Dieses Buch hat mich regelrecht durchgeschüttelt und gleichzeitig nicht mehr losgelassen. Auch nach Vollendung des Buches bin ich noch immer voller Gedanken, die kaum zur Ruhe kommen wollen. "Madwoman" ist schonungslos, ungeschönt, aber insbesondere kraftvoll, was das Buch bzw. die Handlung umso
außergewöhnlicher macht.
Chelsea Bieker gelingt es, von der ersten Seite an einen Sog zu erzeugen,…mehrDieses Buch hat mich regelrecht durchgeschüttelt und gleichzeitig nicht mehr losgelassen. Auch nach Vollendung des Buches bin ich noch immer voller Gedanken, die kaum zur Ruhe kommen wollen. "Madwoman" ist schonungslos, ungeschönt, aber insbesondere kraftvoll, was das Buch bzw. die Handlung umso außergewöhnlicher macht.
Chelsea Bieker gelingt es, von der ersten Seite an einen Sog zu erzeugen, dem man sich kaum entziehen kann. Ich fühlte mich mitten hineingeworfen in Cloves Leben, als würde ich ihr direkt über die Schulter schauen. Mit jedem Kapitel werden die Lesenden stärker in ihre Welt hineingezogen, bestehend aus Druck, Anspannung und dem ständigen Bemühen, nach außen hin die perfekte Ehefrau, Mutter und Frau zu verkörpern, während innerlich alles zu zerbrechen droht.
Clove ist für mich eine der eindrücklichsten Figuren, die ich seit Langem gelesen habe. Zerbrechlich und gleichzeitig voller Stärke. Ihre psychische Labilität, die Traumata ihrer Kindheit, ihre Ängste; all das macht sie zutiefst menschlich.
Was mich besonders getroffen hat, war ihr verzweifeltes Bedürfnis nach Kontrolle: Clean-Eating, Selbstoptimierung, Spiritualität. Clove hat sich lauter Mechanismen angeeignet, um das Chaos in ihrem Inneren in Schach zu halten, um nach Außen hin ein Paradebeispiel sein zu können. Als Lesende spürt man jedoch förmlich beim Lesen, wie sehr sie kämpft, nicht unterzugehen und wie sie sich zwischen ihren Rollen sowie Empfindungen zerreißt.
Das Buch wirft brennende Fragen auf: Was bedeutet es, in einer Ehe zu leben, in der die Verantwortung ungleich verteilt ist? Wie fühlt es sich an, wenn Care-Arbeit unsichtbar bleibt, während man selbst an der Last fast zerbricht? Und wie prägt häusliche Gewalt ein Leben, lange nachdem die eigentliche Situation vorbei ist? Chelsea Bieker behandelt diese Fragen nicht theoretisch, sondern auf eine Art, die genau den richtigen Punkt trifft, weshalb es empfehlenswert ist, vor dem Lesen die Triggerwarnung zu beachten.
Cloves Mutter, die wieder in ihr Leben tritt, die undurchsichtige Freundschaft zu Jane, der Rückzug ihres Mannes – all das fächert ein Bild auf, das mich gleichzeitig wütend, traurig, atemlos und selbst in gewisser Weise verletzlich gemacht hat. Besonders das Ende hat sich eingebrannt: Die perfekte Scheinwelt, welche sorgsam über Jahre hinweg von Clove aufgebaut, gefüttert und am Leben gehalten wurde, entwickelt sich nach und nach zu einem Baupfusch, bei welchem der Einsturz unvermeidlich ist.
"Madwoman" ist kein Buch, welches darauf abzielt ein gutes Gefühl beim Lesenden zu verursachen und gerade deshalb so wichtig. Es erzählt von Überleben, Heilung, dem Patriarchat, vom ständigen Kampf mit den eigenen Dämonen und von der Frage, wie viel Kontrolle wir tatsächlich brauchen, um nicht zu zerbrechen.
Für mich war es ein packendes und absolut intensives Leseerlebnis, das ich noch lange in meinem Kopf behalten werde. Ein literarischer Schlag in die Magengrube, der gleichzeitig berührt, aufrüttelt und nicht mehr loslässt.