'Brandstifter, große Dichter! Futuristen, meine Brüder! Da habt Ihr den großen Roman aus Dynamit, den ich Euch versprach. Er ist polyphonisch wie unsere Seelen und zugleich ein lyrischer Gesang, eine Epopöe, ein Abenteuerroman und ein Drama.'F. T. Marinetti (1876-1944), der Übersetzer Mallarmés, der Begründer des Futurismus und Zernichter jeglichen Sprachzwangs, greift mit seinem 1909 in französischer Sprache geschriebenen Roman 'Mafarka der Futurist' tief in die Pathos-Klaviatur eines höchsteigenen 'Helden'-Liedes. Er scheut sich nicht, überbordende Allmachtsvisionen, Übermensch-Phantasien und zynischsten Antihumanismus zu zelebrieren. Auch die in diesem Roman formulierte Verachtung der Frau, die nicht enden wollende Glorifizierung von 'Männern mit breiten Schläfen und einem Kinn aus Stahl', deren muskelstrotzende Körper sowie seine Verherrlichung eines ungehemmten Vitalismus, gipfelnd in einer Hymne auf jeden Krieg, hat kein Beispiel in der Geschichte der Literatur. Kompromißlos und größenwahnsinnig erzählt dieser Roman die Geschichte von der Erzeugung des Übermenschen, amoralisch, gewaltig und technoid, halb Mensch, halb Maschine: 'Verteidigt den Roman nicht: schaut vielmehr zu, wie er einer gut geladenen Granate gleich über die gespaltenen Köpfe unserer Zeitgenossen springt und explodiert; dann tanzt, tanzt den Tanz der Krieger.''Ich wollte mit diesem Roman dem Menschen die unbegrenzte Hoffnung auf seine geistige und physische Vollkommenheit geben ... den glorreichen Aufstieg des Lebens beschreiben, das pflanzlich, tierisch und menschlich gewesen ist und das sich bald in einem wunderbaren geflügelten und unsterblichen Wesen kundtun wird. Ich wollte die Zukunft des Menschen in einer unendlichen Multiplikation von Glanz und Kraft überschreiten', verkündete Marinetti in seiner Mailänder Verteidigungsrede, die ihm den Freispruch von der Anklage, Moral und Anstand verletzt zu haben, eintrug. Doch ist Mafarka, das Traumbild vom zukünftigen Menschen, nicht nur der prometheische Held, sondern zugleich auch der Prototyp des Imperialisten. Und tatsächlich läßt sich Mussolinis Formel vom 'gefährlichen Leben' ohne Schwierigkeiten von Mafarkas phantastischen Abenteuern ableiten. Der faschistische Diktator pries denn auch Marinetti, der mit dem 'Trödelmarkt Italien' aufzuräumen versprach, als den 'unermüdlichen genialen Vorkämpfer der Italianität, den revolutionären Dichter der mir das Bewußtsein für den Ozean und die Maschine gegeben hat'. Das dem Roman zugrundeliegende futuristische Manifest enthält in der Tat Thesen, die Politiker jedweder Façon immer wieder gern aufzugreifen pflegen: 'Wir wollen den Krieg verherrlichen diese einzige Hygiene der Welt, den Militarismus, den Patriotismus, die Vernichtungstat der Freien!'F.T. Marinettis 1909 erschienener Roman ist der Abgesang auf das ihm erst folgende Jahrhundert entsetzlichster Kriege. Er gehört zu den wegweisenden Texten der Moderne.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Nur Leser mit intensiven geschichtlichen Interessen und Vorkenntnissen werden sich nach Einschätzung von Rezensent Hans Ulrich Gumbrecht die Lektüre dieses futuristischen Romans heute noch zumuten. Nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch sei das Buch über den "Krummsäbel schwingenden" und "megapotenten" Helden Mafarka immer wieder eine Zumutung. Deutlich werde vor allem, welche "Erbschaft" Marinetti - und sein Kollege d'Annunzio - als "gefeierte Vorläufer an Mussolinis Faschismus weitergegeben haben". Gumbrecht beschreibt Marinettis Prosa als angestrengt und "zum Bersten voll mit Bedeutungsverpflichtungen". Was immer sich dort ereigne, ereigne sich an oder schon jenseits der Grenze des Vorstellbaren. Wie Raubtiere sieht er zum Beispiel Krieger unter tödlichen Blitzen aufeinanderspringen, und von Erektionen heimgesucht, welche "die Hauptsegel ihrer Schiffe zu mächtigem Blähen" bringen: Der Rezensent bietet seinen ganzen professoralen Ernst auf, um die Lektüre mit dem gebotenem wissenschaftlichen Ernst zu beschreiben. Die Namen Nietzsche und Jarry fallen ebenso wie der Gabriele d'Annunzios. Lob erhält die "bewundernswert genaue" erste deutsche Übersetzung dieses Romans, dessen Ausgabe durch eine vom Autor selbst herausgegebene Dokumentation des Prozesses um den Roman und ein "mehr informierendes als inspirierendes Nachwort" ergänzt werde.
© Perlentaucher Medien GmbH
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