle literaturfeindlichen Anwürfe zu verteidigen weiß, wie sie aus dem islamistischen Katechismus geläufig sind: Sei der Mensch doch, erzürnt sich Nobodaddy im Namen seines Schöpfers, das erzählende Tier, das nur in Geschichten seine Identität zu finden vermag. "Erzählen Ratten Geschichten? Kennt der kleine Zeck einen narrativen Zweck? Ele-fantasieren Elefanten? Im Menschen allein brennt ein Verlangen nach Büchern", und mit dieser unübersetzbar doppelsichtigen Sentenz, "Man alone burns with books", zitiert Nobodaddy Heinrich Heine zu Hilfe: "Wo Bücher brennen, verbrennt man am Ende noch Menschen", und denkt insgeheim an die Tragödie der "Satanischen Verse" zurück, die sich heute epochaler ausnehmen denn je.
Akira Kurosawa hat für das Kino des von Rushdie bewunderten Satyajit Ray den Satz gefunden, Rays Filme nicht gesehen zu haben sei, als lebte man in einer Welt ohne Sonne und Mond, und niemals wieder, der Fatwa sei Dank, war in Rushdies Werk der Himmel so weit geöffnet wie in den "Satanischen Versen": Noch makelloser als die "Mitternachtskinder", erneuerten sie die englischsprachige Literatur von Grund auf und verkörperten zugleich jenen Multikulturalismus, den dessen Propagandisten vage, doch klangvoll stets fordern. Vom altindischen Epos "Ramayana" über "Tausendundeine Nacht", Shakespeares Shylock und den neidverfinsterten Gott "Nobodaddy" William Blakes, den amüsiert sarkastischen Teufel Voland aus Michail Bulgakows "Meister und Margarita" bis zu Borges, Orwell, Tolkien und Joanne K. Rowling - auch Lukas Planet ist rushdietypisch derart reich an den Phantasietraditionen aller Welt, dass sie aufzuzählen der Niederschrift eines Literaturlexikons gleichkäme. In seiner Mixtur aus Fantasy und Musical hat der Roman auch noch ein neues Genre, das Fantastical, geschaffen, und selbst die Teilnehmer am alljährlichen "Kongress der Selbstmordattentäter" in Iran dürften, fiele ihnen ein Exemplar dieses Buches in die Hände, sich vor einem versteckten Kichern bei so freigiebiger Komik nicht retten können.
Ganz gleich, wer die Menschheit soeben mit altbewährtem Endspielfuror in einen Krieg zwischen sich und uns hineinpredigen will: Rushdies Gegenentwurf heißt "Kháwb", jene Stadt, worin der eine den anderen nicht von der Richtigkeit seines Selbstbildes überzeugen will, weil darin des nachts "die Träume all ihrer Bewohner Gestalt annehmen und in den Straßen ausgelebt werden - Liebesaffären und Zwistigkeiten, Monstren, Ängste und Freuden, all das drängelt sich durch die verdunkelten Straßen, und manchmal mag, geht die Nacht zu Ende, dein Traum in den Kopf eines anderen springen, und dessen Träume gelangen, verwirrenderweise, überraschenderweise, in den deinen".
Das ist Rushdies Kosmos, unausrottbar und legendär, und es grenzt an Magie, dass er unter der Fatwa nicht fügsam zusammenbrach; so aber bleiben die roten Schuhe auf immer in Oz, damit wir uns irgendwann seiner Löwencourage würdig erweisen können, sich niemals selbst zu zensieren: Das nächste Mal lasse man das Taxi mitten in London stehen und mache sich mit einem "as-salãmu alaikum" in die Freiheit davon.
Salman Rushdie: "Luka und das Lebensfeuer". Roman.
Aus dem Englischen von Bernhard Robben. Rowohlt Verlag, Reinbek 2011. 272 S., geb., 19,95 [Euro].
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