Mitte des 19. Jahrhunderts wanderte Hermann Marcus in die USA aus. Geboren in Kassel, war er einige Zeit Mitarbeiter des Dresdner Hofjuweliers Moritz Elimeyer, bevor er den Sprung über den großen Teich wagte. Aber genauso zielstrebig, wie er die Ausbildung in Deutschland betrieb, verlief auch seine
Karriere in New York. Schon bald wurde er als Mitarbeiter der Firma Tiffany & Co. geführt, aber das…mehrMitte des 19. Jahrhunderts wanderte Hermann Marcus in die USA aus. Geboren in Kassel, war er einige Zeit Mitarbeiter des Dresdner Hofjuweliers Moritz Elimeyer, bevor er den Sprung über den großen Teich wagte. Aber genauso zielstrebig, wie er die Ausbildung in Deutschland betrieb, verlief auch seine Karriere in New York. Schon bald wurde er als Mitarbeiter der Firma Tiffany & Co. geführt, aber das blieb nicht seine letzte Station. Er knüpfte Kontakte, lernte Sprache und Umgang und bereits 1864 gründete er ein erstes, sehr erfolgreiches Unternehmen zusammen mit dem Juwelier Theodore Starr. Durch mehrere Wirtschaftskrisen und persönliche Tiefs führten seine Aktivitäten (und die seiner Söhne) letztlich zu Marcus & Co., die eine der führenden Juwelierfirmen der USA am Ende des 19. Jahrhunderts wurde.
Die ausgezeichnet recherchierte Monografie „Marcus & Co.“ zeichnet sehr detailliert den Weg vom mittellosen Auswanderer zum wohlhabenden Luxushändler nach, mit zahlreichen Ausflügen in die spannende Wirtschaftsgeschichte der USA. Marcus ist genau zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort und er scheut keine Risiken. Seine Biografie ist geradezu mustergültig für einen erfolgreichen Entrepreneur dieser Zeit: Marcus ist ein Meister darin, die richtigen Mitarbeiter zu rekrutieren und mit seinen alten Arbeitgebern und Mitbewerbern ein gutes Verhältnis zu bewahren. Mit Louis Tiffany verband ihn eine über 50 Jahre währende Freundschaft, trotz der äußerlichen Konkurrenzsituation. Marcus & Co waren Spezialisten für seltene Diamanten und hochwertige Farbsteine, die extrem aufwendig verarbeitet und gefasst wurden. Er erfand den „New Hindu Style“, der Ende des 19. Jahrhunderts äußerst beliebt war und war bis in die 1940er-Jahre immer auf der Höhe der aktuellen Mode. Er überstand schadlos mehrere schwere Wirtschaftskrisen, einen Weltkrieg und erst Roosevelts Steuerpolitik auf Luxuswaren 1941 leitete den Niedergang ein. Es war kein schlagartiges Aus, sondern ein langsames Verlöschen, indem Altbestände noch bis 1970 verkauft wurden, bevor die Firma vollständig aufgelöst wurde.
Das Buch ist eine Fundgrube an qualifizierter Information, nicht nur über die Familie Marcus, sondern auch über die komplexen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verflechtungen im Juwelen-Business der Zeit. Marcus ist einer der wenigen, die persönlich durch die Welt reisten, um kostbare Steine (und Antiquitäten) zu kaufen und er beschäftigte neben der eigenen Werkstatt zahlreiche qualifizierte Auftragnehmer, die seine Entwürfe umsetzten. Die Autorinnen hatten neben privaten Fotos und historischen Zeitungsausschnitten auch Zugang zu den erhaltenen Entwurfsbüchern der Firma mit über 1000 Zeichnungen, die die stilistische Entwicklung über fast 100 Jahre nachvollziehen. Auch einige Originale haben bis heute überdauert. Auktionshäuser und Sammler haben ihre Schätze für das Buch ablichten lassen, wodurch es zum eindrucksvollen Zeugnis der handwerklichen Perfektion wird, mit der Marcus & Co arbeiteten bzw. arbeiten ließen. Gemessen an den Mengen, die sie produzierten und verkauften, ist allerdings erstaunlich wenig erhalten geblieben. Zuweilen tauchen Stücke auf den internationalen Juwelenauktionen auf, aber die Zahl ist nicht zu vergleichen mit z. B. Tiffany. Marcus & Co verwendeten oft sehr große Steine, die wahrscheinlich später ausgefasst und umgeschliffen wurden, denn die Schleiftechnik für Diamanten wurde erst nach 1920 auf wissenschaftlicher Grundlage perfektioniert und auch der etwas schwere Stil des späten 19. Jahrhunderts ist heute nicht mehr so gefragt. Die meisterhaft leichte Art Nouveau Plique-à-jour Brosche vom Titelbild ist für Marcus & Co eher untypisch. Die perfekte Verarbeitung dagegen schon.
Mit wissenschaftlicher Akribie werden Quellen zitiert, das Bildmaterial ist sehr anschaulich und technisch hervorragend reproduziert. Im Anhang finden sich Abbildungen der verwendeten Punzen, allerdings sind die Goldpunzen ein wenig klein geraten. Da braucht man tatsächlich eine Lupe, wie beim Original.
Das Buch ist eine nicht nur biografisch sehr qualifizierte und gut lesbare Monografie, sondern beleuchtet durch seinen breiten Ansatz auch einen Teil der amerikanischen Wirtschaftsgeschichte aus einem spannenden, neuen Blickwinkel.