Europa und Afrika 1939-1941. Der 27-jährige Bojan Pertot tritt nach sieben Jahren abiturlos aus dem Priesterseminar aus und wird von der italienischen Armee einberufen. Um den Gewissensbissen und den Vorwürfen seiner Eltern zu entgehen, wählt er bei seiner Einberufung den entferntesten Ort: die italienische Kolonie Libyen.
Nach "Nekropolis", dem Hauptwerk Boris Pahors, sind weitere Romane des Slowenen auf Deutsch erschienen. Sie feiern Liebe und Widerstand in dunkler Zeit.
Der Slowene ist zuallererst Fatalist. Er ist klein, deshalb wartet er ab. Er weiß, wenn er sich der Lawine widersetzt, wird ihn diese unbarmherzig überrollen. Lieber gräbt er ein Loch und hofft, dass die Lawine über ihn hinwegdonnert." Die Lawinen der Geschichte sind über den Autor dieser Zeilen immer wieder hinweggedonnert und haben ihn und seine Heimatstadt Triest unbarmherzig an den Rand gedrängt.
Der Slowene Boris Pahor ist ein "Epochenverschlepper" wider Willen, denn seine Kunst der verspäteten Ankunft der Geschichte in der Literatur entspringt keiner nostalgischen Schreiblaune, sondern der tragischen Verstrickung von Schicksal und historischer Katastrophe. 1913 im damals noch österreichisch-ungarischen Triest geboren, musste der Sechsjährige erleben, wie italienische Nationalisten 1920 das Gemeindezentrum der Slowenen in Triest niederbrannten, seine Muttersprache verboten und selbst die Namen italianisierten, die Grabinschriften eingeschlossen.
Die kosmopolitische Metropole versank nach dem Untergang der Monarchie und dem darauffolgenden Anschluss der Region an ein nationalistisches Italien in einen unruhigen Dornröschenschlaf. Triest schien für Jahrzehnte vergessen, bis sich der Eiserne Vorhang öffnete und Schriftsteller, allen voran Claudio Magris, die schlafende Schönheit in ihren Büchern zu neuem Leben erweckten.
Anders als für Magris ist Triest als Symbol der Grenze in ihrer kulturellen, sprachlichen und ethnischen Dimension für Pahor keine changierende Metapher, sondern die Quintessenz der bitteren Erfahrung, stets auf der anderen Seite gestanden zu haben. Daraus kondensiert er sein umfangreiches literarisches und essayistisches Schaffen, das nicht nur hierzulande erst nach und nach entdeckt wird und den Leser eintauchen lässt in vergessene und verdrängte Kapitel europäischer Geschichte.
Pahor studierte in Görz am Priesterseminar, denn allein die Kirche bot der verfolgten Minderheitensprache ein Refugium. Sein Abitur wurde jedoch in Italien nicht anerkannt. Nach seinem Austritt aus dem Seminar rekrutierte ihn die italienische Armee und versetzte ihn 1940 nach Libyen, wo er immerhin seinen Schulabschluss nachholen konnte. Noch im selben Jahr zurück in Italien, schrieb er sich in Padua an der Universität ein und arbeitete später als Dolmetscher für gefangene jugoslawische Offiziere am Gardasee.
Nach der Niederlage Mussolinis 1943 schloss sich Pahor der von den Kommunisten dominierten Befreiungsfront an. Wenige Monate darauf wurde er von der mit der SS kollaborierenden Slowenischen Landwehr verhaftet und ins Konzentrationslager Dachau deportiert, eines von insgesamt fünf Lagern, die er bis Kriegsende durchlitt. Nach seiner Befreiung beendete er sein Studium mit einer Promotion über seinen Freund und Mentor, den slowenischen Dichter Edvard Kocbek, und arbeitete bis zu seiner Pensionierung an einem Gymnasium in Triest.
Das Überleben der Hölle der Konzentrationslager, der Kampf gegen die Diktatur, vor allem aber für die Anerkennung der slowenischen Kultur und Sprache in Italien bilden den Kern des autobiographisch gefärbten OEuvres Pahors. Der Minderheitenstatus und der eines unbeugsamen Intellektuellen erklären auch die reichlich verspätete Rezeption seiner Bücher, nicht nur in Deutschland. Pahors Romane und Essays erschienen überwiegend im jugoslawischen Slowenien, wo er über Jahre wegen seiner Kritik an der kommunistischen Diktatur Titos und ihrem Umgang mit politischen Gegnern während und nach dem Zweiten Weltkrieg wenig gelitten war, bis ihm die Behörden Mitte der siebziger Jahre ganz die Einreise verwehrten.
Auf Deutsch liegen bis auf sein hier 2001 erschienenes Hauptwerk "Nekropolis" alle Bücher in zwei kleinen Klagenfurter Editionshäusern vor. Eines davon, der Hermagoras Verlag, hat jetzt mit Unterstützung eines Kulturprogramms der Europäischen Union weitere Romane, die im Original bereits zwischen 1955 und 1984 erschienen waren, herausgebracht.
In einer subtilen, eng an die zentrale Figur gebundenen Erzählform lässt Pahor das Bild einer Epoche entstehen, die bereits in den zwanziger Jahren geprägt war von nationalem Wahn und vom Kampf seiner Heldin um die verbotenen Bücher und Unterrichtsstunden in der Muttersprache ("Geheime Sprachgeschenke"). Es war die düstere Ouvertüre zur völligen "Verdunkelung", einer Chronik des Widerstandes gegen die faschistische Diktatur, die in die Hölle der Lager führt.
Anders als in Italien erlebt ein junger Rekrut den Krieg im libyschen Sand als Befreiung von provinzieller nationaler Engstirnigkeit. Hier in der Wüste erfährt er nicht nur die Schönheit und Unbarmherzigkeit der Natur, sondern wartet zusammen mit seinen slowenischen, kroatischen und libyschen Kameraden auf den Sieg der Feindesarmeen und damit auf das Ende des italienischen Faschismus und der kolonialen Unterdrückung ("Nomaden ohne Oase").
Die Nachkriegszeit am Gardasee und in Triest, der "halbierten Stadt", geteilt wie Palästina, ist geprägt von der Last des Überlebenden von Dachau und Bergen-Belsen, der Auseinandersetzung mit den neuen Greueln der Ideologien und jener für den ehemaligen Widerstandskämpfer unerträglichen Stilisierung Mussolinis und des italienischen Faschismus als Opfer der Geschichte ("Labyrinth" und "Villa am See", ebenfalls im Hermagoras-Verlag). Von all diesen Romanen geht ein altmodisch anmutendes humanistisches Pathos aus, das nicht Rache predigt, aber Widerstand um jeden Preis. Das wichtigste Motiv ist die Liebe in Zeiten der Verdunkelung. Triest, die Stadt der Winde, bietet dafür eine grandiose Bühne.
SABINE BERKING.
Boris Pahor: "Geheime Sprachgeschenke". 320 S., geb., 26,- [Euro].
"Verdunkelung". 380 S., geb., 28,- [Euro].
"Nomaden ohne Oase". 438 S., geb., 29,80 [Euro].
Alle Romane aus dem Slowenischen von Urska P. Cerne und Matthias Göritz. Verlag Hermagoras-Mohorjeva, Klagenfurt 2009.
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