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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.2016

Ode an den Odenwald
Bildband mit Auszügen des Nibelungenlieds

SÜDHESSEN. Die Provinz ist ein gefährlicher Ort. Sie kann, wie das in der Philosophie Martin Heideggers geschieht, zum Urgrund des Denkens geadelt werden. Man kann sie aber auch als zivilisatorisch rückständig etikettieren, wie das vor ein paar Jahren eine Journalistin durch die Bezeichnung "Odenwaldhölle" getan hat. Antonia Baums Beschreibungen ihrer Jugenderfahrungen im "Niemandsland zwischen Birkenau und Rimbach" brachten die ganze Region in Aufruhr. Der Odenwald machte mobil, durch Facebook-Einträge ebenso wie durch Odenwald-Songs, Bekenner-T-Shirts und Odenwaldpartys.

Dass das hessische Mittelgebirge nicht nur landschaftlich ausgesprochen schön ist, sondern sich auch als "literarische Landschaft" verstehen darf, führt auf ansprechende Weise ein neues Buch des Darmstädter Justus von Liebig Verlags vor Augen. "OdenBergWaldStraße" klingt zunächst zwar ein wenig nach dem hölzernen Heidegger-Jargon. Es handelt sich aber um keine gespreizte Publikation, sondern um einen Bildband mit Aufnahmen von Christof Gassner, der literarisch geadelt wird durch Auszüge aus dem Nibelungenlied, des mittelalterlichen Heldenepos aus der Zeit um 1200, und zweier Gedichte des "Königs vom Odenwald" aus dem 14. Jahrhundert.

Die Texte sind in der Urfassung abgedruckt und in einer zeitgemäßen Transkription - was das Lesen sehr erleichtert, wie sich schon an einfachen Sätzen zeigt lässt ("Do reit der Ritter edele, viel weidenlich dran": "Da ritt der edle Ritter einher, jeder Zoll ein Jäger").

Gassner, 1941 in Zürich geboren, hat keine schreckliche Kindheit in Südhessen verbracht. Der Grafik-Designer und Typograph, der von 1986 bis 2006 Professor für Visuelle Kommunikation an der Fachhochschule Darmstadt und an der Kunsthochschule Kassel war, zog erst vor gut zehn Jahren in die Kaisermühle im Mühltal und damit an den Rand des Odenwaldes. Dort begannen seine Spaziergänge durch die Landschaft, bei denen er immer häufiger die Digitalkamera zückte. Entstanden sind mit den Jahren Hunderte von Aufnahmen aus allen Jahreszeiten. 96 von ihnen sind im Buch abgedruckt.

Sie stellen eine fotografische Verneigung vor der Vielgestaltigkeit, Schönheit und Schlichtheit dieser Region dar. Gassner hält die eisige Höhen des Odenwalds ebenso unprätentiös fest wie Frühlingsnebel über Wiesen, die Kirschbaumblüte und die zeitlosen Gesteinsformationen des Felsenmeeres. Dazwischen Wegkreuze, Christus-Darstellungen und antike Steininschriften. Was Gassner vermeidet, ist die Ablichtung von Ortschaften. Deren "Stilmischmasch" und Zersiedelung haben ihn abgeschreckt.

So kommt "OdenBergWaldStraße" sehr elegisch daher, verstärkt durch die alten Texte in Mittelhochdeutsch. Heidegger hat in seiner Schwarzwaldhütte in Todtnauberg, wo sein Werk "Sein und Zeit" entstand, genau diesen Kontakt zur Ursprünglichkeit gesucht, sie wurde der Nährboden seines Denkens. Heute gibt es bei Todtnau den "Heideggerweg" als Touristenattraktion.

Wenn er wollte, könnte der Odenwald auch da mithalten und in Amorbach den "Adorno-Weg" anlegen. Theodor W. Adorno, wichtiger Vertreter der "Frankfurter Schule" und der Kritischen Theorie, der an Heideggers Jargon nicht Gutes finden konnte, verbrachte in dem kleinen Ort nahe Miltenberg die Ferien während seiner Kindheit. Waren es sommerliche Wochen in der "Odenwaldhölle"? Nein, im Gegenteil. Amorbach, so schrieb Adorno später, sei für ihn der einzige Ort auf diesem "fragwürdigen Planeten, auf dem ich mich im Grund zu Hause fühle".

Das Glück seiner Kindheit im Odenwald wurde für ihn offensichtlich so prägend wie für Heidegger die Kindheit im Schwarzwald - zur Anmutung eines unverlierbaren Paradieses, das jeder später noch einmal zu betreten hofft. Die Bilder Gassners in ihrer Stille, Gelassenheit und Einfachheit sind ganz in diesem Sinne ein Lob der Provinz als emotionaler und geistiger Kraftort.

RAINER HEIN

Christof Gassner, "OdenBergWaldStraße", 164 Seiten, Justus Liebig Verlag 2016, ISBN: 978 387 390 3739, 19,80 Euro

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