Eigentlich gibt es nichts zu lachen in der Pariser Banlieue. Paul, genannt Polo, ist ziemlich klein, hässlich, weiß und arm. Seine Mutter klebt krank und bewegungslos vor dem Fernseher, die ältere Schwester sorgt sich um ihre Fingernägel und träumt davon, einen Schönheitswettbewerb zu gewinnen. In der Schule sind alle cooler als Paul und wenn schon nicht reich, dann wenigstens arabisch, jüdisch oder schwarz. Mit dem Vater, der sich nie beklagt und alle Demütigungen mit geradem Rücken wegsteckt, kann Paul gut reden - und schweigen. Von Priscilla erzählt er lieber nichts und auch nicht von Sylvie, die seinen Kopf und seine Hände beschäftigen ... Auch dass er sich längst nicht mehr um den Staub auf den Büchern kümmert, sondern begonnen hat, sie zu lesen, behält Paul vorerst für sich.
Saphia Azzeddines erzählt leichthändig und schnell eine liebevolle Vater-Sohn- Geschichte voller Situationskomik und Galgenhumor. Ein unterhaltsamer, ironischer Bildungsroman über das bittere Leben am gesellschaftlichen Rand, der fest daran glaubt, dass nichts verloren ist, solange man Bücher hat.
Saphia Azzeddines erzählt leichthändig und schnell eine liebevolle Vater-Sohn- Geschichte voller Situationskomik und Galgenhumor. Ein unterhaltsamer, ironischer Bildungsroman über das bittere Leben am gesellschaftlichen Rand, der fest daran glaubt, dass nichts verloren ist, solange man Bücher hat.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Susanne Lenz hat Vergnügen mit diesem Buch von Saphia Azzeddine. Die Geschichte eines Versagers in den Pariser Vororten, eines Versagers, der kein Araber, sondern weiß und hässlich ist, wie die Rezensentin betont, scheint ihr zwar mitunter an den Haaren herbeigezogen, etwa wenn der Junge Balzac liest und Worte wie "Ungemach" gebraucht, um sich von seinem Prollvater abzusetzen, die Vater-Sohn-Beziehung in der Beschreibung Azzeddines zerreißt ihr allerdings das Herz. Und "hellsichtige" Beobachtungen übers Erwachsenwerden in schwierigen Verhältnissen enthält das Buch auch, versichert Lenz.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Vater und Sohn: Saphia Azzeddines Familienroman
Eigentlich heißt er Paul, aber sein Vater nennt ihn Polo. Schnörkellos erzählt er vom Leben in einem Pariser Stadtteil; von seinem Vater, der als Putzmann arbeitet, bei Zahnärzten, in Sporthallen oder in Bibliotheken. Und wenn Polo, der gerade die achte Klasse wiederholt, seinen Vater dorthin begleitet, zieht er sich gerne Bücher aus dem Regal. Beim Polieren sucht er sich ein besonderes Wort der Woche. Er liebt die Wörter. Nicht irgendwelche, sondern "Wörter, die Angst machen. Die arroganten, die hochgestochenen, bei denen du dich bis auf die Knochen blamierst, wenn du ihren Sinn nicht kennst". Sein Vater kann ihm zwar nicht sagen, was "obskur" bedeutet. Aber Polo lernt Wichtigeres von ihm. Vor allem: Haltung.
Doch es bleibt für den Jungen ein schwieriger Spagat. Hier der Vater, mit dem er mitunter Mitleid hat, wofür er sich wiederum sofort schämt. Dort die Schule und die Gleichaltrigen mit ihren Klassenkämpfen und verschiedenen Kulturen. Beim muslimischen Freund muss Polo Datteln mit Sauermilch herunterwürgen; beim jüdischen Freund auf dessen Bar-Mizwa-Feier die erotische Anziehungskraft der Mutter aushalten. Und wenn sich durch Romane bisweilen eine Tür in Milieus und verborgene Innenwelten öffnet, dann hier, im Roman "Mein Vater ist Putzfrau". Geschrieben hat ihn die 1979 in Marokko geborene Schriftstellerin und Schauspielerin Saphia Azzeddine. Sie zog selbst mit neun Jahren nach Frankreich. Schon ihr Roman "Zorngebete" (2008; 2013 auf Deutsch), die Geschichte einer Nordafrikanerin, die sich als rechteloses Dienstmädchen durchschlägt, überzeugte vor allem durch den Sprachduktus: prall, derb, selbstironisch, dabei nie jammernd. Die so erzeugte Direktheit nimmt einen auch bei Polo sofort wieder gefangen.
Hinter Polos vorlautem Ton erkennt man seine große Sehnsucht nach unbefangenem Familienleben. Der Roman erzählt nicht zuletzt die Geschichte einer Zuwandererfamilie, die erst bei übergriffigen Verwandten in der Bretagne landet - hier wird Polo geboren - und dann in Paris ihren Platz sucht. Da ist die Mutter, die immerzu fernsieht; die Schwester, die sich als "zu hell" empfindet und lieber schwarz wäre, um als Model Karriere machen zu können; und eben der Vater. Beim Elternabend zum Thema "saufende Halbwüchsige" traut er sich zwar nicht, eine Frage zu stellen. Auf dem Heimweg beeindruckt er Polo aber durch seine eindeutigen Sätze über die zu weichen Eltern, die zuschauten, statt ihren Elternjob zu machen.
Es ist vor allem diese Beziehung zwischen Vater und Sohn, die sich in ihrer respektvollen Prägnanz beeindruckend intim entspinnt. Hier wird mit gebändigter Energie gesprochen, die transparent bleibt für Konflikte, Wünsche, Nöte. Saphia Azzeddine hat die innere und äußere Welt eines phantasiebegabten Heranwachsenden überzeugend zu Leben erweckt.
ANJA HIRSCH.
Saphia Azzeddine: "Mein Vater ist Putzfrau". Roman.
Aus dem Französischen von Birgit Leib. Wagenbach Verlag, Berlin 2015. 121 S., br., 14,90 [Euro].
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